Ich hab die Unschuld kotzen sehen 1&2 - Dirk Bernemann

  • Klappentext:


    Guten Tag, die Welt liegt in Trümmern.
    So lautet die Begrüßung des Autors, bevor er einen hinabreißt in die Abgründe der Welt. Mit seinem literarischen Skalpell zelebriert er ein Massaker des Lebens, das fasziniert, um gleichzeitig abzustoßen.
    Wie in Tarantinos Pulp Fiction reihen sich scheinbar zufällige Ereignisse aneinander, um später wieder aufgenommen zu werden. So spinnt sich ein roter Faden - und bald ist klar, dass Blut den Faden so rot schimmern lässt.


    Über den Autor:


    Herr Bernemann wurde vor wenigen Jahren zwischen dem Ruhrgebiet und den Niederlanden geboren. Er wollte schon immer Bücher schreiben, also schrieb er, seit er es konnte, beginnend mit ungefähr sieben Jahren. Er war schon als Kind fasziniert von Musik und schönen, aber auch nicht so attraktiven Worten. Herr Bernemann schreibt Bücher voller Geschichten und Gedichte. Besuchen Sie seine Website: www.dirkbernemann.de


    Meine Meinung:


    Ich hab die Unschuld kotzen sehen und Wir scheitern immer schöner sind 2005 bzw. 2007 bei UBooks erschienen und wurden vor kurzem bei Heyne Hardcore in einem Band veröffentlicht.
    Hierbei handelt es sich nicht um Kurzgeschichten oder Erzählungen im gängigen Sinne. Vielmehr sind es Momentaufnahmen, Lebenssplitter, kurze Einblicke in menschliche Existenzen, deren Gemeinsamkeit auf individuell variierendem Elend beruht: Einsamkeit, Perspektivlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, Drogensucht, Gewalt, Krankheit und Tod.
    Jede der "Geschichten" ist in gewisser Weise mit der vorangegangenen verknüpft. Teils in eher zufällig erscheinender Art und Weise, wenn Bernemann zunächst eine Prostituierte Selbstmord begehen lässt, um dann den Fahrer der Straßenbahn, vor die diese sich geworfen hat, als Ich-Erzähler der nächsten Geschichte zu bemühen, teils ganz offensichtlich, wenn sich z.B. das Elend einer Mutter vor dem Leser ausbreitet, deren Sohn sich in der vorangegangenen Geschichte selbst zum Krüppel geschossen hat.
    Die Verbindung dieser scheinbar unzusammenhängend nebeneinander stehenden Ereignisse macht schnell einen großen Reiz der Lektüre aus, Bernemann verbindet die einzelnen Schicksale in überzeugender, geschickter Art und Weise und oftmals relativieren sich Eindrücke und Urteile über die Figuren nach Kenntnis der folgenden Schicksale.
    Sprachlich gestaltet sich das Ganze derb, knackig, rotzig. Es wird viel gekotzt, gefickt, gefixt, gepisst, geflucht ...
    Im ersten Teil ist der Satzbau überwiegend parataktisch, es entsteht kein Fluss, alles ist hektisch, teils ungeordnet und wirr, aber das korrespondiert wohl mit der Erlebenswelt der Figuren und ist damit durchaus berechtigt.
    Der zweite Teil hat mir sprachlich/stilistisch dann wesentlich besser gefallen. Hier geht Bernemann viel narrativer vor, als Leser erhascht man mehr von den Figuren, gerade in emotionaler Hinsicht. Der zweite Teil ist auch poetischer, metaphorischer. Es sind Bilder des Schreckens, des Elends, des Untergangs und der Verzweiflung, aber sie sind eindringlich. Und unverbraucht.
    Eigentlich weiß ich jetzt nicht so recht, was ich zu diesem Buch abschließend sagen soll ...
    Im Prinzip bin ich nicht begeistert, allerdings auch nicht enttäuscht, gelangweilt oder sonstwie negativ gestimmt ...
    Für mich war die Lektüre fesselnd, faszinierend - die vielbesagte Faszination des Schrecklichen vermutlich - und durchaus keine vergeudete Zeit, ich könnte aber auch keine glühende Empfehlung aussprechen ...
    Um trotzdem zu einem Fazit zu kommen:
    Es war mal was anderes ...

    Man muss ins Gelingen verliebt sein,
    nicht ins Scheitern.
    Ernst Bloch

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  • Danke für die Rezi, Seestern. :wave
    Habe Band 1 schon mehrmals in der Buchhandlung gesehen und bin aufgrund des Titels auf dieses Buch aufmerksam geworden.
    Als ich mich jedoch bei einer Bekannten danach erkundigt habe, meinte sie, dass es geschmacklos gewesen sei und sie mir von einem Kauf abrate.
    Ausleihen konnte ich es leider auch nicht mehr, da sie es sofort weitergegeben hat.
    Somit bin ich recht froh, erneut über dieses Buch zu stolpern.
    Ich hatte es total vergessen :wow

    Ganz gleich, wie beschwerlich das Gestern war, stets kannst du im Heute von Neuem beginnen - Buddha

  • Ich war ganz erstaunt als ich diesen Sammelband auf der Buchmesse gesehen habe, denn ich kannte bislang nur die UBooks-Ausgaben und hätte nicht damit gerechnet, dass diese so schnell doch recht bekannt werden.
    Den ersten Teil habe ich vor einer Weile in einer autorenbegleiteten Leserunde gelesen und fand ihn, ja, schon außergewöhnlich, aber insgesamt war ich dennoch etwas enttäuscht.
    Hier meine ausführliche Meinung zu 'Ich hab die unschuld kotzen sehen', also Buch Nr. 1:


    Auf 87 der insgesamt gerade einmal 115 Seiten reiht der Autor 13 Kurzgeschichten aneinander, die recht geschickt miteinander verbunden sind. Das macht die Sache schon allein deshalb interessant, weil man als Leser genauer liest, um zu erraten, welche der Personen aus der jeweiligen Geschichte man in die nächste begleiten wird.
    Letztlich sind die Figuren jedoch eher Statisten. Gefühle bringt man für sie bloß selten auf. Das ist aber auch gar nicht gewollt, vielmehr kommt es auf die vertrackten Situationen an, in denen sie sich befinden. Obdachlos, lebensmüde oder impotent, Bernemann’s Figuren balancieren allesamt am Rande des gesellschaftlichen Abgrunds.
    Beschrieben wird dies in einfacher, oft vulgärer Sprache, in der man zeitweilig auch das ein oder andere Wortspiel findet.
    Insgesamt nimmt die Qualität der Geschichten nach und nach zu. Während die ersten beiden Geschichten in Kombination noch völlig überspitzt an der Realität vorbeigehen, nähern sich die weiteren Texte immer mehr den Begebenheiten an, die wir vielleicht schon eher aus dem eigenen Umfeld oder zumindest aus den Medien kennen.
    Dennoch fehlt den Geschichten jegliche Tiefe. Dies liegt allerdings nicht allein an der Kürze der einzelnen Texte, sondern an der Tatsache, dass der Autor gar nicht die Intention hat, den Leser zwischen den Zeilen lesen zu lassen. Jegliche Analyse- oder Interpretationsversuche gehen ins Leere.


    Die anschließend folgenden 17 Gedichte sind teilweise inhaltlich schwer verständlich und aufgrund des oft fehlenden Reimschemas bzw. unkenntlichen Rhythmus nicht immer leicht lesbar. Überdeutlich wird jedoch die Kritik an Medien und Kapitalismus. Ein Lösungsansatz wird allerdings nicht geboten, wenn man von ‘Aufrufen zur Revolution’ einmal absieht.
    Im Gegensatz zu den Geschichten fällt die auch hier verwendete Fäkalsprache eher negativ auf. Während sie sich im Prosateil noch dadurch rechtfertigt, dass sie den Protagonisten in den Kopf/Mund gelegt wird, hätte ich mir im Lyrikteil gewünscht, der Autor hätte auf bestimmte Ausdrücke und persönliche Beleidigungen verzichtet, da er hier, dem Anschein nach, seine persönlichen Gedanken und Meinungen direkt äußert.


    FAZIT: Insgesamt lässt mich dieses Buch ein wenig zwiespältig zurück. Zur bloßen Unterhaltung dient es nicht, als Augenöffner hätte ich es allerdings auch nicht benötigt. Welcher Mensch mit rosa Brille kauft schon ein Buch mit diesem Titel? Und dennoch, es hat was. Zumindest so viel, dass es neugierig macht auf den zweiten Teil.


    Bewertung: 3/5

  • Zitat

    Original von Sternenstauner


    Den ersten Teil habe ich vor einer Weile in einer autorenbegleiteten Leserunde gelesen


    Und? Wie war Herr Bernemann denn so? Wenn ich rein vom Text ausgehe, wäre der Autor jemand, mit dem ich mich gerne mal unterhalten würde ...

  • Hi Seestern,


    ich hab mal den Link zu der Leserunde rausgesucht, falls du Lust hast, mal reinzulesen. >> klick <<
    In der Runde war er schon recht provokant und es wurde, ich sag mal, angeregt diskutiert. ;-) Zumindest unterhalb der Leserschaft.
    Vom Autor selbst kam nicht allzu viel. Wie ich in meiner Rezension schon schrieb: Ich habe (fast schon verzweifelt) noch einem tieferen Sinn hinter den Geschichten gesucht, es gab Ansätze, die man hätte interpretieren und vertiefen können - wollte der Autor aber nicht. Fehler wurden auch einfach stehen gelassen, was mich manchmal richtig geärgert hat. Kurz: Ich konnte mit dem Autor nicht viel anfangen, aber er mit mir wahrscheinlich auch nicht. ;-)

  • Ich habe nur Ich hab die Unschuld kotzen sehen gelesen und fand es ziemlich dürftig. Sinnlose Gewalt, sinnlose Provokation, Zelebrieren von Andersartigkeit. Ich möchte nicht lesen



    Herr Bernemann mag sprachlich gewandt sein, aber er könnte wesentlich mehr daraus machen als diese "Brachialliteratur".

  • Es fällt nicht schwer, diesen Autor als einen Fäkalpoeten einfach abzutun, er selbst macht es dem Leser da sehr einfach. Es ist leicht, Bernemann abzulehnen, ihn nicht zu mögen und seinem Werk jeden literarischen Wert abzusprechen.
    Man muss sich auf diesen Autor bedingungslos einlassen, man muss ihm in seine Welt folgen, sich von seiner Wut, seiner Angst, der ganzen Bandbreite seiner Emotionen gefangen nehmen lassen, um sein Werk verstehen, es würdigen zu können.
    Bernemann mutet dem Leser einiges zu, gerade im ersten Teil dieses Buches. Der Leser wird unmittelbar mit der ganzen ungefilterten bösen Härte der menschlichen Existenz konfrontiert. Das vorherrschende Gefühl, neben all der Wut und Verzweiflung, ist eine gewisse Trostlosigkeit, die das ganze Buch durchzieht. Wir können nicht nur dem Schicksal, wir können auch uns selbst nicht entkommen. Wir werden nicht nur durch die Ereignisse geprägt, wir prägen die Ereignisse, weil wir eben sind, wie wir sind. Wir sind schwach, triebgesteuert, gehorchen unseren Instinkten mehr als der anerzogenen Vernunft.


    Es ist leicht, von Bernemann abgestoßen zu sein! Seine Sprache ist hart, unerbittlich und, das ist für denjenigen, der sich dem Autor anschließt, vielleicht am schwersten zu akzeptieren, er ist ehrlich!


    Ich bin sehr froh, durch Seesterns Rezension auf dieses Buch aufmerksam geworden zu sein, dafür vielen Dank!!!
    Es ist nicht leicht dieses Buch zu lesen, aber ich habe die Lektüre als Bereicherung empfunden!


    Der zweite Teil, in Seesterns Rezension wird es bereits erwähnt, ist wesentlich einfacher zu lesen, er folgt eher den literarischen Konventionen als der erste Teil, ich habe ihn aus diesen Gründen aber auch als den schwächeren Teil enpfunden. Das macht ihn nur wenig eindrucksvoller als den wild formulierten ersten Teil, auch hier wird dem Leser nichts erspart, es ist nur leichter zu lesen, es ist leichter, der Erzählung zu folgen.
    Ich bin von der Lektüre immer noch sehr beeindruckt, obwohl ich das Buch schon eine ganze Weile beendet habe.
    Es ist sehr leicht, ihn abzulehnen....aber man sollte es wenigsten versuchen!

  • Zitat

    Original von Bodo
    Man muss sich auf diesen Autor bedingungslos einlassen, man muss ihm in seine Welt folgen, sich von seiner Wut, seiner Angst, der ganzen Bandbreite seiner Emotionen gefangen nehmen lassen, um sein Werk verstehen, es würdigen zu können.


    Genau das hat mich auch schon in der LR damals gestört. Dieser Umkehrschluss, dass man das Buch nicht richtig/intensiv genug gelesen hat, wenn man es nicht verstanden bzw. es einen nicht total umgehauen hat.
    Nimm mir das bitte nicht übel, Bodo! Ist nicht böse/persönlich gemeint. Es freut mich, dass dir das Buch gefallen hat und ich selbst hatte ja auch ansatzweise mein Vergnügen damit. Ich finde nur schade, dass die völlig begeisterten Leser ebenso wie der Autor über Schwächen, die manche Leser eben sehen, hinweggehen, indem sie sagen, dass diejenigen das Buch dann eben nicht richtig verstanden haben. Ohne einen Erklärungsansatz zu bieten ist das für mich kein Argument.

  • So habe ich das auch nicht gemeint. Ich habe vollstes Verständnis für jeden, der mit diesem Werk nichts anfangen kann oder sich dadurch abgestossen fühlt. Ich glaube, man kann sich dem Buch nicht unbedingt intelektuell nähern, sondern muß es einfach wirken lassen. Und bei manchen wirkt es eben nicht, was nichts mit "verstehen" zu tun hat, nichts mit Intelligenz oder Bildung oder was auch immer.

  • Zitat

    Original von Bodo
    Ich habe vollstes Verständnis für jeden, der mit diesem Werk nichts anfangen kann oder sich dadurch abgestossen fühlt.


    Ich wollte dir auch nicht unterstellen, dass dem nicht so wäre. Der zitierte Satz erinnerte mich nur so an die Einstellung in der Leserunde und in diversen Rezensionen, die ich zu dem Buch gelesen habe, dass ich das einfach mal loswerden wollte. Sorry, dass du in dem Moment dafür herhalten musstest. ;-)


    Zitat

    Original von Bodo
    Ich glaube, man kann sich dem Buch nicht unbedingt intelektuell nähern, sondern muß es einfach wirken lassen. Und bei manchen wirkt es eben nicht, was nichts mit "verstehen" zu tun hat, nichts mit Intelligenz oder Bildung oder was auch immer.


    Da gebe ich dir Recht. Zu verstehen in dem Sinne gibt es ja auch nichts. Es wirkt auf mich nur immer so, dass diejenigen, die das Buch gut finden, sozusagen zu einer Gruppe gehören, die auf derselben Wellelänge ist, während diejenigen, die mit dem Buch - aus welchen Gründen auch immer - nicht viel anfangen können, eben ausgeschlossen sind. So kam es in der LR rüber: "Entweder, du denkst wie ich und magst das Buch oder du denkst nicht so wie ich. Dann hast du halt Pech." Und auch einige Leser scheinen das so zu sehen.
    Wie auch immer. Eine "Lösung" wird man in dem Punkt eh nicht finden. Von daher werde ich mich wohl einfach damit zufrieden geben, dass der Autor eben nur eine bestimmte Zielgruppe erreichen will, zu der ich scheinbar einfach nicht gehöre. Damit muss ich wohl leben. ;-)

  • ich hatte mir das buch ausgeliehen und habe es mir heute mal durchgelesen.
    ich fand es sehr interessant und es war aufjedenfall mal etwas anderes.


    das jede person irgentwie mit der vorigen in verbindung stand, fand ich äußerst interessant und wollte daher immer wissen was die nächste person mit der vorigen in verbindung bringt.


    werde mir den zweiten teil auch mal ausleihen und vielleicht auch den ersten mir selbst zulegen.

    Ich wüßte gern, ob der Schnee die Bäume und die Felder liebt, wo er sie so zärtlich küßt.
    -zitat von lewis carroll

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  • Zitat

    Original von Lizard
    Ich habe nur Ich hab die Unschuld kotzen sehen gelesen und fand es ziemlich dürftig. Sinnlose Gewalt, sinnlose Provokation, Zelebrieren von Andersartigkeit. Ich möchte nicht lesen



    Herr Bernemann mag sprachlich gewandt sein, aber er könnte wesentlich mehr daraus machen als diese "Brachialliteratur".


    Sehe ich genauso. Das Buch will provozieren und das klappt auch ziemlich gut. Ganz nett auch die Art und Weise, wie die einzelnen Episoden miteinander verwoben sind. Fazit: Nicht schlecht, aber nicht genug.

  • Icvh weiss nicht genau,ob das hierherpasst,doch würde ich wahnsinnig gerne eure Meinungen zu diesem Buch lesen,Teil 3 ist gerade beim schreiben,wie ich feststellte und ich weiss gar nicht ob ich mich darauf freuen soll,oder nicht? klar ist für mich jedoch:Ich komme nicht drumherum!
    Herr Bernemann hat mich geschockt! Wobei ich sagen darf,dass das sehr schwer gelinkt zumal ich Horror,Thriller und alle menschlichen Absurditäten so nebenbei zum Frühstück lese-lach!
    Dieses Buch hat mich zutiefst erschüttert und wie geht es euch? Ein Buch über das ich lange nachgedacht habe.... anbei:U-book(der verlag) ist schwerst zu empfehlen und für nachdenkliche Zeitgenossen ein" muss"!
    So helft mir über diese neue Art von Literatur hinwegzukommen,zu vergleichen mit "Natascha-Seelenficker"! meine Kinnlade hängt immernoch und zum 1000sten mal frage ich mich:Hat das nur mich geschockt????