Minutenwalzer – Richard Mason

  • Kindler, gebundene Ausgabe, 640 Seiten, 2008 erschienen
    Originaltitel: The Lighted Rooms
    Übersetzung von Judith Schwaab


    Kurzbeschreibung:
    Über die Liebe, das Älterwerden und die Macht der Phantasie


    Eloise arbeitet als Investmentmaklerin in einer erfolgreichen Londoner Firma. Seit vor Jahren die Beziehung zu dem französischen Wissenschaftler Claude, ihrer großen Liebe, gescheitert ist, hat sie sich ganz der Karriere gewidmet. Doch Claude hat nie aufgehört, eine Rolle in ihrem Leben zu spielen, und auf schicksalhafte Weise kreuzen sich ihre Wege erneut.
    Als Eloises Mutter Joan zunehmend dement wird und in ein Altenheim ziehen muss, gerät Eloises Welt ins Wanken. Durch den langsamen Abschied von Joan begreift sie, was in ihrem Leben wirklich zählt. Und sie trifft eine mutige Entscheidung, die ihr den Boden unter den Füßen wegzureißen droht.
    Gemeinsam mit ihrer Mutter macht sie eine Reise nach Südafrika. Dort stößt Joan auf das Tagebuch ihrer Großmutter, die in Südafrika aufwuchs und im Burenkrieg in einem Lager interniert war. Immer mehr verliert sich Joan in der Geschichte ihrer Familie, und ihre Gedankenwelt oszilliert zwischen Phantasie und Demenz. Doch sie entwickelt noch einmal eine ungeheure Lebenskraft. Eine Kraft, die an Vornehmheit und Lebendigkeit nur der Musik von Chopin gleichkommt.


    Über den Autor:
    Richard Mason wurde 1977 in Südafrika geboren und ist in England aufgewachsen. Er studierte in Eton und Oxford und ist Gründer der Kay Mason Foundation, die den Namen seiner als Kind verstorbenen Schwester trägt.
    Die Stiftung will jungen Südafrikanern durch Stipendien einen besseren Zugang zur Bildung ermöglichen. Richard Mason lebt als Journalist und Autor in Glasgow. Minutenwalzer» ist sein dritterRoman.



    Rezension:
    Eine Familiengeschichte, in der eine Frau namens Eloise und ihre 80jährige, gerade an einer alzheimerähnlichen Krankheit erkrankten Mutter Joan, im Mittelpunkt stehen.
    Zu diesen Hauptfiguren wird der Leser auf Distanz gehalten. Es wird genau, aber verhalten erzählt.
    Eine echte Mutter-Tochter-Beziehung ist nur streckenweise zu erkennen, obwohl die Beziehungen der einzelnen Figuren zueinander interessant gestaltet sind.


    Diese Distanz zu den Figuren wird nur einmal aufgegeben, als Joan das Tagebuch ihrer Großmutter liest.
    Diese Tagebuchszenen, die in der Zeit des Burenkrieges 1900 - 1905 in Südafrika angesiedelt sind, besitzen mehr Emotionalität und Spannung. Deshalb wundert es mich, dass Joan nicht auch stärker auf die beschriebenen Erlebnisse reagiert. Obwohl der Autor schildert, wie das zu Aktionen führt, bleibt es doch eine Behauptung. An der Figur selbst, kann ich es nicht ablesen, das liegt wohl vor allem an der Erkrankung.
    Vielleicht wollte der Autor, dessen Urgroßmutter zu der damaligen ebenfalls in einem Lager interniert war, aber auch die Emotionen unter Verschluß halten.


    Minutenwalzer ist groß und aufwändig angelegt und plätschert doch anfangs die meiste Zeit so vor sich hin, ohne dass es große Höhepunkte oder deutliche Schwächen gibt. Eigentlich bildet der Gleichklang im Stil und Handlung sich wie auf dem Bildschirm eines gerade verstorbenen Patienten im Emergency Room ab.


    Der Roman wird dann nach ca. 300 Seiten doch lesenwert, da sich jetzt endlich ein paar deutlichere Emotionen beim Ausbrechen der Krankheit ergeben. Joans Zustand verschlechtert sich, die Reaktionen der Beteiligten führen zu einem Aufbrechen der Gefühle in ihren Beziehungen zu einander.
    Wie Joan im Pflegeheim behandelt wird, wirkt realitätsnah und glaubwürdig. Wirklich gelungene Szenen, in dern die Verschlechterung ihres Zustandes deutlich gezeigt wird.


    Mit Paul Dhanzy, einen jungen Mann, Volontär in der Bibliothek im Pflegeheim, der sich mit Joan anfreundet und sich um sie kümmert, wird endlich auch eine gute Nebenfigur angelegt. Leider wird er dann aber als Figur rasch wieder vernachlässigt und fast fallengelassen, nachdem er seine Funktionalität als Nebenfigur erfüllt hatte.


    Andere Nebenfiguren funktionen noch schlechter, insbesondere die Liebesgeschichte Eloise zu Claude, einem französischen Wissenschaftler ist so schwach, da die Figuren nicht richtig zum Leben erweckt werden. Hinzu kommt der gesamte Handlungsstrang mit Eloise beruflicher Situation, den ich sehr langweilig empfand.


    Wenigstens wird spät auch die Familiensituation mit Eloise Bruder und dem ungerechten, tyrannischen Vater näher beleuchtet. Hier sind unterschiedliche Wahrnehmungen der beteiligten Personen über die Vergangenheit sehr gut sichtbar gemacht und es zeigt sich, dass Richard Mason wirklich schreiben kann. Warum er das dann nicht durchgängig macht, bleibt für mich ein Fragezeichen.


    Zurück bleiben gemischte Gefühle über einen lesenswerten Roman, der trotz vieler guter Ansätze nur teilweise gelingt.

  • Der Name „Südafrika“ im Titel und schon hänge ich an der Angel und so hat es auch dieses Buch auf meinen Sub geschafft. Nach der Rezi von Herr Palomar war ich zwar etwas skeptisch, aber letztlich hat es mir doch besser gefallen, als befürchtet.


    Es ist schwer zu sagen, worum es in dem Buch eigentlich geht, da viele Handlungsstränge einzelner Personen einer Familie in der Vergangenheit und Gegenwart mit einander verwoben werden. Im Mittelpunkt steht aber der Mutter-Tochter-Konflikt zwischen der Mutter Joan und deren Tochter Eloise. Joan ist in ein Altersheim gezogen ist und verliert sich aufgrund ihrer Demenz immer mehr in Halluzinationen, in denen sie ihre eigene Vergangenheit, die Vergangenheit ihrer Familie in Südafrika und die Geschichte einer anderen Familie in England miteinander ineinander fließen lässt. Joan war in diesem Buch meine Lieblingsfigur: Eine etwas verrückte, aber sehr symphatische alte Dame, die immer weiß, was sie will.
    Eloise kämpft ebenfalls: vorrangig um ihre Würde, die sie aufgrund einiger Fehlentscheidungen im Job zu verlieren droht, um den Familienzusammenhalt, um ihre Mutter und letztlich auch um ihre große Liebe von vor 20 Jahren. (Ich fand Eloise berufliche Probleme übrigens gar nicht uninteressant, eigentlich passen die prima zur aktuellen Bankenkrise und man kann sich gut vorstellen, wie jemand in solche Schwierigkeiten geraten kann...).


    Durch diesen Haupterzählstrang werden immer mal wieder andere Personen, zum Teil aus vergangenen Zeiten ins Rampenlicht gerückt, es wird deren Geschichte erzählt, dann ist mal wieder jemand anders dran. Dem Autor gelingt es, diese einzelnen Geschichten geschickt miteinander zu verweben, ohne das man den Überblick verliert. Als Leser ist man dabei eher ein Zuschauer, als mittendrin zu sein. Mir gefiel das aber ganz gut. Ich befürchte, wenn man näher dran gewesen wäre, wäre das ganze ins Kitschige, Klischeehafte abgerutscht.


    Das Lesen hat mir auf jeden Fall Spaß gemacht, auch wenn nicht so viel Südafrika enthalten war, wie erhofft. Ich werde mal schauen, was es von dem Autor noch so gibt!

  • Ich hab das Buch gestern, beim Ausgeben meiner Gutscheine gesehen und es ist einfach so bei mir gelandet - ohne dass ich etwas genaueres wusste!
    Die Rezi schreckt mich jetzt doch etwas, aber ich werds schon schaffen.

    Who is Keyser Soze?


    (\__/)
    (o ,o)
    (>_<) <- This is Bunny.


    Copy Bunny into your signature to help him on his way to world domination.

  • huch - man meine Rezi denn wirklich einen schlechten Eindruck?


    Ich fand das Buch - auch jetzt mit ein wenig Abstand noch - eigentlich recht gut und es ist durchaus einiges hängen geblieben. Es war vielleicht nicht unter den Top Five der gelesenen Bücher in 2008, aber lesenswert ist es allemal.


    Also traut Euch ruhig - ich wäre auf weitere Meinungen gespannt!

  • Zitat

    Original von Queedin
    huch - man meine Rezi denn wirklich einen schlechten Eindruck?


    Nein, das auch nicht - aber zumindest die Rezension von Herrn Palomar erweckt den Eindruck, dass man doch etwas kämpfen muss, bis man in dem Buch drin ist. Und dafür habe ich im Moment wahrscheinlich nicht die Ruhe. :grin


    Hast du denn schon weitere Bücher von Richard Mason angetestet? Ich glaube, dass es noch zwei weitere Bücher von ihm gibt, die sich auf jeden Fall interessant anhören - vielleicht fange ich einfach mal damit an.

  • Ein wirklich sehr gutes Buch. Ich konnte es nicht mehr weglegen und es hat mich ein wenig an meine eigene Großmutter erinnert, die wegen einer Krankheit momentan im Altersheim ist und dort gepflegt wird. WIr haben dieses Buch gemeinsam gelesen und es hat und beide gleichermaßen berührt. Ich habe ihre vorgelesen und sie konnte mir immer wieder von ihrer Zeit und ihren Erlebnissen erzählen. Das war ein wirklich schönes Gefühl.