Und die Großen lässt man laufen Sjöwall/Wahlöö

  • Maj Sjöwall/Per wahlöö "Und die Großen lässt man laufen"


    Erstausgabe:1970


    ISBN:3499266024


    Seitenanzahl:272


    Verlag: Wunderlich (2006)



    Über den Inhalt:
    Der Unternehmer Viktor Palmgren wird in Malmö während eines Abendessen
    im Hotel Savoy erschossen.
    Keiner der anwesenden Zeugen konnte den Täter beschreiben und für die örtliche Polizei gestaltet sich dieser Fall schwierig. Kommissar Martin Beck wird zu Hilfe gerufen.


    Über die Autoren:
    Per Fredrik Wahlöö, geb. 1926- gest.1975, war als Journalist tätig.
    Seine Frau Maj Sjöwall, Jahrgang 1935, ist Schriftstellerin und
    Übersetzerin. Beide Autoren waren/sind bekennende Marxisten und
    haben gemeinsam die Dekalogie um Kommissar Martin Beck geschaffen.


    Meine Meinung:
    Wenn der geneigte Leser zu Sjöwall/Wahlöö greift, weiß er, womit er nicht zu rechnen hat: Action, Blut und einem coolen Kommissar.
    Stattdessen stehen schwedische Sozialkritik und ein bodenständiger Kommissar der 60-/70-er Jahre auf dem Programm. Ausgangspunkt für die Analyse der schwedischen Politik und ihrer Missstände bildet die scheinbar kaltblütig geplante Erschießung Viktor Palmgrens. Palmgren war als Großunternehmer in unterschiedlichen Bereichen tätig und schnell entdecken die Ermittler, eine Verbindung zur Waffenlobby, die zu politischen Spannungen zwischen Schweden und afrikanischen Ländern führen kann.
    Neben dieser Fährte ohne Tiefgang legt das Autorenduo Spuren, die in das Privatleben der Zeugen führen und den Leser unter anderem mit Prostitution und Devisenhandel Bekanntschaft schließen lassen.
    Bedauerlicherweise haben Sjöwall/Wahlöö an dieser stelle die Chance vertan,über die Reichen und Schönen hinaus etwas Substanz in die über 30 Jahre zurückliegende Geschichte zu bringen, die auch nicht mit den ausführlichen Schilderungen über das Privatleben der anderen Ermittler gerettet werden kann.
    Einen Qualitätsschub bringt nur noch das Ende, auf das sich die Autoren nicht mit 30 Seiten hätten beschränken sollen.


    Mein Fazit:
    Mankell macht's besser!

  • hm, salonlöwin, ich kann mit deiner rezi so gar nicht übereinstimmen.
    die reihe der bücher um kommissar beck habe ich als jugendlicher gelesen, so im alter von 13-15, und sie gehört bis heute zu meinen absoluten lieblingen. gerade die tatsache, dass die fälle nicht nur auf 'suspence' bauen, sondern sehr viel mehr tiefgang haben, teilweise eher sozialkritik als reine krimis sind, hat mich damals begeistert und begeistert mich bis heute.
    'und die grossen lässt man laufen' ist neben 'endstation für neun' immer noch mein persönlicher favorit der gesamten reihe.


    ausserdem darf man sich wohl die frage stellen, ob es das phänomen 'schwedischer bzw. skandinavischer krimi' ohne sjöwall und wahlöö überhaupt gäbe. ich jedenfalls sehe autoren wie mankell deutlich beeinflusst von den beiden.
    möglicherweise scheinen die 'originale' aus heutiger sicht veraltet, aber das macht sie, in meinen augen zumindest, nicht schlechter.

  • Zitat

    hm, salonlöwin, ich kann mit deiner rezi so gar nicht übereinstimmen.


    Das kann in einem Literaturforum vorkommen ;-).


    Zitat

    dass die fälle nicht nur auf 'suspence' bauen


    Wie ich in meiner Rezension schrieb, wusste ich um diesen Umstand und kritisiere ihn nicht.


    Zitat

    'und die grossen lässt man laufen' ist neben 'endstation für neun' immer noch mein persönlicher favorit der gesamten reihe.


    Vergleiche mit den anderen Büchern dieser Reihe kann ich nicht anstellen, da ich sie nicht gelesen habe.
    Vor langer Zeit habe ich die Verfilmungen mit Gösta Ekman gesehen und fand die Serie besser als das Buch, das ich gelesen habe.


    Zitat

    ausserdem darf man sich wohl die frage stellen, ob es das phänomen 'schwedischer bzw. skandinavischer krimi' ohne sjöwall und wahlöö überhaupt gäbe. ich jedenfalls sehe autoren wie mankell deutlich beeinflusst von den beiden.


    Was ich nicht bestreite. Aber m.E. ist Mankell vielschichtiger. Seine Protagonisten sind anspruchsvoller beschrieben und die Plots bestehen nicht aus Schwarzweißmalerei. Bei "Und die Großen lässt man laufen" ist der Unternehmer die reiche und böse Figur, während die Beschreibung des Täters genau gegenteilig ausfällt.
    Wenn man einen gesellschaftskritischen Roman schreibt, der der Wirklichkeit sehr nahe sein soll, dann dürfte dem Autor nicht entgehen, dass es keinen rein schlechten Menschen bzw nur Gutmenschen gibt, sondern in jedem Menschen unterschiedliche Seiten innewohnen. Sie herauszuarbeiten ist sicherlich schwer, beweist aber auch das Können eines Autors.


    Zitat

    möglicherweise scheinen die 'originale' aus heutiger sicht veraltet, aber das macht sie, in meinen augen zumindest, nicht schlechter.


    Seltsam, trotz meines Wissens um das Alter der Bücher, sehe ich die behandelten Themen als nicht veraltet an. Das Alter des Buches machte sich für mich nur an vereinzelten Stellen bemerkbar, wenn für heutige Zeit unübliche wörter benutzt wurden, die ich leider nicht notiert habe und deshalb nicht zitieren kann.

  • Ich halte es für wenig sinnvoll, Kriminalromane miteinander zu vergleichen, deren Entstehung gut eine Generation auseinanderliegt.
    Der Kriminalroman als Genre ist von Anfang an an die Einflüsse, Tendenzen, herrschenden Denkmuster der Zeit gebunden, in der er geschrieben wird.
    Der Kriminalroman ist 'Tagesware'. An Moden gebunden setzt er keine eigenen Trends. Er setzt Schwerpunkte unter den Trends, die schon da sind.


    Man kann an seinem Beispiel die Veränderung der polizeilichen Ermittlungsmethoden über hundert Jahre hinweg ebensogut verfolgen, wie die jeweils geltende Einschätzung von Polizeidienst oder Polizeidienst versus Privatermittler, oder auch die Veränderung der Geschlechterbeziehungen, um nur wenige Beispiele zu nennen.


    Was man ebenfalls erkennen kann, sind die Erwartungen des Publikums. Diese sahen um die Wende zum 20. Jahrhundert anders aus als in den Dreißigern. Der Nachkriegskrimi folgt wieder anderen Erwartungen als der Krimi der Sechziger Jahre. Und der wiederum entscheidet sich enorm vom Krimi seit ca. 1990.


    Sjöwall/Wahlöö an Mankell zu messen ist ebensowenig sinnvoll, wie sie etwa mit Christie oder Chandler zu vergleichen.


    Die zehn Kriminalromane, die unter unter dem Namen 'Sjöwall/Wahlöö' laufen, sind über all das hinaus zeitgebunden, weil in ihnen spezifische Veränderungen in Schweden aufgezeigt werden sollen. Dabei geht es vor allem um Veränderungen in der Vorstellung von den Aufgaben der Polizei und des Staates.
    Es sind Veränderungen, die sich tatsächlich abgespielt haben. Die zehn Krimis sind ihrem Kern 'historisch' zu begreifen.
    Sie sind enorm komplex.


    Ungewohnt kommt einem heute beim Lesen vor allem vor, daß Autorin und Autor Partei ergreifen n diesen Romanen. Das sind wir heute in Zeiten der 'political correctness', gar nicht mehr gewöhnt. Heute ist alles viel individualistischer, man spricht nicht mehr für 'alle'. Man spricht nur noch für sich. Einzelperson und Gesellschaft liegen weit auseinander.


    Dem Autorenpaar geht es aber tatsächlich um die Grundfragen des Stellenwerts der jeweiligen Rechte des Einzelnen und denen der Gemeinschaft. Sie stellen die Probleme dar, bieten Argumente.
    Der Blick geht immer von Einzelnen aus auf die Gruppe und zugleich von der Gruppe zum Einzelnen.


    Schwarz-weiß gezeichnet wird in diesen Krimis keineswegs. Es wird viel über die Dinge nachgedacht. In dem vorliegenden geht es ganz speziell über die Frage, wo die Rechte des Einzelnen bleiben, wenn der Staat übermächtig wird und den Polizeiapparat nur noch dazu nutzt, seine Macht durchzusetzen.
    z.B. wird in diesem Roman ausführlich über die Ausbildung von Polizisten nachgedacht und, wohlgemerkt, eine bessere gefordert.


    Gut versus Böse habe ich dem Roman nicht gefunden, im Gegenteil. Das Personal auf Unternehmerseite ist austauchschbar, die Geschäfte gehen weiter. das ist nicht 'böse', das ist der Lauf der Wirtschaftsordnung.
    Der Täter ist ein armer Sack, nicht besonders intelligent, Alkoholiker, der eigentlich nur zufällig unter die Räder geraten ist und dann, als er dem Druck nicht standhalten konnte, zugeschlagen hat. Sein Versagen und das Versagen einer 'Gesellschaft' fließen in der Mordtat zusammen
    Für den Mord wird ihm der Prozeß gemacht, bestraft wird er aber auch für Umstände, für die er nichts kann.
    Ein altes Problem in der Rechtsprechung.
    Das macht ihn aber keineswegs 'gut'.



    Das Privatleben der Polizistinnen und Polizisten nimmt in diesem Roman eigentlich nicht mehr Raum ein als sonst auch. Es wird nur entsprechend der Hauptthematik des Buchs eingesetzt. Damals war das Private noch politisch. ;-)
    Ich finde es sehr gut verzahnt mit der Krimihandlung.


    Ich halte das Buch immer noch für einen ganz ausgezeichneten Krimi, die sozialkritischen Aspekte für wichtig (und nicht ganz überholt), die moralisch-politische Überzeugung von Autorin/Autor anerkennenswert und die Personen in ihrem Auftreten für sehr überzeugend.




    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • [QUOTE]die sozialkritischen Aspekte für wichtig (und nicht ganz überholt), die moralisch-politische Überzeugung von Autorin/Autor anerkennenswert/QUOTE]


    In diesen Aspekten stimme ich mit Dir vollkommen überein, hätte mir aber durchaus gewünscht, dass das Schicksal des Täters nicht auf den letzten 30 Seiten verarbeitet wird, sondern dass seiner Figur und seinen Lebensumständen mehr Raum im Roman gegeben wird. Die Systemkritik der Autoren wäre dann deutlicher hervorgetreten.
    Die eigentliche Geschichte (Tötung eines Unternehmers durch eine auf Sozialhilfeniveau gefallene Existenz) halte ich trotzallem nicht für veraltet; sie hätte durchaus heute geschehen können, auch wenn eine Verarbeitung des Stoffes anders ausgefallen wäre.


    Die richtungsweisende Arbeit des Autorenpaares im Bereich Kriminalroman sehe ich als durchaus wertvoll an, hatte aufgrund der Vorschusslorbeeren durch unterschiedlichste Rezensionen aber höhere Erwartungen, die für meine Person nicht erfüllt wurden.

  • gerade den vorwurf der schwarzweissmalerei kann ich nicht nachvollziehen. ich finde die personen in den romanen sogar ausgesprochen vielschichtig dargestellt.
    allerdings sind bei sjöwall/wahlöö fast alle beteiligten und vor allem die täter oftmals eher opfer ihrer umstände und der 'gesellschaft'. für mich durchaus realistisch, aber diese sichtweise muss einem als leser wohl liegen.


    naja, ich bin kaum in der lage, objektiv auf kritik an den autoren einzugehen. sie sind nunmal meine erklärten lieblinge. :rofl