und andere Gedichte
Suhrkamp 1991
Taschenbuch, 86 Seiten
Kurzbeschreibung (aus dem Klappentext entnommen):
Rothmanns lyrische Arbeiten sind mehr als kunstfertige Texte. Sie gründen auf Erfahrungen. Sie thematisieren das, was der Autor realiter erlebt hat, ohne dass „die Realität“ deutlich zur Sprache kommt.
Existentieller Bedrohung wird mit lakonischem Humor begegnet. Skepsis wird offensiv nach außen gekehrt, und gelegentlicher Pathos kann die schönsten Verwünschungen anrichten.
Über den Autor:
Ralf Rothmann, geboren 1953 in Schleswig, aufgewachsen im Ruhrgebiet, machte nach der Volksschule eine Maurerlehre und arbeitet später in verschiedenen Berufen. Er lebt und schreibt heute in Berlin.
Rezension:
Kratzer und andere Gedichte ist das Debüt des erfolgreichen Schriftstellers, der durch zahlreiche Erzählungen und Romane heute zu einem der anerkanntesten deutschen Autoren gehört. Ei starker beginn!
Der Gedichtband enthält 3 Abschnitte, betitelt mit Nasses Brot, Leere Gläser und Alles bezahlt mit insgesamt 60 Gedichten. Bei dieser Menge kann ich im folgenden nur auf einige eingehen.
Schon das erste Gedicht „Halbe Wahrheit“ zeigt Ralf Rothmanns speziellen Stil, der Realität verhaftet, versucht er andere mittel zu finden, diese auszudrücken.
Das Milieu der Arbeiter im Ruhrgebiet, z.B. auch unter Tage ist die Welt, die er zeigt, teilweise aber auch Berlin.
Treffende Bilder sind das, die erzeugt werden, mit einer Mischung aus Selbstironie und einem grimmigen Humor, der im nächsten Gedicht „Ende März“ noch deutlicher zum tragen kommt. Der Erzähler begrüßt den Frühling auf zynische Art, da er in seiner verflusten Kellerwohnung, im lumpigen letzten Loch, durch den Frühling nur noch zum Spott gereizt wird:
„Der Frühling ist da, der Frühling!
Verlangen Sie unseren Katalog!“
Immer wieder stellen seine Gedichte eine Kritik an de Glorifizierung des schönen Scheins dar. Das gilt z.B. für „August“
Er kritisiert die Verlogenheit der Politik in der endlich einmal ehrlichen „Rede des Regierenden“, nennt die Schäden der „Natur“ durch Umweltzerstörung.
Rothmann zeigt das Leben im Ruhrpott mit „Bergschächten, Familienbild“, inspiriert von der arbeit unter Tage. Auch für den Arbeiter an der Maschine ist ein „Schöner Tag" nur ein Zustand der Wut, da er mit Sicherheitsschuhen bekleidet, die Monotonie ertragen muss. Sein Verhalten daraufhin ist fast zu erwarten, also nicht nur typisiert.
Ein Rückblick in die Kindheit folgt in „Schulzeit“, recht drastisch. Mit Schulzeit 2 folgt später ein weiteres Gedicht.
Voller Komik hingegen ist Variation nach William Carlos Williams und verrät damit einen Einfluss des großen Vertreters der modernen amerikanischen Lyrik.
Der nächste abschnitt ist übertitelt mit Leere Gläser.
Bittere Ironie prägt „Die Firma dankt“
Es wird viel getrunken in Rothmanns Lyrik: „Liebestöter“, „Tequilla“, „Gefühlvolle Kälte“ und „Sylvester“
Mich begeistern immer wieder die Bilder, die Rothmann erzeugt, z.B. der Drache aus Blech als Symbol für den Straßenlärm in „Stein und Zerknirschung“.
Dann auch „Frühlingsregen“, ein Gedicht, das der Autor einmal las, als prasselnder Regen, bei dem kaum noch ein Wort verstand, ihn in seiner Lesung aus einem Roman unterbrach. Im letzten abschnitt folgt noch ein „Regengedicht“
„an Hamlet“: hier zeigt der Autor einen fragwürdigen zustand im Vergleich zu Hamlet in einer Mischung aus Witz und Wehmut.
Rothmann benennt den Zustand von krasser, kalter Realität und stellt ihm Träume entgegen „Traumgeld“ oder auch die Schönheit der Natur „weiter südlich“.
Der letzte Abschnitt heißt Alles bezahlt.
Hier gefallen mir besonders „Hommage á Meckel“, „Rost“, „Rauhe Lippen“ und „Nie wieder Paris“.
Fazit:
Wer Ralf Rothmanns großartige Romane und Erzählungen mag, sollte auch diese Gedichte einmal versuchen, da sie viele seiner wichtigen Themen schon enthalten.
Sie beinhalten ebenfalls gute Bilder, eine treffende Sprache und sind ein wahrer Lesegenuss!