Bars von Algier – Rachid Boudjedra

  • Gedichte
    Waldgut, 48 Seiten, 2001
    ISBN: 3729403214


    Kurzbeschreibung:
    Rachid Boudjedra ist einer der eindrucksvollsten Autoren der Gegenwart. In seinen Gedichten gelingt es ihm, die spezielle Denkweise und Gefühlswelt Nordafrikas und des Mittelmeers mit dem intellektuellen Klima Europas zu verbinden.


    Über den Autor:
    Geboren in Ain-Beida, Ostalgerien. Nach dem Schulabschluß 1959 nimmt er am Befreiungskampf teil. Danach studiert er Mathematik und Philosophie in Algier und Paris.
    Seien Romane und Gedichte sind auf Deutsch beim Verlag Donata Kinzelbach in Mainz und im Unionsverlag Zürich erschienen.


    Rezension:
    Äußerlich als schöner Heftdruck gestaltet, besteht die Gedichtsammlung innerlich aus zwei Teilen.
    Teil 1 beinhaltet Gedichte, die von Jochen Kelter übersetzt wurden Die Gedichte wurden von Rachid Boudjedra in Arabisch geschrieben. Der Autor hat sie dann zusammen mit Antoine Moussali ins Französische übertragen. Die autorisierten Übersetzungen aus dem Französischen von Joachim Kelter erschienen 1991 in Akzente.


    Die deutsche Übersetzung wird in diesem ersten teil immer die französische Version gegenüber gestellt.


    Es beginnt mit dem Gedicht „Regen“, in dem Rachid Boudjedra wie so oft ungewöhnliche Bilder wählt, um etwas treffend zu beschreiben und Atmosphäre zu erzeugen.
    Das Gefühl der Stadt in der Nacht wird als etwas altbekanntes ausgedrückt, aber es liegt dann doch etwas befremdliches, irritierendes in der Beschreibung:
    „Ein betrunkener der uriniert
    Wie ein gesprungen Fass
    Wenn es im garten meiner Mutter
    In Strömen gießt.“


    Ein ranziger regen strömt auch durch das nächste Gedicht „Die Märtyrer“.
    So tauchen viele Themen mehrfach in den Gedichten wieder auf.
    Zum Beispiel die Mutter in „Kindheit“, in der sie die Sprache verliert, wie auch Augen die zu Wartesaalen mit abwesendem Gemüt werden in dem titelgebenden Gedicht „Bars in Algier“.

    Später, im zweiten Teil, taucht die Mutter wieder auf in „Meine Mutter“ Ein eindrucksvolles Portrait in nur wenigen Sätzen.


    Einigen Gedichten wird das Thema Sexualität hinzugefügt. Zu nennen sind da „Azutejos“, „Freitag“, „Sommer“ und „Begehrlichkeit.“


    Orte spielen eine große Rolle:
    „Häfen“ ist desillusionierend. Nicht etwa eine Möglichkeit der Reise in eine bessere Zukunft wird gesehen, sondern nur eine Flucht, Traum und Tod.
    Auch später im zweiten Teil schreibt der Autor in „Jenseits von Blau“ über die Enttäuschung vom Meer.


    Für mich ist die mathematische Ausbildung des Autors in der Rationalität der Gedichte spürbar.


    So wirkt auch der Einsatz von Farben in „Kolorierung“ wissenschaftlich: „Blau weinen, zitronengelb lachen …“


    Immer wieder schafft es der Autor zu überraschen. So ist der Rasen der Fußballfelder in Santiago de Chile rot wie Blut.



    Teil 2: Hier sind die Gedichte aus dem Arabischen von Issam Beydoun übersetzt und von Donata Kinzelbach bearbeitet. Diese Gedichte sind schon 1991 als Gedichtband „Befruchtung“ erschienen. So habe ich diese Gedichte doppelt, aber immerhin in einer neuen Auswahl und gut gewählten Zusammenstellung.


    Sehnsucht ist spürbar in „Duft“.
    Es lohnt sich immer, auf die Titel zuachten, die wesentliches schon verraten und das Gefühl des Gedichtes beim Namen nennen, z.B. „Begehrlichkeit“, „Furcht“ und „Trauer“.
    Dabei aber durchaus immer auch in verschiedenen Interpretationsansätzen. So ist im Fall von „Trauer“ auch Wut spürbar über die Ungerührtheit des Mannes der seine Frau verlor, aber sich einfach eine Neue sucht, natürlich eine ungebrauchte, also eine Jungfrau.


    Boudjedra beschreibt oft Zustände, so in „Abende“, „Freitag“, „Der Herbst“, „Sommer“. (das Gedicht "Winter" fehlt aber in diesem Band).


    Das Gedicht Befruchtung geht über 4 Seiten und ist somit das längste in diesem band.
    Für mich ist es auch das Geheimnisvollste mit vollen Einsatz von Farben (safrangelbe haut aus graufarbenen Papyrus, violette Gewissensbisse), starke Empfindungen (Das Herz verwandelt sich in ein Heizgerät) mit erregten Ausrufen aus Träumen (Wer bist du? Beruhige dich!) und spannenden Bildern die beim lesen entstehen.


    Ein wenig davon hat auch das abschließende kurze Gedicht „Abende“, jedoch mit einem deutlichen Gefühl der Vergänglichkeit ergänzt.


    Fazit:
    Bars in Algier vermittelt nicht unbedingt das Gefühl, den der Titel impliziert. Wir haben hier keine Trinklieder vorliegen. Boudjedra vermeidet jedes Klischee. Es wird auf die Üppigkeit des Orientalischen verzichtet, erst recht auf ein Gefühl von 1001 Nacht.


    Satzzeichen werden in den Übersetzungen sparsam eingesetzt, da sie auf außer dem Punkt am Ende auch im Arabischen üblicherweise nicht vorkommen.
    Überhaupt ist die Übersetzung wie die Bearbeitung offensichtlich ein großer Trumpf des Buches. Das erlaubt ein unbeschwertes Lesen ohne das Gefühl, dass etwas entscheidendes fehlt.


    Boudjedra drückt in seinen Gedichten ein breites Spektrum an Emotionen aus, bleibt dabei meistens rational. Vorherrschend ist Nüchternheit, genaue Wahrnehmung, eine gewisse Trauer. Seine Poesie entbehrt aber der Vergänglichkeit.
    Seine Sätze sind voller Kraft. Ich erhalte beim Lesen das Gefühl der Unbestechlichkeit in der Wahrnehmung. Dabei ist er immer originell und oft überraschend.