Ich bin so frei. Mein Leben - Oswalt Kolle

  • Erinnerungen und Schilderungen des eigenen Lebens sind ein Stück Literatur, dem ein gewisser Ruch anhaftet, und das nicht unverdient. Selbstverliebtheit und Eitelkeit, Macken und Gemeckere, Rechthaberei und Rechtfertigungsgehabe bis hin zur Denunziation werden zelebriert. Die Wahrheit grüßt vom Mond und der wahre Informationsgehalt beschränkt sich nicht selten auf die wortlose Sprache der beigefügten Fotos. Das Ego, aufgeplustert bis zum Äußersten, dreht Pirouetten im vollen Scheinwerferlicht, gierig nach Applaus.
    Daß gerade diese Autobiographie zu mir gefunden hat, ist einem Radio-Interview mit dem Autor geschuldet, in das ich zufällig geriet. Nach wenigen Sätzen war klar, daß hier jemand spricht, der so einiges zu sagen hat.


    Oswalt - das ‚t’ ist richtig, nur die Nazis verpaßten dem kleinen Schüler zeitweise ein ‚d’ am Ende, weil die Form mit ‚t’ als ‚jüdisch galt (keine Wahnvorstellung war zu gering damals, um sie nicht auszuleben), Oswalt Kolle, also, Jahrgang 1928, geboren in Kiel, achtzig Jahre alt inzwischen, lebt in Amsterdam. Den Namen des Protagonisten kennt jede und jeder, irgendwie, irgendwo klingelt auch bei heute ganz jungen Menschen etwas, das ihn zwischen Aufklärung und Pornographie einordnet. Das mit der Pornographie passiert einer nach Lektüre des Buchs nicht mehr.


    Kolle ist Sohn eines der bedeutendsten Psychiaters Deutschlands vor dem Nationalsozialismus, Kurt Koch, u.a. Schüler von C.G. Jung, und Enkel des Bakteriologen Wilhelm Kolle, ein Schüler Robert Kochs. Wichtiger als die ‚akademische Abstammung' aber ist, daß der Großvater zu den Unterstützern von Magnus Hirschfeld gehörte in dessen Kampf um die Abschaffung des § 175, der Homosexualität unter Strafe stellte. Mit diesem Paragraphen sollte auch Enkel Oswalt noch zu tun haben. Eine Familie mit aufklärerisch-liberaler Tradition, also.
    Berufs - und Publikationsverbot für den Vater während des Dritten Reichs, der sich nie gescheut hatte, Hitlers Anhänger öffentlich zu Verrückten zu erklären. Zugleich war er deutsch-patriotisch gesinnt, die typischen Spannungen der Zeit. Auf Kiel folgte Frankfurt, eine Stadt, an der Kolle sichtlich hing. Krieg, HJ, Wehrmachtshelfer und ein aufschlußreicher Kommentar zur Hetze gegen Günther Grass wegen dessen ‚Geständnis’, der SS angehört zu haben.


    Hier, wir sind auf S. 45, ist schon das Muster sichtbar, dem die Autobiographie folgt. Es wurde eine ‚Geschichte’ gemacht aus dem Leben, unterbrochen wird aber für Kommentare zu aktuelleren Ereignissen, wenn sie sich aus dem Zusammenhang ergeben. Das hat einiges von einer Gesprächssituation. Da das Ganze sehr knapp gehalten ist, läßt die Spannung kaum nach. Als LeserIn befindet man sich damit nicht nur in der KonsumentInnen-Situation, sondern wird immer wieder zum Nachdenken angeschubst. Kolle ist sehr für Selbständigkeit.


    Nach dem Krieg die zunächst freien und aus der Perspektive seiner Jugend heraus scheinbar sorglosen frühen fünfziger Jahre. Der Berufswunsch, Landwirt, zunächst konsequent verfolgt, erweist sich als nicht wirklich überzeugend. Mit Anfang zwanzig erste Schreibversuche und die Begegnung mit dem Journalismus. Auf den Frankfurter Lokalteil folgt die große Welt, Hamburg, die Bild-Zeitung. Der dort schon damals typische Stil des Hauses stößt Kolle ab, er geht nach Berlin. Mit seiner Eintritt bei der B.Z., damals noch zu Ullstein gehörig, beginnt seine erste Karriere als Berichterstatter über die Welt der Reichen und Schönen. Bald wollen alle Kolle. Curd Jürgens und die Knef, Rita Hayworth, Hans Albers und die Filmfestspiele in Cannes.
    Der Klatsch hält sich in erträglichen Grenzen, wichtig sind recht aufschlußreiche, wenn auch sehr knappe Informationen über die Zeitungs - und Zeitschriftenlandschaft der BRD. Die Beschreibung des Skandals, als die Bundesregierung 1956 versuchte, den Dokumentarfilm von Resnais über das Schicksal der 1940 aus Frankreich verschleppten GegnerInnen der Nazis von der Liste der für Cannes geplanten Filme streichen zu lassen, ist dagegen dankenswert ausführlich.


    Ende der Fünfziger der Einstieg in das Leben als freier Reporter, zugleich aber wachsende Unlust, weiterhin am Leben der Prominenz teilzuhaben, so verlockend und glamourös es auch ist. Ein Zufall hilft und mit ihm kommt der Beginn die zweite Karriere, die ernste, die Karriere des Aufklärers. 1964 erscheint in der Zeitschrift Quick die Serie ‚Dein Kind, das unbekannte Wesen’.
    Von Anfang an liegt Kolle an der Vermittlung modernster wissenschaftlicher Erkenntnisse an ein breites Publikum. Die fachwissenschaftliche Untermauerung hält die KritikerInnen nicht ab: das Kind ein sexuelles Wesen! Die Rechtsabteilung der Zeitschrift bekommt ordentlich zu tun. Das ist aber kein Vergleich zu dem, was über sie hereinbricht, als 1967 die Serie ‚Dein Mann, das unbekannte Wesen startet’, - für Frauen geschrieben, betont Kolle, dicht gefolgt von ‚Deine Frau, das unbekannte Wesen’.
    Die Bundesprüfstelle für Jugendschutz, einzelne CDU-Minister, die katholische Kirche, 'betroffene' BürgerInnen, alles rast. Die Nation hat ihren Skandal. Er wird fast zehn Jahre dauern.


    Ab hier kommt auch Kolles persönliche Entwicklung und Prägung zum Tragen, die bislang stückchenweise zugefüttert wurde. Seine Leidenschaft für Frauen und Männer - er ist bekennend bisexuell, sein ‚Vertrag’ mit seiner Frau.
    Er sieht sich als Aufklärer, und das ist er tatsächlich. Aufklärer bleibt er weiterhin, gleich, ob es viele Jahre später um Sex im Alter oder, längst in den Niederlanden, um Sterbehilfe geht.
    Das paßt durchaus zusammen, denn es ging Kolle nie ausschließlich um Sex, es ging immer um Liebe. Das macht er ganz klar.


    Es gibt keine politischen Kommentare in diesen mit 300 Seiten in großer Schrift sehr kurzen Memoiren, die zugleich ein Bild der BRD zwischen 1945 und 1975 sind. Politisch-analytische Betrachtungen haben Koll nie interessiert. Wer so etwas sucht, wird hier enttäuscht sein. Der Sprecher ist der Individualist, der Einzelkämpfer, der tut, was er für wichtig hält, wovon er überzeugt ist. Das betreibt er dann mit allen Mitteln, die ihm nur zur Verfügung stehen.


    Es gibt einiges an Klatsch und Liebesgeschichten, Namen von Berühmtheiten fallen genug. Durch Kolles besondere Betrachtungsweise und Freizügigkeit gewinnen sie aber durchaus einen Mehrwert über den bloßen Klatsch hinaus. Das sich daraus ergebende Bild von der erdrückenden starren Moral der Adenauerjahre läßt eine heute schaudern. Ergänzt wird das Ganze übrigens durch einen Insiderbericht über die sog. Profumo - oder Keeler-Affäre in England, über die Kolle als Journalist berichtete.
    Es gibt viele Photos, allerdings nicht gesondert in einem Bildteil, sondern auf den Seiten abgedruckt. Das bringt Nachteile in der Bildqualität, hebt aber die Bedeutung des Texts, weil das, was beschrieben wird, direkt illustriert wird.


    Durchaus informativ, kein reines Klatschbuch, in machen Einschätzungen kontrovers zu sehen, hat das Ganze einen ‚echten’ Klang. Zu so manchen hätte man gern mehr gehört, die eine oder andere Anekdote aus den zahlreichen Redaktionen ist vielleicht ein wenig lang geraten. Der Sinn für das, was wesentlich ist, siegt aber immer. Es gibt viel Privates, Kolle ist jedoch selbstironisch genug, um so manche kleine Selbstgefälligkeit auszugleichen. Einiges an Eigenlob hat er sich aber redlich verdient, daran gibt es keinen Zweifel.
    Eine überraschend liebenswerte Selbstbeschreibung, ein schön gemachtes Buch. Daß die Seitenzahlen wieder mal auf halber Höhe des Textblocks stehen, hätte nicht sein müssen, es irritiert beim Lesen. Dafür hat das Buch ein Lesebändchen, rot, wie die Liebe.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Wenn man in der "Kolle-Zeit" aufgewachsen ist bzw. Mitte der Sechziger Jahre vieles für sich entdeckt hat, dann ist diese Autobiographie sicher von einigem Interesse. Auch wenn die Kolle-Serien in der Quick, oder seine Kinofilme sehr oft nur mit einem verschämten Blick angeschaut wurden, so hat er doch das sexuelle Verhalten einer ganzen Generation stark beeinflusst.


    Und was macht er heute? Wenn ich es richtig gelesen habe, dann macht er als D-Promi bei dieser fürchterlichen VOX-Kochsendung (Promi-Dinner) mit. Ein wirklich tiefer Fall, in einem Boot mit Rene Weller und dergl...... :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich selbst habe ihn seinerzeit nicht mitgekriegt, bin grad um ein paar Jahre zu jung.


    Was sein heutiges Auftreten angeht:
    ich habe geschrieben, er sei selbstironisch, nicht selbstkritisch.
    :grin

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali


    Was sein heutiges Auftreten angeht:
    ich habe geschrieben, er sei selbstironisch, nicht selbstkritisch.
    :grin


    Da säbelt jemand halt mit Verve sein eigenes Denkmal um. Da scheint jemand nur mediengeil zu sein; aber irgendwann tut halt überhaupt nichts mehr weh.... :grin

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Kolle ist weder ein Denkmal, noch steht er auf einem Podest.
    :-)


    Er ist achtzig. Er hat einiges geleistet und kann auf manches stolz sein.
    Wenn er sich jetzt noch in den Medien zum Affen machen will, na nu. Wir leben in einem freien Land, ne?




    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus