Gedichte
Berlin-Verlag, 1999, Gebunden, 124 Seiten
Originaltitel: Morning in the burned house
Übertragen von Beatrice Howag
Kurzbeschreibung:
Nach einer Pause von zehn Jahren veröffentlicht Margaret Atwood mit Ein Morgen im verbrannten Haus wieder eine Gedichtsammlung. Die Gedichte - dunkel, spielerisch, hart, voller Zärtlichkeit - ergeben nach der kanadischen Kritik Atwoods bisher schönsten und reichsten Gedichtband. Einige Gedichte beziehen sich auf die Geschichte oder auf klassische und populäre Mythen. Andere, persönlichere, gelten der Liebe und - besonders in den elegischen Meditationen über das Sterben des Vaters - dem Tod.
Über die Autorin:
Margaret Atwood wurde als Lyrikerin in Kanada bekannt, bevor sie 1969 ihren ersten Roman Die essbare Frau schrieb. Seitdem hat sie in Kanada und den USA elf Gedichtssammlungen veröffentlicht, die vielfach ausgezeichnet wurden. Ihr belletristisches Werk mit Gedichten, Erzählungen und Romanen ist schon heute zur Weltliteratur zu zählen.
Margaret Atwood lebt mit ihren Mann, Graeme Gibson in Toronto.
Rezension:
Das Buch besteht aus 5 Abschnitten mit insgesamt 45 Gedichten.
Bei dieser liebevoll gestalteten Ausgabe des Berlin-Verlags kann ich dem guten Klappentext in vielem nur Recht geben. „dunkel, spielerisch, hart, voller Zärtlichkeit“. Das trifft es gut.
Atwood hat in vielen Gedichten eine Leichtheit ohne dabei an Substanz zu verlieren. Es fehlt jegliche Verkrampftheit.
Die Sprache ist oft schlicht gehalten und sparsam eingesetzt.
Schon im ersten Gedicht „Du kommst zurück“ wirft die Erzählerin einen verblüfften Blick auf ihr eigenes Leben. Kann sie es sein, die in dieser Wohnung lebt und liebt?
Immer wieder sucht Atwood den Moment der Erkenntnis, der Erinnerung, die Wertbarkeit der Vergangenheit.
Erstaunlich dass auch oft eine Spur von Humor vorhanden ist, ebenso wie Ironie.
Dieser Moment der plötzlich erlebten Emotion prägt auch „Ein trauriges Kind“. Der Leser kann den Gefühlen leicht folgen und verstehen, da sie vollkommen einleuchtend, aber nie platt erzählt werden.
Atwood lässt Melancholie und Traurigkeit zu, ohne zu depremieren, so ist die Erinnerung an die Zeit von vor vierzig Jahren in „In der säkularen Nacht“ zwar wehmütig, aber nicht verzweifelt.
Noch oft beschreibt Atwood den Zustand des Alterns und die Angst davor.
Dann setzt die Autorin wieder überraschende Momente ein, wie das Heulen von Sirenen weil draußen jemand überfahren wurde. So verhindert sie es, dass der Leser in die Erinnerungen nur eingelullt wird.
Der Rückblick bestimmt auch das Gedicht „Warten“, diesmal sogar 50 Jahre zurück.
Februar: „Zeit fett zu essen und Eishockey zu gucken“
Mit wenigen Sätzen wird das kanadische Leben entworfen.
Essen spielt immer wieder eine Rolle in ihren Gedichten, so auch in „Spargel“, aber auch in anderen.
Pommes Frittes mit einem Schuss Essig, Garnelen, Vanilleeis, Traubensaft und Ginger Ale, Limabohnen und mehr. Üppiger tischt auch ein Günter Grass nicht in seinen Gedichten auf, nur ist die Tafel bei Margaret Atwood appetitlicher und weniger nur Selbstzweck.
Auch Tiere spielen eine wichtige Rolle in Atwoods Welt:
Der kleine Krieg zwischen Katern, eine rote Füchsin, Kranke Fische und ein Aal mit einem toten Auge.
Folgen einer Umweltzerstörung.
Atwood, die in Ontario in den Vierzigern aufgewachsen ist, lebt im Einklang mit der Natur und der Landschaft Kanadas, die sie ganz selbstverständlich in ihre Gedichte integriert:
Beigefarbene Tümpel in den Wäldern, Winterweizen auf den Feldern oder der Ottawa-See.
Ihren ungewöhnlichen Blick auf Kunst beweist Atwood im zweiten Abschnitt des Buches, zum Beispiel in einer leicht spöttischen Betrachtung von Edouard Manets berühmten Gemälde Olympia oder aber in dem Gedicht mit dem langen Titel: „Sachmet, die löwenköpfige Göttin des Krieges, der Sturmgewalten, der Pestilenz und der Genesung von Krankheiten, denkt im Metropolitan Museum of Art an die Wüste“.
Überraschend startet Atwood auch in den dritten Teil mit dem Gedicht „Romantisch“, dass erstaunlicherweise die Hausarbeit thematisiert. Nur bei ihr wird das Unterhosen waschen nicht banal.
Immer wieder porträtiert sie die Rolle der Frau und der Feministin, z.B. in „Die Einsamkeit der Militärhistorikerin“, dabei bleibt sie unaufdringlich, obschon sie mit drastischen Bildern arbeitet.
Zu nennen ist da auch „Ava Gardner, wiedergeboren als Magnolie“, komplett aus der Sicht der männermordenden Diva geschrieben.
Ein absolutes Highlight ist für mich das lange „Half-hanged Mary“, in der eine Frau (Mary Webster) in einem Puritanerstädchen als Hexe verfolgt und aufgehängt wird – doch sie überlebt.
In langen Stunden analysiert die Gehängte ihre Rolle und die Umstände, trotz ihrer Lage durchaus spöttisch und mit Ironie.
Die Gesellschaft wird bloßgelegt in ihren Bestrebungen die Frau in eine Rolle zu prassen.
Diese Art des Erzählens erinnert mich auch an Atwoods Prosa, etwa ihren Roman Alias Grace.
Oft blickt Atwood zurück. In „Ein rosa Hotel in Kalifornien“ sogar bis in ihre Kindheit ins Jahr 1943.
Im vierten Teil steht der Vater und der Tod im Mittelpunkt.
Vieles gestaltet sich träumerisch.
In diesen Traumgedichten wird die Vergangenheit besonders klar, der Traum als die unbestechliche Erinnerung.
Mir gefällt besonders „Der Ottawa River bei Nacht“.
Der fünfte und letzte Teil schließt mit „Scharlachroter Fliegenschnäpper, San Pedro River, Arizona“ nahtlos an.
Dieses herausragende Band schließt dann mit dem titelgebenden Gedicht „Ein Morgen im verbrannten Haus“:
„Ich esse mein Frühstück im verbrannten Haus.
Du verstehst schon: es gibt kein Haus, es gibt kein Frühstück,
und doch bin ich hier“
Es ist dieser klaren Sprache zu verdanken, dass der Leser Atwood auf ihrer intensiven Suche, dem Aufspüren der Erinnerung so ganz und gar leicht und intensiv begleiten kann.