'Die Säulen der Erde' - Buch 2 - Seiten 0397 - 0465

  • Schau grad wieder die serie auf etappen


    Was mich jetzt nicht so verwundert hat, ist der schwur, dass der vater verlangt, dass die kinder sich den eigenen stand rückerobern, weil sie sonst in seinen augen keine existenzberechtigung haben. Das standesbewusstsein war im MA teilweise so ausgeprägt wie das indische kastenwesen, und genauso undurchlässig.

    Wenn ich Aliena gewesen wär, hätt ich den kleinen noch ganz anders behandelt; in etwa so wie meine urgroßeltern meine großeltern: ich hätt seine arbeitskraft beinhart an den nächsten bauern vermietet, damit er mal lernt, wo das essen und die kleidung her kommt. - Aber einer echten Aliena wäre ob standesdünkel so eine sache gewiss nie eingefallen.


    Beim lesen ist mir das gar nicht so störend aufgefallen, aber jetzt beim ansehen der serie:


    Was mich weiter etwas überrascht, ist, dass die engländer in dieser geschichte um diese zeit so freizügig sind, denn bei uns im MA war es nahezu unmöglich die grenze von einer grundherrschaft zur nächsten zu übertreten, wenn man keinen pass oder keine papiere hatte, oder bereits einem neuen grundherren oder arbeitgeber zugeschrieben/an ihn verkauft worden war, oder von einem handels/bauherrn zum nächsten geschickt worden war.


    Wer keinen entlassungsbrief, und keine empfehlung und neuzuschreibung hatte, sowie keinen passagierschein und auch kein zollgeld hatte, kam nicht mal über eine brücke, und auch in die meisten grundherrschaften und städte gar nicht rein. Und einen paß etwa als händler zu bekommen, dürfte ziemlich schwer gewesen sein, da muss man sich zuerst bei einem händler andienen. Das geht wohl kaum so, wie in der geschichte: ich handle jetzt mal schnell mit wolle. Wer was verkaufen darf, war schon damals strikt geregelt, die rangeleien um den markttag, beinhalteten auch wer wo was wann verkaufen darf.


    dass man überflüssig empfundene leute von seinem grund und boden verjagt, ist eher eine spätere erscheinung. - Nun, einen großteil der überflüssigen überbevölkerung, hatte man in europa zu dieser zeit mit landesausbau, den stadtgründungen beschäftigt und auch schon in den orient auf kreuzzug geschickt (jüngere adelssöhne und deren niederadelige pagen und knappen), mit der vagen hoffnung, dass sie jahrelang weg waren und nach möglichkeit dort blieben, und im inland rückkehrend kein chaos verursachten.


    Das ganze harte reglement änderte sich erst nach der ersten pestwelle, nach der sich leute aus bevölkerungsschwund auch geburtsstandesfremde arbeit suchen und mangels wachpersonal und verfolgung und gewaltsamer rückholung auch in nachbarherrschaften und vor allem städte flüchten konnten, welche die abhängigkeit vom nächst-höherrangigen nachbarn oder nächst höheren grundherrn durchschnitten.


    So frei herumziehende handwerker waren im MA auf weiter strecke kaum möglich. Da hatte man schon ein sendschreiben mit, in dem stand, wer einen zu wem warum schickte, sonst durfte man so einen herrschaftsbereich gar nicht verlassen/durchqueren, und die grenzen nicht übertreten.


    Fahrende fernhändler und spielleute waren davon auch nicht ausgenommen, und sogar die wollte man schröpfen bzw meist nicht lange durchfüttern und war man froh, wieder los zu werden, aber das war ein geringer bevölkerungsteil, der großteil war schollen und bodengebunden, einzig die könige und ihr hofstaat waren immer unterwegs, alle anderen waren in ihrer bewegungsfreiheit ziemlich eingeschränkt.
    Und wenn man als könig einen unbotmäßigen aus seiner untergebenenschar hinrichten lässt, ist man für die unterbringung der hinterbliebenen kinder zuständig: die tötet man aus sippenhaftung, steckt man als mündel etwa in das nächste kloster, zwangsverheiratet sie, oder findet ihnen einen platz als page, die versorgung der waisen und witwen ist verantwortungsbereich des königs oder des regierenden klüngels, die können sich gar nicht so auf eigene faust durchbringen: das wird ihnen von den standesgenossen damals gar nicht erlaubt.


    Fahrende im 'großen stil' mit wanderhandwerk und gelegenheitsjobs gibt's nach der konsolidierung am ende der VWZ erst seit dem 13. Jhd mit den vom Balkan vertriebenen zigeunern, und über dieses fremde fahrende volk war man in ganz europa nicht grad begeistert - so wenig wie mit den juden, die man überall ausgrauste.


    Las grad Himl über die böhmische grundherrschaften, inclusive leibegenschaft, die dort noch bis in die mitte des vorvorigen Jhdt andauerte, man musste sich sogar einkaufstouren in die nächste stadt bestätigen lassen, und durfte seine überproduktion erst nach sichtung einesamtmannes verkaufen, auch konnte man nicht so einfach ohne bestätigung das mädchen aus dem gehöft einen hügel weiter heiraten, denn der nachbarhof gehörte häufig schon zu einer anderen grundherrschaft, und da wurde jeweils um die einzelnen untertanen gefeilscht, wieviele auswärts heiraten durften, und wie viele wieder zurückgeheiratet werden mussten, damit keiner einen nachteil hat; -
    obendrein hat man im MA nich in der kirche geheiratet, sondern vorder kirche. Priester gaben bestenfallsihren segen auf den ehevertrag, was mich beim film störte.
    auch zur berufsausbildung der kinder musste man die erlaubnis des grundherrn einholen, man konnte nicht einfach sagen; du lernst schmied, du wirst maurer, das hat der grundherr entschieden, was besonders bei der frage, ob bauernsöhne lesen und schreiben lernen dürfen, ein problem war: da brauchten sie die fürsprache des pfarrers und die bestätigung eines klosters, das einen laienbruder - zur schwereren arbeit) brauchte.


    - Und es war woanders noch schlechter, denn leute, die in der pupertät aus rebellion und trotz geflohen waren, und nach jahren/jahrzentelangem tagelöhnertum ohne aufstiegsmöglichkeiten in der fremde wieder zurück wollten, hatten große probleme, wieder in die heimatdörfer zurück zu dürfen, man war als entlaufener leibeigener und tagelöhnender landstreicher, mehr oder weniger vogelfrei, man konnte noch als religiöser wanderbettler/pilger zu einem heiligtum reisen, aber auch dazu brauchte man einen eigenen pilgerpaß, der bestätigte, dass man von seiten seines heimatortes losziehen durfte - die heutigen jakobswegs-stempel sind der rest davon- das sogenannten freien religiösen wanderbewegungen, das beghinen und begharden-wesen, und die teilweise gewaltsame reaktion auf selbstberufen religiös wandernde gruppen, die sich nach eigenem ermessen auf den weg machten, und sich durch privatstiftungen bekehrter förderer eher eigenmächtig niederließen, aber vom angestammten klerus rasch verfolgt und verdrängt waren, sprechen für sich, dass freiheit, wie wir sie heute verstehen - reisefreiheit - in weiten teilen Europas kaum möglich war.


    Dass die pest plötzlich ein chaos auslöste, von bettlern und entwurzelten fahrenden aus den nachbarregionen, die sich leerstehende gehöfte aneigneten, die ihnen standesmässig nicht zustanden, bauern, die scharenweise aus der leibeigenschaft entliefen und als handwerker bzw apokalyptische prediger und geissler durch die länder zogen, mägde selbstbewusst ihre lohnforderungen höher schraubten, und die grundherren das für allgemeine anarchie und den untergang der angestammten lebensweise hielten, kennt man aus den dokumenten.


    Von einem 'freien' mittelalter kaum eine spur. - Frei war man bestanfalls in den städten, und da wurde auch sehr rasch von den gilden geregelt, wer was durfte.

    DC :lesend


    Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens I


    ...Darum Wandrer zieh doch weiter, denn Verwesung stimmt nicht heiter.
    (Grabinschrift F. Sauter )

  • Zitat

    Original von MagnaMater
    Wenn ich Aliena gewesen wär, hätt ich den kleinen noch ganz anders behandelt; in etwa so wie meine urgroßeltern meine großeltern: ich hätt seine arbeitskraft beinhart an den nächsten bauern vermietet, damit er mal lernt, wo das essen und die kleidung her kommt. - Aber einer echten Aliena wäre ob standesdünkel so eine sache gewiss nie eingefallen.


    ne das geht mal gar nicht. Die kleinen wurden damals schon grausam genug behandelt und wie kann man da noch so grausam sein und so einen kleinen Burschen der auch noch so schlimmes erlebt hat einfach vermieten? In meinen Augen hat das nichts mit Liebe zu tun, sondern ist nur selbstsüchtig. Ich fand Aliena ging schon krass genug teilweise mit Richard um. Klar, ist es gut, wenn er weiß wie es in der Welt zu geht, aber man kann es auch übertreiben.


    Zitat

    Original von MagnaMater
    Was mich weiter etwas überrascht, ist, dass die engländer in dieser geschichte um diese zeit so freizügig sind, denn bei uns im MA war es nahezu unmöglich die grenze von einer grundherrschaft zur nächsten zu übertreten, wenn man keinen pass oder keine papiere hatte, oder bereits einem neuen grundherren oder arbeitgeber zugeschrieben/an ihn verkauft worden war, oder von einem handels/bauherrn zum nächsten geschickt worden war.


    So wie ich es verstanden hab konnten die Grundherrn (zum Beispiel ein Graf) nur mit Leibeigenen mehr oder weniger machen was sie wollten, aber mit den anderen nicht. Und ich glaub Ken Follett wird sich schon genügend mit der Geschichte auseinander gesetzt haben um zu wissen wie es damals in England ablief. Und die Vorstellung, dass ein Grundherr über alle anderen bestimmen konnte wie er wollte ist einfach grausam. Besonders, wenn man dann jemanden wie William Hamleigh hat. Kann mir nicht vorstellen, dass die Leute so rein gar keine Rechte hatten. Das mit den Grenzen kann ich mir zwar schon vorstellen, also den Länder - und Gebietsgrenzen, aber so ist das schon viel zu krass. Aber wie gesagt kenn mich nicht so mit der Zeit aus und weiß auch nicht was MA bedeutet. Aber ich find das auch so schon alles grausam genug. Wenn das so gewesen wäre wie du es beschreibst glaub ich nicht, dass ich lange durchgehalten hätte zu lesen.


    Zitat

    Original von MagnaMater
    ich handle jetzt mal schnell mit wolle. Wer was verkaufen darf, war schon damals strikt geregelt, die rangeleien um den markttag, beinhalteten auch wer wo was wann verkaufen darf.



    das kam mir auch etwas seltsam vor. Aber andererseits denke ich Aliena hat erst mal geguckt wie sie es schafft und dann wird sie sich wohl bei Philipp angemeldet haben. Ich denke das wird nie ein Problem gewesen sein, denn Philpp hat das immer gewilligt. Und sie hatte ja genug Schwierigkeiten ihre Wolle beim 1. Mal los zu werden.


    Zitat

    Original von MagnaMater
    So frei herumziehende handwerker waren im MA auf weiter strecke kaum möglich.


    studierst du Geschichte oder woher willst du das alles so genau wissen? Außerdem kann es ja sein, dass es in Engeland anders war. Ich kann mir schon vorstellen, dass einige frei rum liefen ohne dass jemand groß was davon wusste.


    Zitat

    Original von MagnaMater
    Und wenn man als könig einen unbotmäßigen aus seiner untergebenenschar hinrichten lässt, ist man für die unterbringung der hinterbliebenen kinder zuständig:


    das fand ich auch merkwürdig. Allerdings find ich die Leute allgemein fast alle nicht hilfsbereit. Jeder scheint nur auf sich selbst zu achten. Wenn es wirklich so war wie du beschreibst kann ich mir kaum vorstellen, dass jemand wie William wirklich so weit kommen konnte wie er gekommen ist. Will an dieser Stelle nicht mehr verraten.


    Zitat

    Original von MagnaMater
    obendrein hat man im MA nich in der kirche geheiratet, sondern vorder kirche. Priester gaben bestenfallsihren segen auf den ehevertrag, was mich beim film störte.


    auch das hab ich noch nie gehört. Nirgendwo. Was ist wenn es mal geregnet hat oder gestürmt oder so? Wären sie dann trotzdem draußen geblieben?




    Also auf was ich auf Wikipedia zur "Grundherrschaft" finde hört sich überhaupt nicht so krass an wie du schilderst sondern das ist lediglich das war Follett auch schon berichtet hat, dass die Bürger Abgaben an den Grundherrn abliefern müssen und dass die Grundherrn ihren Bürgern aber in Notfällen auch Schutz bieten müssen. Letzteres hab ich bei diesem Buch allerdings noch kaum erlebt. Klar, William meint er habe das Recht seine Leute behandeln zu können wie er will, aber im Grunde kann ich mir nicht vorstellen, dass das stimmt. Selbst damals nicht. Das mit den Grenzen mag sein, aber sonst hab ich nichts weiter darüber jetzt nach kurzem Suchen gefunden. Vielleicht nach längerem Suchen.


    Sicher, teilweise magst du recht haben, aber es gibt schon Unsterschiede zwischen den Einzelnen Leuten. Allein bei Bauern gab es damals drei verschiedne Unterteilungen. Freie Bauern, Unfreie Bauern und Halbfreie Bauern. Die Freibauern hatten ja kein direktes Abhängigkeitsverhältnis auch wenn sie später immer weniger wurden.


    Und es wurde doch auch gesagt, das Dorf beim Kloster gehöre Philp und Philip war eben sehr großzügig. Und William kämpft ja lange um den Titel als Graf. Von daher wundert mich das in dem Bereich jetzt nicht so.

  • Dieses Kapitel fand ich echt mühsam. Irgendwie war ja vorherzusehen, dass es Aliena und Richard nicht einfach haben werden. Das Beste war wirklich als Philipp den beiden aus der Patsche half. Immerhin ist er ja auch nicht ganz unschuldig an ihrem Schicksal. Er hat ja den Hamleigh zu der Grafschaft verholfen.


    Ich bin gespannt, ob die beiden Kinder den Schwur einhalten können!

  • Ja, ich habe unter anderem geschichte studiert, und ich studiere sie noch immer, weil es nie aufhört, wenn man mal damit angefangen hat.


    In die kirche geht man für die ehe erst seit der mitte des 13. jhds vorher hat man den ehevertrag (zumindest in italien) bei einem notar aufgesetzt und unterschrieben oder es war überhaupt nur ein mündlicher vertrag und er wurde meisst mit handschlag der väter vor zeugen besigelt - die meisten ehen waren bei der schliessung bis ins 13.Jhd eher ungesegnet, weil eheschluss ein weltlicher - und damit letztendlich lösbarer - vertrag, kein kirchlicher war, und dann hat sich das göttlich absegnen - gewissermassen eine haltbarmachung des ehevertrags durch den priester eingebürgert, zuerst vor der kirche, weil unreine weltliche/fleischliche belange nichts im kircheninnern zu suchen haben, dann ab dem 13. Jhd in der kirche.

    Man hat damit das wirrwarr des römischen - und auch gallischen - und wohl auch altgermanischen/etwa vikingischen eherechts beendet, das bis zu sieben unterschiedliche ehearten kannte (je nachdem wie der mann an die frau geriet, und welche vereinbarungen er mit deren familie (nicht)getroffen hatte). Von raub und kauf, also sklaverei bis zur besuchsehe ist ein sehr breites feld, das 'ehe'frauen etliche rollenbilder von der sklavin bis zur tochter/nichte des hausherren die gelegentlich ihren favouriten zwecks produktion legaler erben empfängt, zuweist.
    Auf diese weise haben - bis ins 12. Jhd jeder der es sich leisten konnte, und der genug lebensmittel und sicherheiten zur verfügung stellen konnte, um als ernährer und kindesvater attraktiv zu sein, mit den diversen eheformen sich ganze harems zusammengestellt.

    Erst bei der erbschaftsfrage der kinder war eine staffelung der wertigkeit der jeweiligen ehe wichtig, ob durch das geburtsalter oder die stellung der mutter im haushalt des vaters. Es wurde bald wichtig, wessen mutter die prinzessin, die konkubine, die magd war.
    Lebende väter haben sich über diese frage selten gekümmert, das haben die söhne (gelegentlich auch die enkel dann untereinander ausgefochten). Vor allem das frühe mittelalter ist voll von bösen onkeln, die den angeblich rechtmäßigen könig nicht zum zug kommen liessen, weil die mutter Erelieva oder Herleve hiess - das ist höchstwarscheinlich angesichts der kaum überlieferten frauennamen kein tatsächlicher ursprünglicher frauenname, sondern bezeichnet durch die blume das väterliche 'liebchen', und das liebchen produziert rechtlich kegel, die von den söhnen der hauptfrau hinausgebissen werden, wenn sie nicht strategisch zur selbsterhaltung auf die funktion als handlanger für einen älteren bruder hinarbeiten.


    Das frühe mittelalter ist extrem dankbar für die rekonstruktion der verworrenen familiengeschichten mangels allgemeingültiger eheregeln, vor allem die französischen frühmittelalterlichen adelshäuser sind gut untersucht, man muss sich gar kein buch kaufen: man kann auf wiki einfach mal Karl der Große, oder Pippin der Kleine eingeben, und dann die generationen der reihe nach bei den einzelnen kindern hinunter turnen - (mit einschränkungen auch bei den Merowingern, obwohl die quellenlage extrem schlecht ist, und eventuell christlich überschrieben wurde, die meissten frühmittelalterlichen könige hielten sich einen harem, und ich bin stellenweise nicht sicher, wie weit die weltoffene nähe der Merowinger nicht nur zum heidentum, sondern auch zum frisch aufkommenden islam ausgeprägt war, erst die hausmeier mit ihrer prochristlichen politk legen eine richtung fest)


    lektüre lohnt sich vor allem in der französischen version bei den halbbrüdern, dann weiss man, was da in adelsfamilien gepielt wurde, und redet nicht mehr über psychologische traumata, die haben vor den 1960ern keinen gekratzt, man hat da schon mal dem überflüssigen wiegenkind den polster aufs gesicht gedrückt, stiefsöhne in brunnen geschubst, und die ganze nebenlinie samt dem kleinen großneffen über die klinge hüpfen lassen, die einzelnen überlebenden erben, die da jahre später auftauchen, sind ein fall für legenden, man hat gewusst, dass man da extrem gründlich arbeiten muss, und besser einen zu viel als einen zu wenig aus dem weg räumt; wenn man nicht als tyrann dastehen wollte, war das kloster (inclusive kastration) eine 'zivilisierte' option.


    Ich fürchte, Lillian Fiona, wer nur historische romane und keine sachbücher liest, sitzt einer gewaltigen vergangenheitsidealisierung einer vermeintlichen freiheit auf, die durch jeden neuen mittelalterroman eine neue dimension kriegt, die sich immer weiter von den 'realen' mittelalterlichen lebenswelten in eine ideale traumwelt wegbewegt.


    Es ist eine irrige annahme, dass sich leute damals als individuen wie wir definiert haben, die flexibel ihr eigenes ding machen, mal so mal so, das ganze war extrem standes- und gruppen-bewusst, nach starren regeln, man konnte nicht nach belieben wechseln, man war als nichtmönch/nonne auch als hausdiener und magd bestandteil einer sippe, die sich prinzipiell nicht viel von einer heutigen mafia-sippe unterscheidet. So hat man im schlimmsten fall des falles eine gewisse soziale versorgung, aber auch jede menge regeln zu befolgen und pflichten zu erfüllen, die erst mit dem tod des einzelnen mitglieds erlöschen. Man kann aus so einem system nicht 'aussteigen' man kann nur 'heraussterben', kloster ist der einzig mögliche fluchtweg, und sogar dort wird erwartet, dass man sich an strenge regeln hält und sich für sippenmitglieder ausserhalb des klosters nach wie vor einsetzt, und einem das hemd näher als der rock ist.

    Den schwur Alienas hätt es gar nicht gebraucht, den brauchen wir erst in der westlichen welt des 20. jhds. Früher, bis zur erklärung des allgemeinen landfriedens war fehde/vendetta verpflichtend, sie hätte als überlebende, die nicht in einer neuen gruppe (einem gewaltverzichtenden religiösen orden) landet, gar keine andere option, sie und ihr bruder MÜSSEN als überlebende im fall eines komplotts blutrache üben, es gibt kein recht, das sie schützt, wenn der bischof und der könig im komplott mit drin stecken. Einzige option für einen überlebenden, mittellosen adligen: ins elend = ausland gehen, und sich einem neuen herrn unterwerfen, in der selben gegend oder auch nur ihrer nähe zu bleiben, wäre eine denkbar schlechte option.


    Gewalt war rechtsmittel nummer eins, und um bei übernahme eines titels etwaige erben loszuwerden hat an ganze familien restlos ausgelöscht, und wenn man rechtsansprüche durchsetzen wollte, brauchte man leute, die einem das erkämpfen.
    Aliena wäre nie gefragt worden, ob sie William will. Der könig/lehnsherr hätte entschieden, um die titelübername durch die neue familie zu zementieren wird die tochter mit dem neuen titelträger verheiratet, der sohn kommt ins kloster, wenn er aufmuckt, wird er umgebracht.
    Die situation war teilweise extrem brutal, und was der junge da erlebt hat, ist im verhältnis gar nicht soo schlimm, er selber lebt ja noch, da kann er schon mal auf ganzer linie froh sein, und die entdeckung psychologischer traumata ist eine domäne des 20.Jhds.
    Bis weit in die 1960er gab es keine traumata, da hat man einfach nur gesponnen, und wer beim spinnen andere leute geschädigt hat, wurde in gefängnisse und irrenhäuser weggesperrt, mit elektroschocks und lobotomie behandelt , oder so - in england und frankreich - einfach hingerichtet, ohne dass wer gründlich nachgefragt hätte, warum und woher das unberechenbare verhalten kommt.


    Die frage bleibt: wenn sie allein aus der tatsache ihres frauseins ohne hinter ihr stehende und ihre geschäfte absegnende gruppe (handwerker/händler-innung) eigentlich nicht vertragsfähig ist, wer tritt offiziell als ihr vormund und sachwalter auf? Ohne vormund kann sie keine verträge schliessen, als frau wird sie nie mündig, sie geht als frau von der vormundschaft des vaters in die vormundschaft des ehemanns über, bzw in die ihres kleinen bruders/sohnes - und ein nicht gemischter reiner männerorden, der eine frau als klostermündel aufnimmt, wenn der abt nicht grad ihr onkel ist... - ich weiss nicht recht, da hätte ständig irgendein klosterbruder hinter ihr herlatschen müssen, der ihr rechtsbeistand und zeuge bei jedem handschlag ist.

    Im ganzen mittelalter, vom frühmittelalter an war heimatlos auf der strasse zu sein, das grösste unglück. Jeder der nicht in einer festen gemeinschaft mit ihren eigenen regeln lebt, war verloren. Sklavenhandel und untertanenverkauf war bis ins 18. Jhd auch in europa völlig normal, ja leute haben sich freiwillig selbst für ein dach übern kopf und ein essen und etwas kleidung in die sklaverei eines reicheren verkauft - der hat aber auch nicht jeden genommen, und die halben leute wieder rausgeworfen, wenn es weniger arbeit und essen gab, oder sie schlicht und ergreifend weiterverkauft.
    Prekäre arbeitsverhältnisse mit endenden verträgen und wann neue kleider übergeben werden, gab es vor allem auf bauernhöfen, bis martini und lichtmeß, und wer da nicht behalten wird, sondern auf der strasse landet, überlebt schlicht und ergreifend den winter nicht, wenn er keinen neuen haushalt/ein kloster zum arbeiten für die armensuppe findet.


    Wir haben absolut keine ahnung, wie es zu ging. Dass chronisten kein interesse und anteil an den leuten auf der strasse und ihrem schicksal nehmen, ist ein furchtbar schlimmes zeichen.


    In england weiss ich nicht, wie es im 12. Jh mit den wölfen stand, wahrscheinlich waren sie weitgehend ausgerottet, aber in europa tat man gut daran, sich über weite phasen des mittelalters des winters nicht allein und ohne zumindest einem holzsstock unbewaffnet auf der landstrasse herumzutreiben, dass die welt ausserhalb eines festen hauses gefährlich ist, weil des abends die wolfsrudel kommen, oder ein schwarz oder grüngerüsteter raubritter auf der suche nach einer neuen küchenmagd, einem tretmühlensklaven ist, weil ihm die vorigen verhungert oder an seinen misshandlungen verendet sind, ist nicht nur ein topos der ritterromane, allein wenn man das Kudrun-lied liest, weiss man, wie es mit solchen raubehen aussah. Ein mädchen und ein bub elternlos auf der strasse laden übergriffe ein, fremde menschen nehmen einen kaum so aus nächstenliebe auf.


    Dass angebliche königssöhne und erben mit müttern und schwestern in den wald geflüchtet und dort in der wildnis erzogen worden wären ist ein märchenmotiv. Wenn man nicht extrem talentiert im umgang mit tieren ist, ist der versuch sich in einer wolfshöhle einzunisten, und in der gefürchteten wildnis zu überleben und mit dem ungeheuer-rudel - inden ma-sagen und märchen wahlweise greifen, drachen, wölfe, löwen (wenn die nicht für isoliert lebende - und wegen rauher/heidnischer sitten verachtete - aus der christlich organisierten gemeinschaft ausgeschlossene sippen stehen) mitzufressen, eher zum scheitern verurteilt.


    Erst marktplatzerrichtung und städtegründung und landesausbau durch die könige haben das wolfs-und rabenfutter aus überflüssigen essern aus den strassengräben geräumt, und ihnen 'sichere' orte zum bleiben zugewiesen.


    - Ach ja, Harald Schönhaar und die anderen wikingerkönige sind auch nett für eine familienstudie, aber die Karolinger/ Kapetinger und ihre diversen Bourbonischen unterlinien sind ein jahre füllendes, interessantes hobby, das einen jeglicher illusionen von heiler familiärer welt beraubt, sollte man mit so einem irrigen konzept erzogen worden sein. Liebe ist immer ein egoistisches gefühl, das hauptsächlich mit lust, gier und besitz zu tun hat, allein das wort für zufällige genetische oder wirtschaftliche verbindungen und abhängigkeiten zu verwenden, verursacht bei mir grobeskepsis.
    Aus welchen gründen sollte Aliena ihren kleinen bruder lieben, ausser dass sie ihn als fokuspunkt ihres ehrgeizes braucht, weil sie als frau allein nicht rechtsfähig ist, und nie selber aus eigener macht einen titel tragen darf?
    Königin/Kaiserin Maud/Mathilde ist ja genau dieselbe: sie muss bruder und sohn vorschicken, sie selber hat trotz ihres ehrgeizes keine rechte, sie macht karriere über ihren sohn/bruder/ehemann.


    Das in diesen ersten vorwehen der 'renaissance' dem entdecken des selbstbewussten individuums beim adel und beim reichen bürgertum, im 11./ 12. Jhd, frauen, die sich selbst verwirklichen und ihren eigenen weg ausserhalb der sippenbindungen gehen wollten, eher einen schlechten stand hatten, lernt man aus der geschichte von Heloise und Abelard, die etwa zu der zeit spielte.


    Eine generation später hat es Eleonore von Aquitanien versucht, auf eigenen füßen zu stehen: der versuch nach ihrer scheidung von einer gescheiterten ehe mit einem eifersüchtigen und bigotten zapfen von könig zumindest aus eigenem recht herzogin zu sein, ist wegen der widerholten versuche von nachbarlichen adligen sie samt der ihr auf erbwegen zustehenden macht zu rauben, daneben gegangen. Sie musste sich zumindest formhalber in Heinrich Plantegenet einen 18jährigen beschützer erheiraten, und das ist gründlich daneben gegangen, aber immerhin hat sie ihn um jahrzehnte überlebt, als er endlich tot war, hat sie ihre söhne als rechtstellvertreter vorgeschoben, was Johann Ohne Land in seiner beurteilung nicht grad bekommen ist; zuletzt wurde sie äbtissin und war damit für eine frau halbwegs frei in ihren persönlichen belangen, - obwohl bei gemischten doppelklöstern wie Fontefrauld auch der abt des männlichen teils die größeren rechtsgeschäfte der äbtissin als zeuge und rechtsbeistand sigeln musste.


    Pernaud ist da in ihren viten selbstbewusster frauen, die Follet zum erspüren des zeitgeistes sicher las, etwas zu optimistisch. Im rahmen ihrer möglichkeiten konnten sich frauen selbstverwirklichen - der rechtliche rahmen war verdammt eng bemessen, und setzte jeweils gutmütige männer voraus, die mitspielten, man kann davon ausgehen, dass die meisten nicht mitgespielt haben.


    Und das bürgerliche liebesideal von ein herz und eine seele sein, hat erst die minnelyrik aufgebracht, die vom bürgertum aufgewärmt wurde, ehe und familie war in erster linie eine rechtliche wirtschafts- und zweckgemeinschaft zur sammlung des reichtums und aufzucht von erben, es ist bezeichnend, dass der minne/liebesdienst sich auf eine höherstehende verheiratete frau fokussiert, in der ehe wird nicht geliebt, man toleriert sich, leidlich (oder auch nicht).

    DC :lesend


    Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens I


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    (Grabinschrift F. Sauter )

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  • Sorry, hab deinen Beitrag jetzt nur überflogen. Kann das immer noch nicht so sehen wie du.


    Und ja kann sein, dass es so stimmt wie du sagst.


    Aber man muss auch bedenken, dass es immer noch ein Buch ist und der Autor passt sich der Geschichte dem Buch an. So steht es auch auf Wikipedia.


    Aber man kann wohl kaum davon reden, dass Follett nicht recherchiert hätte. Auf Wiki steht, dass er 8 Monate für die Recherche einplant und dass er dafür teilweise sogar Historiker nutzt die ihm behilflich dabei sind.


    Und ganz ehrlich? Wer sagt denn, dass es keine selbstbewussten Frauen gab? Klar die Frauen hatten im Grunde keine Rechte, aber trotzdem kann es solche gegeben haben. Nur dass von ihnen wohl nicht berichtet wird. Solche Berichte wurden gelöscht sofern sie aufgezeichnet wurden. Selbst bei Päpstin Johanna ist nur eine Legende aus dem 13. Jahrhundert, aber ich bin mir sicher, falls es sie gegeben hat wurde sie so wie erzählt wird aus den Berichten gelöscht. Denn keiner wollte damals eingestehen, dass Frauen sich auch wehrten. Also diese Aussage es gab zu der Zeit keine selbstbewussten Frauen find ich schwachsinnig.


    Natürlich war Gewalt Haupttehma im Mittelalter. Das spürt man ganz deutlich in Follets Buch. Auch ohne strenge Grenzen usw. Es gibt in Follets Buch kaum hilfsbereite und nette Menschen und das ist etwas was ich sehr schade find. Aber trotzdem muss ich nicht ständig nur von solchen Menschen lesen. Autoren haben eben die Freiheit die Geschichten abzuwandeln und ich find das nicht schlimm.


    Denn ganz ehrlich. Die Welt wie sie damals war (wie du sie beschreibst): Wer hätte davon lesen wollen? Das wäre doch sehr eintönig gewesen und die Charaktere wären zum größten Teil nur grausam oder totlangweilig gewesen. Davon hätte ich nicht lesen wollen.


    Und in Berichten die ich jetzt überflogen hab hab ich auch oft das Wort "vermutlich" gelesen. Bei vielem ist sich doch keiner wirklich sicher wie es war.


    Wie gesagt, es ist eben eine Geschichte. Die muss der Autor auch interessant verpacken, denn sonst will sie keiner lesen. Na ja. Wie auch immer. Geschichtsstudenten haben da vermutlich einfach andere Ansicchten wie ganz normale Leser von Geschichtsromanen. Und vermutlich auch andere Ansprüche. Ist ja auch ok.

  • Hab ich gesagt es gibt keine selbstbewussten frauen? Nö, nur dass sie kaum einen erfolg haben konnten, weil ihnen von der familie und von der gesellschaft steine in den weg gelegt wurden, weil man einfach gewisse dinge als frau nicht tat. Dass von 10.000 frauen eine drauf pfeifft, ist leicht möglich, aber auf eine Eleonore von Aquitanien kommt eine masse von frauen, die nichtmal bei der frage der ehescheidung glück hatten.


    Es gab nicht den gedanken, dass man ein individuum wäre. Man hat sich selbst immer in beziehung zu einer gruppe gesehen, wenn man als frau an etwas gearbeitet hat, dann um die familie weiter zu bringen.


    Und zur zeit als Follet schrieb waren die biographien von Regine Pernoud, die sich um die frauenforschung im mittelalter verdient gemacht hat, sehr verbreitet, und wenn er über das leben von leuten in dieser zeit schreibt, nehme ich stark an, er hat von Pernoud und auch Le Goff alles gelesen, was er bekommen konnte.


    - was übrigens überhaupt kein fehler ist, wenn man es ihm gleich tut: obwohl das allzu-optimistische frauenbild der macht weiblicher herrscherinnen wie auch die recherche von Pernauld in letzterzeit angegriffen wurde, ihre bücher sind nach wie vor gut zu lesen.


    Und die Legende der 'Päpstin Johanna' ist auf die durchaus existente römische Senatorin und Gräfin Marozia entstanden, die zu dieser Zeit eine reihe von päpsten eingesetzt hat. 'Der Papst Johannes, der ihr zugeordnet wird, war einer ihrer söhne, und sie hat für ihn in seinem namen regiert. Ihre epoche gilt im vatikan als zeit der 'hurenherrschaft' und sie war ein wesentlich interessantererer charakter als die päpstin Johanna der Legende und des Romans, denn sie hat ihren einfluss als frau ausgespielt, und nicht unter der verkleidung als mann.


    Ich las, dass sie laut aussagen der priesterlichen zeitgenossen angeblich ungebildet gewesen sein soll, und nicht lesen und schreiben konnte (ein topos, der auch gern bei den späteren papstmätressen wiedergekaut wird, und vermutlich nur heisst, dass sie ihre bibel und das kirchenrecht nicht auswendig kannte) aber sie ließ sich vorlesen, und wer sich keine notizen machen kann, behält das wichtige alles im kopf.

    DC :lesend


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