Schreibwettbewerb Oktober 2008 - Thema: "Tod"

  • Thema Oktober 2008:


    "Tod"


    Vom 01. bis 20. Oktober 2008 könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb Oktober 2008 zu o.g. Thema per Email an webmistress@buechereule.de zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym eingestellt.


    Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörtern wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!

  • von Nomadenseelchen


    Langsam lief das Mädchen die Strasse entlang. In der Hand trug es einen Korb, die die Mutter ihm für die Großmutter mitgegeben hatte. Es war ein warmer Sommertag und ihre Kehle brannte vor Durst.
    Am Anfang der Sackgasse, die zum Haus der Anverwandten führte, stoppte es. Ein paar ihm unbekannte Autos standen vor der Einfahrt. Unschlüssig, ob es wieder umkehren sollte, stand das Mädchen dort und betrachtete die Szene. Letztendlich siegte das Verantwortungsgefühl, da die Großmutter alt war und sich nicht mehr selbst versorgen konnte.
    Als sie auf der Schwelle der Türe stand, fühlte sie, wie sich eine Hand auf ihre Schulter legte. Erschrocken drehte sie sich um. Es war ein Nachbar, der ihr sagte, die Oma wäre gestorben und sie solle das Haus nicht betreten.


    Betäubt dreht sie sich um, und ging weg. Immer quälender breitet sich der Durst aus und als die Kleine an einem Kiosk vorbei kam, hielt sie das Gefühl nicht mehr aus und bat um eine Flasche Wasser. Der Besitzer lächelte sie freundlich an: `Na, ein wunderbarer Sommertag heute, nicht wahr?` `Nein`, schrie etwas in ihrem Inneren, `nichts ist in Ordnung. Meine Oma ist gestorben.` Der Mann lächelte sie weiter an. Sie schluckte, drehte sich um und rannte weg.


    Sie rannte und rannte, bis sie über einen kleinen, braunen Hund stolperte. `Pass doch auf, du Göre!`, empörte sich die Dame, zu der der Hund gehörte. Verwirrt starrte das Mädchen sie an. Wie konnte ein Hund wichtiger sein, als das die Oma gestorben war? Langsam drehte Mädchen um. Zwei Jugendliche kamen munter schwatzend die Strasse entlang. Auch die Autos fuhren in gewohnter Weise. Wie konnte der Welt es egal sein, dass ihre geliebte Großmutter tot war?


    Sie warf einen Blick auf ihre Hände, die anfingen zu zittern. Es ist ein sehr lieber Mensch gestorben, dachte sie. Warum interessiert das niemanden?
    Sie begann, leise vor sich hin zu weinen. Sie wollte nicht weinen, nicht hier mitten auf der Strasse. Leise schluchzte sie und nahm den Weg nach Hause wieder auf. Verstohlen sah sie sich um, soweit es ihr durch den Tränenschleier möglich war. Aber niemanden schien der Tod der Großmutter nahe zu gehen.


    Als sie nach Hause gelangte, saß ihre Mutter in der Wohnküche und lächelte sie traurig an. Schweigend nahm sie ihre Tochter in den Arm und drückte sie fest an sich. Das Mädchen flüsterte erstickt: `Es interessiert niemanden, dass Oma tot ist.` Noch einmal zog die Mutter den Druck an. `Es interessiert uns,` wisperte sie, `aber ich weiß was du meinst. Man verliert einen geliebten Menschen und glaubt, die Welt müsse still stehen.` Das Mädchen nickte. `Deine Großmutter ist nicht wirklich tot. Eine weise Frau dichtete einmal Weine nicht an diesem Unglücksort, ich schlafe nicht. Ich bin nicht dort. Ich glaube, weiter ging es mit Weint nicht an meinen stillen Grab, ich war es nicht der damals starb. Verstehst du? Das was deine Großmutter wirklich ausgemacht hat, wird immer in deinen Gedanken weiterleben.` Das Mädchen rückte von ihrer Mutter ab, betrachtete sie – und lächelte.

  • von LeseRatteKevin


    Es war eine bitter kalte Nacht, und es regnete in Strömen. Ich war froh, dass ich nicht da Draußen war, sondern bei mir zu Hause in meinem warmen, kuscheligen Bett. Ich schaltete den Fernseher aus, und beschloss noch etwas in meinem Buch zu lesen. Gerade als ich den ersten Satz las , klopfte es an meiner Haustür. Ich schreckte hoch und blieb wie ein Stein, aufrecht in meinem Bett sitzen.
    „Es ist ein Uhr Morgens, wer klopft denn da an meine Haustür.“, dachte ich.
    Es klopfte erneut. Ich stand auf, und schaute aus meinem Fenster. Ich sah in die tiefe Nacht. Ich sah nichts außer den Baum vor meinem Fenster, der von dem Licht in meinem Zimmer beschienen wurde. Nun klingelte die unbekannte Person auch noch, und ich machte mich langsam auf den Weg zur Haustür.
    Es klopfte erneut, und ich schaute durch die Scheibe neben der Tür. Dort stand eine blonde Frau, durchnässt und zitterte am ganzen Körper.
    „Wer sind sie, und was wollen sie von mir?“, schrie ich tapfer.
    „Oh, gut… dass sie da sind. Bitte helfen sie mir. Ich hatte einen schrecklichen Autounfall an der Kreuzung dahinten. Könnte ich ihr Telefon benutzen, mein Handy hatte bei dem Aufprall etwas ab bekommen und funktioniert nicht mehr.“, sagte sie hecktisch mit ihrer hohen, ängstlichen Stimme.
    Ich öffnete die Tür nur einen Spalt, und schaute heraus. Jedoch vertraute ich der Frau, und öffnete die Tür.
    Sie trat ein, und machte mir mit ihren Händen deutlich ich solle ihr schnell mein Telefon geben.
    „Hallo, ist da die Polizei? Hallo, hier ist Sarah Kruger. Könnten die bitte mit einem Krankenwagen zur Kreuzung Frankerstraße in Little Winnipeg kommen? Ich bin mit meinem Auto gegen einen Baum gefahren. Es gibt einen verletzten!“
    Verletze. Da muss ich mit. Ich bin ja schließlich Krankenschwester und kann erste Hilfe leisten.
    Sarah legte auf: „Vielen Dank. Ohne ihre Hilfe hätte ich nicht gewusst was ich tun sollte. Ich muss zurück zum Wagen Danke nochmals.“, bedankte sie sich, und wollte gerade zur Tür hinaus, als ich sie zurück rief:
    „Einen Moment. Ich bin Krankenschwester. Ich komme mit, vielleicht kann ich dem Verletzten helfen.“
    „Beeilung!!“
    Ich zog mir schnell meine Schuhe an, holte meinen erste Hilfe Koffer, und rannte mit Sarah in die Nacht hinein. Am Unglücksort angekommen kam uns ein Mann entgegen:
    „Sarah es tut mir Leid…“, begann er.
    Sarah jedoch schubste ihn weg, und rannte zum Wagen, welches sich um einen Baum gewickelt hat.
    „NEIN. Wieso nur.“ , begann sie zu weinen.
    Ich trat näher an das Auto heran, und sah das die Verletze Person sich nicht mehr bewegte. Ich fühlte auch keinen Puls, als ich versuchte ihn zu messen. Die war tot.
    Als der Krankenwagen eintraf, nahmen sie die verunglückte Person mit. Sarah und Michael, so hieß der Mann, der und empfangen hat, blieben beim Auto.
    Nächstes Mal werde ich nicht erst so lange zögern wenn es an meiner Tür klopft. Nächstes Mal handel ich schneller! Nächstes mal besiege ich den Tod!

  • von Dichterdämon


    Es war einmal ein Junge, der niemals sterben wollte.
    Also beschloß er, gegen den Tod zu kämpfen und ihn zu besiegen. Er ging zu einem weisen alten Mann, der ihm die Richtung zeigen sollte.
    Dieser führte ihn zu einem Berg.
    „Das ist der Berg des Lebens. Dort oben, auf dem Gipfel, findest du den Tod. Doch gib acht! Der Weg ist steinig und voller Tücken.“
    Doch der Junge wollte es trotz der Warnung wagen. Da stieß ihn der alte Mann in einen Tunnel, durch den der Junge zum Fuß des Lebensberges rutschte.
    Sofort begann er mit dem Aufstieg. Die Zeit verging, und je weiter er kam, desto besser verstand er es, vorwärts zu gehen.
    Manchmal blieb er stehen und blickte zurück, um zu sehen, was er schon hinter sich gebracht hatte.
    Nur die Straße vor ihm war in Nebel gehüllt. Manchmal glaubte er zwar, ein Stück weit sehen zu können, doch richtig klar war es nie.
    Manchmal lächelte die Sonne und zeigte ihm ein Stück des Weges, dann aber kamen auch Stürme und wilde Regenfälle.
    Manchmal war der Weg eben und gerade, dann aber wurde er wieder steinig und viele Hindernisse hielten ihn auf.
    Manchmal fiel es ihm leicht, vorwärts zu kommen, dann aber wieder wurde es beschwerlich und er verlor fast den Halt.
    Aber nach langer Zeit erreichte er den Gipfel.
    Oben saß der weise Mann, der ihm den Weg gewiesen hatte und blickte ihn gütig an.
    „Du bist weit gegangen, um mich zu finden, doch nun bist du alt und schwach.
    Komm mit mir, jetzt darfst Du Dich ausruhen und Frieden finden.“

  • von Voltaire


    Die Stille war absolut, sie war anders als Stille sein sollte, sie war gespenstisch und lähmend; ihr Auftreten ließ keinen Raum mehr für andere Gedanken und Gefühle, als eben ihr – der Stille – zu lauschen, sich hier hinzugeben, sich ihr unterzuordnen.


    Diese Stille verkörperte die Ruhe vor der völligen Entfesselung der Kräfte. Medien schwiegen, Regierungen regierten nicht mehr, Kommissionen waren nicht vorhanden um eingesetzt zu werden. Selbst der Stillstand schien gelähmt.


    Und alles nur weil heute – genau um 20.23 Uhr – eine Meldung die Nachrichtenredaktionen der Welt erreicht hatte. Eine Meldung wie ein lähmender Virus. Eine Meldung so unglaublich wie die Unfehlbarkeit des Papstes, aber dann doch millionenfach von Augenzeugen, von Betroffenen bestätigt, kurz bevor auch sie sich der allgemeinen Agonie anheimgaben.


    Die Meldung war einfach gehalten, ihr Absender niemanden bekannt, aber, und das ist jetzt wirklich erstaunlich, an ihrem Wahrheitsgehalt, an ihrer Tatsächlichkeit, zweifelte keine der nun unsterblichen Seelen.


    „DER TOD IST GESTORBEN.
    Heute um 20.23 Uhr starb der TOD friedlich in den Armen des LEBENS. Krankheiten, Hunger und Unfälle haben keinen Einfluss mehr auf die Menschen und ihre Leben. Entleibungen, Tötungen aus Raffgier, aus Berechnung heraus, Tötungen aufgrund emotionaler Verirrungen sind ab dieser Minute nur noch Makulaturen einer eben versunkenen Zeit, einer zu Grabe getragenen Lebensepoche. Die Menschen sind aufgerufen diese einmalige Chance sinnvoll und segensreich zu nutzen. Ein Zurück zum alten Verfahren wird es nicht mehr geben.“


    Drei Monate später…..


    Regierungen wurden nach ersten Tätigkeitslähmungen wieder aktiv. Es gab ein Zeugungs- und Geburtsverbot, nur gab es keine Sanktionsmöglichkeiten es auch durchzusetzen, die Arbeitslosigkeit explodierte, Lebensmittel waren nicht mehr notwendig, Lebensmittelfirmen rauschten ins Pleitenirwana, die Felder verwilderten, Ärzte stürzten sich aus Verzweiflung von den höchsten Türmen, aber nur um am Ende ihres Sturzfluges wieder unbeschädigt aufzustehen, staatliche Ordnungen waren das Papier nicht wert auf das sie geschrieben worden waren, die Tiere lebten ungehemmt ihren Instinkten, sie fraßen, weil sie das immer getan hatten, Menschen befanden sich plötzlich am Ende der Nahrungskette, sie starben nicht am Verlust von Armen oder Beinen, aber die Erkenntnis, dass nicht sterben, nicht gleichbedeutend mit „es wächst wohl nach, oder?“ war, diese Erkenntnis war/ist mehr als sie ertragen konnten, mussten sie doch zudem noch mit ansehen, wie ihre eben gefressenen Gliedmaßen in den Mägen der Tiere weiterlebten und ihre Nervenimpulse unverdrossen in die räumlich entfernten Hirne sendeten.


    Weitere vier Jahre später.
    Sind es wirklich vier Jahre? Zeitgefühl, das Gefühl für die Abläufe, für ihre Endlichkeit, sind nur Begrifflichkeiten aus einer Zeit die selbst aus den Erinnerungen verbannt wurde.


    Nur ein Gedanke beherrscht die Menschen: Gibt es eine Reunion LEBEN-TOD, eine Vereinigung der Gegensätzlichkeiten, eine Reanimation des Endes? Die Menschen vermehren sich ungehemmt, zertrampeln gnadenlos ihren Planeten, orientierungsloses Vegetieren ist der Motor des Lebens, der rund läuft, auch wenn neben ihm alles stottert…..


    ….und niemand da, der mich aus diesem Alptraum weckt; nur ist in der Realität ein Weckruf nicht vorgesehen, da ist wohl etwas vergessen worden mit ins Programm, ins Lebensprogramm, zu nehmen. Kann ja mal passieren….

  • von arter


    Der alte Mann saß im Krankenbett, den Oberkörper an das Kopfende gelehnt. Solange er aufrecht saß, konnte ihm nichts geschehen. In der Zimmerecke lauerte etwas Bedrohliches. Er wandte seinen Blick in die Richtung der Gefahr. Nur den dunklen Schatten einer unheimlichen Kreatur gewahrte er. Sein Sichtfeld war gerade noch stecknadelkopfgroß. Eine Glaukomerkrankung hatte den Sehnerv fast vollständig zerstört.


    Elsbeth war bei ihm. Die Frau, mit der er im letzten Herbst Eiserne Hochzeit gefeiert hatte. Sie war seit einiger Zeit etwas verwirrt, brachte Sachen durcheinander, redete ihn manchmal mit „Klaus“ an. Klaus, der älteste Sohn, 67-jährig im vorvergangenen Winter an einem grausamen Krebs krepiert. Vater und Sohn hatten zuvor jahrelang kein Wort miteinander geredet. Es war dann sehr schnell gegangen in jenem Winter. Keine Zeit mehr für Versöhnung.


    Draußen im Hof kreischte eine Säge. Der alte Mann hörte ein Flüstern aus der Ecke des Raumes. Die Geräusche vermischten sich zu einem klirrenden Wimmern, das ständig anschwoll und in einer grausamen Kakophonie seine Gehörgänge malträtierte.


    „Ruhe!“, schrie er panisch. „Was ist da? Schickt es weg!“.


    Elsbeth war mit Stefanie zu ihm gekommen. Stefanie, seine jüngste Tochter, die sich Tag und Nacht um die greisen Eltern kümmerte. Sie legte ihre sanfte Hand auf seine Wange und lächelte ihn aus einem tränenverquollenem Gesicht an.


    „Papa, niemand ist da. Nur deine Elsbeth und ich, Stefanie. Bitte lege dich jetzt hin und schlafe ein wenig“, redete sie beruhigend auf ihn ein.


    Hinlegen? Das durfte er nicht. Er wusste, was dann geschah. Zuerst würde das Flackern einsetzten, ein eigenartiges Leuchten in allen Farben des Regenbogens. Dann würde er die Bodenlosigkeit spüren das Bewusstsein verlieren und in die Schwärze des Nichts stürzen.


    Zwei Mal war er in den vergangen drei Jahren eingeliefert worden: Notaufnahme, Intensivstation. Beide Male war er wieder nach Hause zurückgekehrt. Er war ein Greis von 92 Jahren, der längst ausgelebt hatte: fast blind, ein schwaches Herz, brüchige Knochen, Schmerzen überall und in seiner Bauchhöhle wuchs ein Tumor. Dennoch hing er an diesem erbärmlichen Rest Leben, das ihm verblieben war.


    Er hörte ein Klacken, ein Rauschen aus dem Lautsprecher und das Surren der Räder, die das Magnetband transportierten. Stefanie hatte das alte Kassettengerät eingeschaltet, das ihm seit Jahren ein treuer Begleiter war. Es erklangen die herzzerreißenden Klaviertöne, die jedes Mal, wenn er sie hörte, eine unerschütterliche Ruhe in ihm ausstrahlten.


    „Erkennst Du es, Papa?“, fragte Stefanie.


    „Träumerei“, hauchte er, „Schumann.“


    Dann sank er auf sein Lager nieder. Blitze zuckten. Er begann zu stürzen. Stefanie hielt seine Hand und weinte. Elsbeth saß mit verständnislos leerem Blick dem Stuhl neben dem Bett.


    Die Kreatur erhob sich aus der Zimmerecke, schritt auf das Krankenlager des Alten zu und beugte sich über ihn. Der verschwommene Schatten verwandelte sich allmählich in ein wohlbekanntes Antlitz. Klaus, sein ältester Sohn schaute ihn an. Er lächelte.


    Dies war die letzte Wahrnehmung des alten Mannes.


    -


    Eine Krankenschwester nahm Stefanie in den Arm. „Ihr Vater ist friedlich entschlafen. Er hatte ein erfülltes Leben. Danken Sie Gott dafür“. Stefanie schluckte eine patzige Antwort hinunter.

  • von Sibel


    „Ich muss sie töten!“ schoss es ihm durch den Kopf. Er hatte Zweifel, dass er fähig zu so etwas wäre. Doch er trug diese Gedanken schon seit jener Nacht seitdem sie bei ihm eingezogen war. Sie hatte sich nicht angekündigt, ihn nicht um Erlaubnis gebeten, sondern schuf einfach Fakten. Er hat sehr wohl über Alternativen nachgedacht, wie er sie wieder loswerden würde. Jedoch wusste er auch, dass er sich bei jedem Versuch das Gespräch mit ihr zu suchen, zum Tölpel machen würde. Sie würde ihn nicht verstehen.
    Die Nacht brach langsam ein. Jonas wurde immer unruhiger. Noch eine Nacht mit ihr würde er es nicht aushalten. Es war zwecklos. Es gab nur einen Ausweg. Bei dem Gedanken daran schwitzten seine Handflächen. „Sie hat mich beraubt. Sie hat mir weh getan!“ schrie es in ihm. Er blickte auf seinen nackten Körper herab und sah noch deutlich seine Wunden. „Sie hat mich gequält. Die Pein, die sie mir antat hat Spuren auf meinem Körper hinterlassen. Das wird sie mir büßen“ prangerte Jonas sie weiter in Gedanken an. Er hatte keine Zweifel daran, dass sie es immer wieder tun würde.
    Jonas geriet in Rage und bei den Gedanken an die letzte Nacht wich seine Nervosität einer unglaublichen Rachsucht. Seine Zweifel darüber, ob er jemals zu einem Mord fähig wäre lösten sich in Luft auf. Hasserfüllt öffnete er die Kommode und nahm einen Gegenstand, welches er als Waffe benützen würde und den er dort sorgfältig bewahrt hatte, heraus. In seinen Gedanken hatte er seinen geplanten Mord schon hundert Mal durchdacht, es durfte nichts schief gehen.
    Jonas hatte sie heute den ganzen Tag nicht gesehen, doch er wusste, dass sie im Zimmer war, welches sie seit ihrer Ankunft nie verlassen hatte. Er schlich sich leise an die Tür. Seine Hand in der er die Waffe hielt, zitterte unaufhörlich. Jonas nahm seinen ganzen Mut zusammen, atmete tief ein und öffnete mit einem Schwung die Tür, so dass sie mit einem lauten Schlag gegen die Wand knallte. Er knipste das Licht an und sah sie schon auf dem ersten Blick direkt an. Sie sah weder erschrocken noch überrascht aus. Ihre Gleichgültigkeit ihm Gegenüber machte ihn nur noch wütender. „Ah ja? Ich mache Dir keine Angst, ja? Das wollen wir doch sehen!“ rief er laut wutentbrannt. Doch auch dies beeindruckte sie nicht. Jonas ging entschlossen auf sie zu. Der Hass stand ihm im Gesicht geschrieben. Sie bewegte sich nicht einmal. Jonas holte mit seiner Waffe aus und schlug wild auf sie ein. „Verreck doch!“ schrie er wie von Sinnen während er immer und immer wieder auf sie einschlug. Sie war auf der Stelle tot, Blutspritzer zierten nun die Wand, doch Jonas konnte nicht aufhören auf sie einzuschlagen.
    Als er endlich von ihr Abließ, keuchte er vor Erschöpfung. Er sank entkräftet auf den Boden, starrte auf die Leiche und die Blutflecken an der Wand. „So eine Sauerei! Morgen mache ich ein Mücken-Netz an das Fenster“ seufzte Jonas.

  • von Leserättin

    „Hast du das gesehen?“
    „Was?“
    Die schlanken Finger deuteten auf die unbewegliche Wasseroberfläche. „Er hat es schon wieder getan.“
    Hades schaute einen Moment zu, wie der junge Mann dem eben noch tot auf dem Boden Gelegenen vorsichtig aufhalf. Zorn wallte in dem Gott der Unterwelt empor. Das war nun bereits das vierte Mal, dass Asklepios sich seiner Anweisung widersetzte.
    „Wirst du jetzt endlich etwas unternehmen?“
    Er sah Persephone an, in deren schönem Gesicht die Empörung über den Frevel stand, eine Spiegelung seiner eigenen Emotionen. Mehrfach schon hatte er den Arzt gewarnt, diese besondere Gabe, die er hatte, nicht einzusetzen. Tot war tot und gehörte in den Hades.
    Doch Asklepios hörte weder auf ihn, noch auf seinen Ziehvater Cheiron, der es – so hatte Hades beobachtet – zuerst im Guten und dann mit Strenge versucht hatte. Lange würde auch Zeus sich das nicht mehr gefallen lassen, dem Göttervater war es ebenso wie Hades zuwider, wenn es keine Sterblichkeit mehr gab.
    Im Wasserspiegel der magischen Schale war zu beobachten, wie Asklepios einen weiteren Toten zurück ins Leben holte
    „Hades, wieso lässt du das zu?“ Nun klang Persephone ärgerlich. Und wie um ihre Worte zu unterstreichen knurrte Kerberos drohend, die Nase in Richtung Schale gerichtet. Der Torhüter war zu klein, um den Spiegel sehen zu können, aber er schien genau zu wissen, was vor sich ging.
    Hades legte seinem Hund eine Hand auf den Nacken und kraulte geistesabwesend durch das kurze harte Fell. Natürlich hatte Persephone recht, man durfte nicht zulassen, dass die Sterblichkeit verschwand; allein den göttlichen Wesen war das ewige Leben vorbehalten.
    „Athene hat ihm diese Kräfte verliehen. Vielleicht sollten wir sie auch bestrafen“, schlug Persephone vor.
    Eine so leicht reizbare Göttin zu erzürnen hielt Hades für nicht besonders klug und überlegte, wie er seine Gefährtin davon überzeugen konnte. Beruhigend legte er ihr eine Hand auf den schlanken Arm. „Ach, das hat sie sicher nur gemacht, um zu sehen, wie er damit umgehen wird, nicht aus Freundlichkeit. Du weißt doch, wie sie ist.“
    Persephone schnaubte. Dann schlug sie mit der Hand in die Schale, dass das Wasser nur so spritze. Kerberos, der nasses Fell gar nicht mochte – es sei denn, es stammte von Blut, ging sogleich in Deckung und knurrte missbilligend. „Sieh dir das nur an!“
    „Geht nicht mehr“, bemerkte Hades spitz. Durch Persephones Aktion war das magische Wasser in Aufruhr geraten. Ob sie heute noch ein Bild aus der Welt der Sterblichen zu sehen bekamen, war ungewiss.
    „Das sag ich meinem Vater.“ Einen Moment fürchtete Hades um sich selbst, doch schon sprach die schöne Göttin weiter: „Der wird Asklepios richten.“
    Hades bezweifelte nicht, dass genau das geschehen würde.

  • von Caia


    Es ist Zeit – durch die Fenster fallen die immer länger werdenden Schatten, die die Sonne wirft, während draußen das letzte Abendlicht in den gelb und rot verfärbten Blättern spielt. Ich sitze in meinem Lieblingssessel, betrachte das Muster aus Licht und Schatten auf dem Fußboden und bin müde. Die Müdigkeit begleitet mich seit Monaten.


    Während mein Blick durch das Zimmer schweift, hier an einem Buch hängen bleibt, dort ein Foto betrachtet, ziehe ich Bilanz. Sowohl der letzten Monate als auch meines ganzen Lebens.


    Was bleibt?


    Eine drastische Veränderung, die plötzlich über mich und meine Umgebung hereinbrach. Ein paar Monate, in denen ich mich mehr entwickelt und verwirklicht habe als in all den Jahren zuvor. Ein leises Bedauern, nicht vorher schon gelebt zu haben...


    Das Wort hallt immer noch in meinem Kopf wider: Bauchspeicheldrüsenkrebs. Überlebensrate ein Jahr nach Diagnosestellung: Unter 5%. Aussichten auf Therapie: Quasi gleich Null, da diese Erkrankung viel zu spät erkannt wird. Die Entscheidung: Keine Chemotherapie.


    Nein, ich wollte leben.


    Die Zeit, die mir noch blieb, so verbringen, wie ich es wollte – nicht an Schläuchen mit Infusionen festgebunden. Als Krankenschwester fiel mir die Entscheidung nicht schwer, ich hatte oft genug gesehen, wie schlecht sich die Patienten während der Chemotherapiezyklen fühlten.


    Unverständnis im Freundes- und Familienkreis. Wie ich nur könnte? Ich sollte die Hoffnung doch nicht aufgeben.


    Heute weiß ich, dass es die richtige Entscheidung war. Ich gab meine Stelle auf und begann, zu leben.


    Ich las. Bücher, die ich sonst nie angefasst hätte. Über das Leben, den Tod. Ich machte mich auf den Weg, meinem Leben einen Sinn zu geben. Meinen Sinn.


    Das Auto habe ich verkauft. Auch das Haus – zum Ende des Jahres. Und das Geld habe ich investiert – in all das, was mir wichtiger ist als materieller Reichtum. Denn mitnehmen kann ich nichts auf diese letzte Reise.


    Ein Monat im Kloster, gleich zu Anfang. Mein Weltbild formte sich völlig neu, ich wurde gelassener, heiter und begann, mich mit der Zukunft zu arrangieren.


    Viele Gespräche folgten. Überall dort, wo sich Menschen fanden, um mit mir darüber zu sprechen. Ich bin weiß Gott kein gläubiger, religiöser Mensch, aber der Tod, mein ständiger Begleiter, formte mein Weltbild völlig neu. Die Vergänglichkeit begann, sich in den Vordergrund zu drängen und fragte mich: Was bleibt, wenn Du nicht mehr bist?


    Allein diese Gespräche waren all die Schmerzen und die Müdigkeit wert, gegen die ich in letzter Zeit zunehmend ankämpfen muß.


    Es ist Zeit. Ich stehe auf, gehe zum Kühlschrank, hole die Insulinampulle und die Spritze. Meine letzen Monate habe ich selbst bestimmt – jetzt werde ich gehen. Die Schlaftabletten liegen auf dem Küchentisch, ich fühle mich heiter, gelassen, bin bereit für diesen letzten Weg.


    Wieder im Sessel, nehme ich die Schlaftabletten mit einem Schluck Wein und halte die Insulinspritze in der Hand. Ich atme tief durch.


    Es ist Zeit.

  • von Ushuaia


    Der Schweiß rinnt mir von der Stirn. So ein Stress heute. Noch vor Schichtbeginn zu einem Notfall gerufen, ich hasse das, aber was will man machen, Frühgeburt. Ein kleines Wurm, fast durchscheinend, viel zu früh, ist besser so, besser für alle, bestimmt, ich kenne mich da aus. Gleich darauf der nächste Notfall, ein jugendlicher Leichtfuß, gerade 18, seit 4 Monaten den Führerschein, Alkohol, zu schnell gefahren, sofort tot. Unschön. Sehr unschön. Aber mich fragt ja keiner. Ich tue nur meine Arbeit. Allzeit bereit.


    Bevor ich meine Frühstückspause richtig ausdehnen konnte, Arbeitsunfall, aber der hatte noch mal Glück, ja, das gibt es auch, meinen eisigen Atem hat er wohl schon im Genick gespürt, aber er wird sich erholen. Manch einer überlegt es sich ja anders, springt mir von der Schippe und hat dann auch nichts mehr davon, da steckt man nicht drin, ich kann nichts dafür.


    Dann eine Massenkarambolage auf der Autobahn, weniger zu tun als erwartet, haben die das verdient, wenn sie bei diesem Platzregen wie die Irren rasen? Aber das ist dasselbe wie im Herbstnebel. Manche lernen es eben nie. Heute hatten sie mal Glück.


    Danach das übliche, schwere Krankheit, noch ein Unfall, missglückte Operation, Herzinfarkt. Noch ein Herzinfarkt, der war auch unnötig. Dann, nach der Kaffeestunde endlich die mir liebsten Fälle. Zwei ältere Herrschaften, die standen schon länger auf meiner Liste. Eine alte Lady, deren Familie sich versammelt hatte, so was sieht man selten heutzutage, da warte ich dann gerne noch ein Weilchen im Hintergrund. Gleich daneben ein älterer Herr, der hatte sogar schon auf mich gewartet. 93, ein erfülltes Leben, 15 Enkel. Von denen hat ihn allerdings in den letzten Monaten auch keiner mehr besucht. Tja. Wie das so ist. Aber früher oder später holen wir die alle auch noch. Früher oder später.


    Und dann, kurz vor Feierabend, noch ein schwerer Fall. Bei dem habe ich schon zweimal vorbeigeschaut und es wurde nichts, und dann zehn Minuten vor Feierabend noch mal los? Nee, nicht mit mir. Soll mein junger Kollege das machen. Der ist noch jung und ungestüm, der hat die nächste Nachtschicht vor sich. Der muss noch was lernen. Na ja, manchmal rafft er die Kundschaft dann auch übereilt dahin, bedauerlich, aber nun ja. Ich werde deswegen auf meine alten Tage nicht noch Überstunden machen und meinen Feierabend verpassen.


    So, Schichtwechsel. Nichts wie weg von hier, alle Viere von mir strecken, nach so einer langen Schicht tun mir alle Knochen weh, ab ans warme Feuerchen.


    Bis zur nächsten Schicht.

  • von hollyhollunder

    Sie war klein und zartgliedrig, aber nicht von der Art, die einen schnell an eine Krankheit oder gar einen Mangel denken ließ - Eher an die Statur eines Kindes, kurven- und kantenlos und schmal wie eine Zehnjährige.


    Ihr Kopf hatte eine filigrane, längliche Form und die makellose Haut hob sich in ihrer marmornen Blässe kaum von ihrem stumpf-weißen Haar ab. Die schneefarbenen Ringellocken waren kurzgeschnitten und ließen die für diesen Kopf zu großen leicht abstehenden Ohren frei. Überhaupt war hier eine eigentümliche Mischung aus verkehrten Größenverhältnissen am Werk.
    Auch die Augen und der Mund waren groß und schimmerten feucht und rot, im Gegensatz zum fast reizend kleinen Stupfnäschen. Aber im Ganzen war das Gesicht unruhig und besorgniserregend unharmonisch.
    Auch ihre Hände mit den dicken kurzen Fingern und die Füße, die nackt und leicht gekrümmt auf der bloßen Erde standen, waren zu groß für die feine Struktur der Gliedmaßen.
    Sie trug schmale, knapp unterhalb der Knie endende Hosen in einem matten Schwarz und ein langärmliges blutrotes Hemd mit hochgeschlossenem Kragen. Beides zeichnete sich durch faltenlose porentiefe Makellosigkeit aus. Man schnupperte unwillkürlich nach einem
    sauberen frischen Duft, der aber vollkommen fehlte. Sowohl sie als auch ihre Kleider waren seltsam geruchlos.


    Wenn sie sprach oder lächelte – was tatsächlich auch vorkam – zeigte sie kleine unregelmäßige Kinderzähne. Bei manchen Wörter hatte man das Gefühl sie lisple ein wenig – oder vielleicht war es auch mehr ein Zischeln wie von einer kleinen weißen Schlange.
    Ihre Stimme war ein wenig schrill aber leise genug, dass sie einem nicht sofort unangenehm wurde. Obwohl – meistens sprach sie nicht sehr viel. Meist waren es nur kurze wohl gewählte Worte und Sätze.


    Sie hatte keinen richtigen Namen – der falsche passte nicht auf eine Frau - und auch kein Alter.
    Niemand wusste vorher etwas von ihr.
    Keiner kannte ihre wahre Identität, wenn sie ankam.


    Sie lachte nur leise, wenn sie erklärte, dass all die wichtigen Posten – Gott, Teufel, Erzengel – angeblich von der männlichen Spezies besetzt waren und also auch der ihre einem Mann zugeschrieben wurde. Und ihr war es Recht. Nein, ihr war es sogar gleich.


    Denn am Ende – kurz vor dem selbigen jedenfalls – wurde es jeder-Mann und jeder-Frau klar, dass dem ganz und gar nicht so war. Und nur allzu oft hatte sie das Gefühl, es wäre ihnen allen auch ganz angenehm und nähme ihnen etwas von ihrer Angst vor dem Finale des Lebens.
    Wenn sie kam, sie zu holen. Meist mit einem kleinen Lächeln – bevor sie ihren großen Mund weit aufriss wie ein Tor und ihren Lebensatem für immer verschluckte.
    Denn die Überraschung war, dass der Tod eine Frau war.

  • von Sinela


    Einsam stand das alte Haus auf dem Hügel. Früher einmal war es das Schönste in ganzen Gegend gewesen, nun war es nur noch ein Relikt aus der Vergangenheit. Lose hing die Eingangstür in den Schanieren, die Gläser der Fenster waren schon lange zerbrochen, Dachziegel, vom letzten schweren Herbststurm abgedeckt, lagen im verwilderten Garten. Schon lange erfreute sich niemand mehr an den Blumen, die dort wuchsen, teilweise vom Unkraut überwuchert. Reifes Obst fiel von den Bäumen und verrottete am Boden. Aber unbewohnt, nein unbewohnt war das Haus nicht. Hunderte von Spinnen überzogen das Innere des Hauses mit ihrem Gespinst, Mäuse und Ratten lebten unter dem Holzfussboden und liefen auch am Tage ungeniert durch die Räume, Vögel nisteten auf der Bühne - es war ein Idyll, von Ruhe erfüllt.


    Aber heute, heute war es anders. Eine Kinderstimme sang lauthals, kleine Füsse trampelten durch das hohe Gras des Gartens, erklommen die Treppe und betraten das Haus. Neugierig schaute sich Stefan um. Hier irgendwo musste der Schatz sein, von dem sein Vater gesprochen hatte. Er würde ihn finden und der große Held sein. Voller Elan fing der 8jährige an zu suchen, aber das alte Haus gab sein Geheimnis nicht preis. Mutlos stand er an der Tür, schaute sich ein letztes Mal um. Dort, unter der großen Wanduhr, da stand ein Dielenbrett nach oben. Da war bestimmt der Schatz darunter versteckt! Mit großen Schritten langte er am anvisierten Ort an, kniete nieder, streckte seine Hand unter das Brett, tastete wild umher – und schrie auf! Ein dicker Stachel steckte in seinem Finger, es blutete und tat weh – panische Angst erfüllte ihn. „Gift“, hämmerte es in seinem Gehirn. Er rannte aus dem Haus, so schnell ihn seine Füsse trugen – und es kehrte wieder Ruhe ein. Schnell übernahmen wieder die Mäuse und Ratten die Rolle der Hausbewohner, so als sei nie jemand hier gewesen.


    „Curiosity killed the cat. Na ja, in dem Fall wohl eher den Igel.”
    Grinsend schaute Manfred seine Frau an.
    „Von was redest du da bloß? Wieso Katze? Und was für`n Igel?“
    „Ich vergesse immer wieder, dass dein Englisch nicht besonders ist. Schon gut, reg dich nicht auf. ‚Curiosity killed the cat’ ist ein englisches Sprichwort und bedeutet soviel wie ‚Neugier kann tödlich enden’. In diesem Fall durchaus berechtigt. Der arme Kerl ist unter das lose Dielenbrett geklettert und nicht mehr rausgekommen. Sein Tod war bestimmt nicht leicht. Der kleine Körper ist wegen des langen und trockenheißen Sommers nicht verwest, sondern mumifiziert. Aber die Stacheln waren noch intakt und da hat Stefan reingefasst. Wird ihm hoffentlich eine Lehre sein und er wird in Zukunft weg bleiben von der alten Hütte.“


    Ja, es war Stefan eine Lehre, denn er kam nie wieder auch nur in die Nähe des Hauses. Um aber nicht als Feigling dazustehen, erzählte er seinen Freunden wahre Horrorgeschichten darüber und kein Kind in der näheren Umgebung betrat auch nur den Garten. So dämmerte es weiter seinem Verfall entgegen und wenn es noch nicht zusammengestürzt ist tut es das noch heute.

  • von churchill


    Ich sehe ihn überrascht an. Er meint es absolut ernst. Und wiederholt:


    „Schau nicht so dumm aus der Wäsche. Das hat er genial hinbekommen. Ordentlich gesoffen, 150 Sachen, überholt, wahrscheinlich weit rechts und – wumm! Der ist so gestorben, wie er gelebt hat. Immer volle Kraft voraus. Und das war’s jetzt eben. Schluss. Fertig. That’s life. Oder eben nicht mehr. Leid tun? Nicht die Bohne. Warum auch.”


    Was ich vorbringen kann, klingt schal. Den Satz, dass es doch immer schlimm sei, wenn ein Mensch stirbt, fegte er mit links zur Seite.


    „Mag sein, dass irgendjemand traurig ist, dass der tot ist. Ich bestimmt nicht. Warum sollte ich? Letztendlich bleibt der Welt dadurch einiges erspart. Ok, geplant hat er es sicher nicht. Dann hätte er sich eher ein Beispiel an dem Liberalen genommen. Raus aus dem Flieger, weg mit dem Schirm, Arme ausgebreitet und runter. Das hatte was. Richtig Stil. Boing.“


    Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Das passiert selten, aber hier habe ich es offensichtlich mit einem Fall von Hartherzigkeit zu tun. Muss angesichts der Begegnung mit der Endlichkeit nicht die Beurteilung der Taten des Einzelnen zurückstehen? Ist hier nicht ein Augenblick des Innehaltens angezeigt?


    „Du bist ein Heuchler. Fandest den Kerl doch genauso schlimm. Und nur, weil er jetzt Matsch ist, ändert sich das? So ein Schwachsinn. Dieses ganze Theater, das da veranstaltet wird, ist doch zum Kotzen. Jeder stirbt mal. Du. Ich. Dann ist es doch besser, wenn es einen erwischt, der mir egal ist. Beziehungsweise einen, bei dem das Ende sogar noch positive Seiten hat.“


    Ein Versuch, ihn zu begreifen: Was ist mit den Soldaten, die durch Selbstmordattentäter in Afghanistan umkommen? Macht ihm das etwas aus?


    „Ehrliche Antwort? Nö. Macht mir nichts aus. Berufsrisiko. Wer zum Bund geht, muss damit rechnen. Sichere Stellung haben, aber nichts riskieren müssen? Is nicht. Hätten ja Banker werden können. Obwohl das momentan auch nicht viel ungefährlicher wäre.“


    Sein Humor ist mal wieder grenzwertig. Überhaupt, wie kann er bei so einem Thema Witze machen? Ich versuche den Angriff aus dem Hinterhalt. Zugegeben, nicht ganz fair. Packe ihn bei seiner Leidenschaft. Der Literatur. Was wäre, wenn die Schöpfer der Deutschstunde oder der Blechtrommel auf diese Weise gegangen wären?


    „Ich hätte gedacht. Mist, vielleicht wäre ja noch ein guter Roman rausgekommen. Aber die Hebamme wäre auch in diesem Fall nicht mehr Schuld gewesen.“


    Ich gebe es auf. Er kann es einfach nicht. Gefühlloser Klotz. Klotz, der jetzt das vibrierende Handy aus der Tasche nimmt. Nur hört. Nichts sagt. Dann heult. Ich schenke nach und warte.


    „Meine Tochter. Ihr Meerschweinchen. Der Staubsauger. Nicht gesehen. Überrollt.“


    Ich sauge nicht gern. Sie hätte es auch besser jemandem überlassen sollen, der den Staubsauger nicht zum Überrollen eines Meerschweinchens benutzt. Ich reiche ihm ein Tempo. Und nehme Anteil am Meerschweichenmatschdrama. Zum Ausgangsthema unserer Unterhaltung kehre ich nicht zurück. Menschen, die am Boden liegen, soll man nicht treten. Hat meine Mama mir immer gesagt. Oder nicht mit dem Staubsauger überfahren. Oder so.

  • von Glass

    „Ich bin krank“, sagte Mama. Anna stand in der Küche, gerade hatte sie ein Toast in den Toaster gesteckt. „Morgen muss ich ins Krankenhaus.“ Ihre Mutter lehnte im Türrahmen. Krank? Was sollte das bedeuten? „Schlimm?“, fragte Anna.
    „Ja.“
    Das Toast hüpfte aus dem Toaster. Es war ganz still in der Küche und keine von ihnen traute sich, die andere anzusehen. Ein paar Augenblicke verstrichen, dann ging die Mutter. Anna blieb und starrte den Toaster an. Draußen dämmerte es bereits und die undeutlichen Umrisse der Bäume vor dem Hof, die man vom Küchenfenster aus sehen konnte, bewegten sich im starken Wind ruckartig hin und her. Aus dem Schlafzimmer kamen Geräusche. Mama packte ihre Sachen. Fürs Krankenhaus. Weil sie krank war, schlimm krank.
    Langsam ging Anna zum Kühlschrank und nahm die Erdbeermarmelade heraus. Sie schmierte das Toast und setzte sich an den Küchentisch. Ihr war ganz kalt geworden und sie hatte keinen Hunger mehr. Der Wind wurde noch stärker und pfiff um das Dach. Auf einmal glaubte sie, mitten im Wind zu sein, ohne den Schutz des warmen Hauses, mitten drin im Sturm.
    Im Flur war es dunkel, als Anna sich vorsichtig dem Schlafzimmer näherte. Ein schmaler Lichtstreifen ragte aus der halboffenen Tür in den Flur hinein. Anna spähte durch den Spalt und sah ihre Mutter vor dem Kleiderschrank stehen. „Mama“, flüsterte Anna.
    Ihre Mutter drehte sich, einen Stapel Socken in der Hand, herum.
    „Mama, was heißt ``schlimm krank´´“?
    Sie ging ein Stück in das Zimmer hinein, während ihre Mutter die Socken in den Koffer legte. Mit gesenktem Kopf blieb sie vor dem Koffer stehen, räumte die Dinge, die darin waren hin und her. „Schlimm krank“, murmelte sie. Dann wandte sie Anna den Rücken zu und blickte in die offenen Fächer des Schrankes. Anna sah nur ihren Rücken, das offene Haar, das auf ihre Schultern fiel. „Schlimm krank“, sagte ihre Mutter jetzt etwas lauter, „bedeutet, dass ich vielleicht schon bald sterben werde.“
    Das Wort schien in Annas Kopf wie ein Echo immer wieder nachzuklingen. Sterben. Sterben. Ihre Mutter packte weiter, räumte Kleider aus dem Schrank in den Koffer: Socken, Hosen, Pullover und Blusen, Röcke und Unterwäsche und Schals und Schlafanzüge. Sterben.
    Anna lief in ihr Zimmer und legte sich auf ihr Bett. Sie versuchte, einzuschlafen. Sie drehte das Wort in ihren Gedanken hin und her, doch je länger sie es tat, desto fremder wurde es. Als sie am nächsten Morgen erwachte, wusste sie zunächst nicht warum sie sich fühlte, als läge eine schwere Last auf ihr. Doch dann fiel ihr das Wort ein und sie glaubte zu fallen. Hinab bis zu einem tiefen Grund und ganz unten im Dunkeln wartete nur die Stimme ihrer Mutter, die immer und immer wieder das gleiche Wort flüsterte.

  • von Quetzalcoatlus

    Wie wird man alt und bleibt gesund?
    Kann man dem Tod ein Schnippchen schlagen?
    So hallt es laut ins weite Rund
    Und jedes Viech vernimmt die Fragen


    Als erstes kommt aus seinem Feld
    Der Hamster flink herausgeschnellt
    Um zu verkünden aller Welt
    Wie er es mit dem Leben hält:


    „In den paar Jahren, die ich habe
    Verfolgen mich stets Fuchs und Rabe
    Doch ich möcht’ mich nicht beschweren
    Sondern zahlreich mich vermehren.“


    Als nächstes fliegt herbei in Eile
    Ein Kuckuck, und er wirkt recht schlicht
    Er überlegt erst eine Weile
    Bevor er schließlich leise spricht:


    „Ich bin simpel – wenn zwei sich raufen
    Fliehe ich meist in schnellem Flug
    Doch vor dem Tod davonzulaufen
    Ist weder sinnvoll noch sehr klug.“


    Aus den blauen Meeresfluten
    Hebt stolz der Grönlandwal sein Haupt
    Worauf er – ohne sich zu sputen –
    Nun lauthals seine Meinung schnaubt:


    „Ich lebe lang und sah schon viel
    Naturkreisläufe sind beständig
    Der Tod war stets des Lebens Ziel
    Doch noch fühl’ ich mich sehr lebendig.“


    Tiefer im Meer rumort es leise
    Ein brauner Klumpen regt sich sacht
    Ein Schwamm spricht dort auf seine Weise
    Und wählt die Worte mit Bedacht:


    „Ich sitze hier seit tausend Jahren
    In dieser Zeit hab’ ich erfahren
    Während des Daseins sollst du ruh’n
    Und ansonsten gar nichts tun.“


    Zum Abschluss dieser Possenspiele
    Kriecht hervor das Amöbentier
    Es teilt sich auf, es werden viele!
    Erst zwei, dann drei und schließlich vier


    Wer nun schon vor Spannung zittert
    Der bleibt ratlos und verbittert
    Denn dieses Tierchen kriecht durchs Leben
    Ohne uns einen Rat zu geben
    Denn hinter der Amöbenstirn
    Sitzt leider meistens kein Gehirn!