Es ist eine graue Stadt, in die sie zurückkehrt. Früher war es bunt hier, doch jetzt liegt über allen Dingen ein milchiger Schleier.
Das Sonnenlicht sucht sich mühsam seinen Weg durch die dreckige Luft. Es sieht aus, als hätte jemand Staub in den Himmel gepustet, der nun langsam wieder auf die Erde zurück rieselt. Dabei setzt er sich überall fest: Auf Häusern, Bäumen und Menschen, auf den Schaukeln der Kinderspielplätze und auf dem dunkelgrünen VW Käfer mit den rostigen Kotflügeln, der in dem unnatürlichen Nebel am Straßenrand kaum zu erkennen ist.
Die Stille vor dem Schulgebäude verwirrt sie. Früher war es hier niemals ruhig. Aus den Klassenzimmern dringt kein Laut. Kein bekanntes Gesicht kommt lachend über den Hof auf sie zu.
Ist es schon nach halb zwölf? Sie spürt die Hitze ihren Körper hinaufkriechen. Gelb. Die Wände, damals.
Langsam geht sie auf und ab. Die Pflastersteine unter ihren Füßen ergeben ein seltsames Muster, wenn sie die Augen etwas zusammenkneift. Ihr wird schwindlig davon.
Sie steht still.
Zwei Jungen rauschen auf Fahrrädern an ihr vorbei. Fröhlich, ihre Haut von der Sonne gebräunt, ihre Haare nass. Sie rufen sich etwas zu. Was sagen sie?
Als sie das letzte Mal aus dem Schulgebäude gekommen ist, war sie auch fröhlich. Ihr Abschlusszeugnis in der Hand und ein Lächeln auf den Lippen trat sie auf den Hof hinaus, damals. Ihre Träume waren so strahlend wie der Sommertag, ein Tag im Juni vor vier Jahren.
Ihr laufen die Tränen die Wangen hinab, als sie an diesen Moment denkt, der ihr wie ein wertvoller, glänzender Gegenstand aus einer anderen, verlorenen Welt vorkommt. Er hat die Zeit überdauert, aber ist begraben unter der Schutthalde ihrer Einsamkeit, auf der sich seit diesem Tag im Juni mit allem, was sie tut, immer mehr Müll ansammelt.
Die Welt gleicht einem Gemälde, über das jemand ein Glas Wasser geschüttet hat, alles verschwimmt, und die Geräusche, wie das Vogelgezwitscher, erklingen aus einer weiten Ferne. Sie hört Stimmen aus der Vergangenheit, glückliche Stimmen, und ihre eigene vernimmt sie am lautesten: Wie sie träumend berichtet von ihren Plänen, ihrer Zukunft, die ihr damals so klar und strahlend und in einem hellen Licht erschien.
Sie schaut ihre Hände an, die in diesem Jahr nicht von der Sonne gebräunt sind. Früher im Sommer hatte ihre Haut immer eine Farbe von weich geschliffenem Holz, glänzend und glatt. Jetzt scheint der Staub aus der Luft auch ihren Körper zugedeckt zu haben mit einer dicken, grauen Schicht.
Plötzlich kommt jemand auf sie zugelaufen. Er ist größer geworden und sein Gesicht älter, aber als sie ihn sieht, fühlt sie sich zum ersten Mal seit sie wieder hier ist, zu Hause. Sein Lächeln ist die Heimat, die sie gesucht hat und das Funkeln in seinen Augen sagt ihr, dass es doch etwas gibt, das sich nicht verändert hat.
Er fragt sie nicht, warum sie weint oder was sie hier macht. Stattdessen wischt er ihre Tränen weg und nimmt ihre Hand.
„Wohin gehen wir jetzt?“, fragt sie.
Er deutet in die Ferne, wo über den Dächern der Stadt ein roter Heißluftballon aufsteigt und dahinter liegen die Berge und sanfte, grüne Hügel zerfließen unter dem blauen Augusthimmel. Seine Stimme ist fast ein Flüstern, als er antwortet: „Wir versuchen, bis zum Horizont zu laufen.“
Sie blickt dem Luftballon nach, der in den Sonnenstrahlen glüht und immer kleiner wird. Die Staubflocken scheinen auf einmal im Licht zu glitzern.
„Aber...dann kommen wir niemals ans Ziel!“
Er lächelt sie an und hält ihre Hände in seinen.
„Ich weiß.“
Ein Traum
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Die Geschichte gefällt mir sehr gut. Ich kann mir richtig vorstellen wie die Szenerie aussieht. Besonders der Vergleich mit dem Staub gefällt mir.
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mir gefällt die geschichte ebenfalls sehr gut.
vor allem der 'plastische' stil hat mich beeindruckt.
allerdings ist das ende für meinen geschmack etwas plötzlich und aufgesetzt, aber das mag an meiner durch und durch negativen weltsicht liegen. -
Ich finde die Geschichte sehr schön :-), du schreibst sehr flüssig, allerdings finde ich, dass du manchmal zu viele Vergleiche verwendest. Das Ende ist für meinen Geschmack etwas zu kurz, aber ich finde es passt und vorallem das sie sagt, dass sie dann niemals ans Ziel kommen werden hat mir sehr gefallen, so fühle ich mich manchmal auch... . Ich würde mich auf jeden Fall freuen noch mehr von dir zu hören :-).
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Kompliment Glass, das hast Du sehr schön geschrieben. Mir gefällt es außerordentlich gut
Weiter so!
Liebe Grüße,
Sibel