Frank Cottrell Boyce, Millionen (ab 10 Jahren)

  • Seit die Mutter der Brüder Damian und Anthony Cunningham gestorben ist, beschäftigt sich der jüngere Damian nur noch mit Heiligen, weil er dadurch hofft, seiner Mutter im Himmel näher zu kommen. Anthony wählt die Strategie, sich auf alles Zählbare zu verlegen, und das Leben nur noch aus streng wirtschaftlicher Sicht zu betrachten. Genau mit diesen Marotten der Brüder Cunningham wird man am Anfang des Buches konfrontiert, ohne dass man sofort die tragische Hintergrundgeschichte erfährt. So kann man auf den ersten Seiten sehr über diese recht englischen Skurrilitäten lachen.
    So baut sich Damian etwa aus den Umzugskartons - seine Familie ist nach dem Tod der Mutter in ein neues Haus gezogen - in der Nähe des nun benachbarten Bahndamms eine Eremitenklause. Diese wird eines Tages von einem ungewöhnlichen Flugobjekt getroffen: Einer Tasche, in der sich genau 229.370 englische Pfund befinden - der herbeigerufene Anthony zählt natürlich sofort alles genau nach. Anthony riecht den Braten zwar, möchte das Geld aber behalten; Damian hält den unverhofften Geldsegen für ein Geschenk Gottes und kommt gar nicht auf die Idee, seine Existenz jemandem anzuzeigen.
    Das Dumme ist nun, dass Boyces Version Großbritanniens in zwei Wochen dem Euro beitritt. D.h. es gibt eine Menge Bargeld, aber sehr wenig Zeit es loszuwerden.


    Frank Cottrell Boyce gelingt mit "Millionen" ein sehr ansprechendes Buch zu einem zugegeben nicht furchtbar originellen Thema. Gerade der Kinderbuchmarkt wird von Büchern zum Thema 'Tod' geradezu überschwemmt. Leider sind sie nicht immer sehr gut, im Gegenteil. Boyce schafft es mit einem relativ einfachen Schachzug, das komische Potenzial einer Sinnsuche durch unermessliche pekuniäre Mittel mit dem schwierigen Thema des Verlustes eines immateriellen und unbezahlbaren Wertes zu verbinden. Die Auffälligkeiten der Kinder sind einerseits sehr amüsant, andererseits lassen sie einen auch ins Grübeln geraten, denn schließlich sind die Selbstkasteiungen und Visionen des kleinen Damian eben vor ein allem Ausdruck für die Verarbeitung eines unvorstellbaren Schmerzes. Das vergisst man über den lockeren Ton des Buches, was ich sehr gut finde.


    Sehr interessant ist auch die Variante, die Anthony verkörpert. Als der Klassenbully seinem kleinen Bruder die Chips abnehmen will, kontert er mit einem: "Unsere Mutter ist tot!" und zeitigt mit dieser Strategie unglaubliche Effekte. Die Instrumentalisierung des Todes der Mutter für den eigenen Vorteil, erscheint dabei nicht makaber, sondern auf anrührende Weise tragikomisch.


    Kinderbücher haben es - im Gegensatz zu Jugendbüchern - meist schwer bei mir, es gibt da derart viel Unsinn und seichten Kram, dass man die Hände über dem Kopf zusammenschlagen möchte. Boyce ist eine rühmliche Ausnahme und ich werde ihn ganz sicher im Auge behalten.


    EDIT Tippfehler + Altersangabe ergänzt


    *

  • "Millionen" habe ich gelesen uns sehr gelacht, nicht nur für Jugendliche ist dieses Buch geeignet, wobei ich nicht den Schwerpunkt auf dem Tod der Mutter gesehen habe, sondern auf dem versuchten Neuanfang des Vaters mit seinen Söhnen.
    Aber vielleicht ist das der von Bartlebooth klassische Fall des Vergessens :lache


    Mit köstlichem englischen Humor werden die Beobachtungen Damians und Anthonys beschrieben. (Etwa das Leben der Mormonen Familien in der direkten Nachbarschaft)
    "Millionen" ist absolut lesenswert.
    Und lustig. Und tragisch.



    begeisterte Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Elbereth ()

  • Danke für die Rezi, das Buch hört sich echt gut an, wandert gleich auf meine Wunschliste

    Ich wünschte mir an meinem eigenem Grab stehen zu können, nur um die Trauernden zu fragen wo sie in meinem Leben waren


    Gelesene Bücher 2011: 14


    /Buchkaufverbot/

  • Zitat

    Original von Elbereth
    Aber vielleicht ist das der von Bartlebooth klassische Fall des Vergessens :lache


    Fehlt da ein Teil des Satzes oder versteh ichs nur nicht? :gruebel


    Zitat

    Original von Elbereth
    Mit köstlichem englischen Humor werden die Beobachtungen Damians und Anthonys beschrieben. (Etwa das Leben der Mormonen Familien in der direkten Nachbarschaft)


    Das ist keine Familie, sondern eine Art Gemeinde. Weiß zu wenig über die Organisationsstrukturen der Mormonen, um das ganz genau zu verstehen.