Mannheimer Dreck - Rainer Martin Mittl

  • Es beginnt unappetitlich. Ein unbekannter Erzähler wird von seinem Ekel über Menschen so überwältigt, daß er sich übergibt. Mitten in einem Bus und auf eine junge Frau, die sich eben neben ihn setzen wollte. In dem Chaos wechselt aber auch ein Gegenstand seinen Besitzer, etwas, das auch nicht hätte geschehen sollen.
    Oberkommissar Frieder Kindlein findet seinerseits, daß er das Angebot seines im Präsidium ziemlich verrufenen Kollegen Morgenthaler, ihm beim Regalaufbau zu helfen, nicht hätte annehmen sollen. Kindlein möchte eigentlich nichts mit ihm zu tun haben. Es bleibt aber nicht bei diesem einen Privatkontakt, auf dem Morgenthaler so besteht. Eine übelst zugerichtete Leiche wird gefunden, und die gerade grassierende Grippe zwingt Kindlein, sich gemeinsam mit dem aufdringlich fröhlichen Morgenthaler (‚Sag Conny zu mir’) an die Arbeit zu machen.
    Schon am ersten Tag stellen sie fest, daß der Mord zu einer Serie gehört, die sich in Mannheim und Umgebung seit dreißig Jahren abspielt und nie aufgeklärt werden konnte. Das hat Kindlein gerade noch gefehlt. Mit seinem Selbstbewußtsein steht es nicht zum Besten. Was ihm auch noch gefehlt hat, ist die junge Frau, Ester, die im Bus im Wortsinn angekotzt wurde, und später in ihrer Tüte einen höchst seltsamen Gegenstand gefunden hat, der ihr nicht gehört. Sie hat nämlich schon auf eigene Faust angefangen, herumzufragen. Kindlein will gar nicht hören, was sie ihm erzählen möchte. Infolgedessen sieht er auch nicht richtig hin und stolpert an der Seite Morgenthalers ziemlich unwillig durch den Fall, auch als ein zweiter Mord geschieht.
    Er wacht erst auf, als ihm auffällt, daß bei den Ermittlungen der Name eines weiteren Kollegen immer wieder auftaucht. Dieser hat lange mit Morgenthaler zusammengearbeitet. Kindlein muß aber noch einiges an Denkarbeit leisten, bis er die auf den ersten Blick widersinnigen Puzzleteile so zusammengesetzt hat, daß sich das ganze Bild zeigt. Und das ist ein echtes Horrorszenario.


    Dieser Roman, in der Reihe Der Badische Krimi die Nummer fünf, ist ein Erstling. Das merkt man ihm an. Der Aufbau ist arg kompliziert, der Plot höchst verwickelt. Die auftretenden Personen sind mit viel zu vielen Details ausgestattet, so manches stammt deutlich aus dem Leben des Autors selbst, etwa, daß Ester Musikerin und Schreinerin ist, die sich mit Möbel - wie Instrumentenbau gleichermaßen gut auskennt. Eine weitere Vorliebe des Autors liegt bei Inneneinrichtungen, von nobel bis schäbig. Viel Zeit wird auch für die familiären Hintergrund verwendet. Es bleibt einem wenig erspart.
    Gespart wird an der Charakterisierung. Es wird nicht klar, warum Kindlein denn nun so wenig Selbstbewußtsein hat, immerhin ist er Oberkommissar geworden. Das Verhältnis Morgenthalers zu seinem anderen Kollegen bleibt letztlich unterbelichtet. Die Auflösung per Brief am Ende ist gewaltsam und nicht recht schlüssig.


    Der Ausführlichkeit fallen vor allem die Dialoge zum Opfer. Sie kommen mehr als behäbig daher. So spricht keine und keiner, jede/r erklärt dem jeweils anderen alles (das ist wörtlich zu nehmen) etwa ein halbes Dutzend Mal. Da liest man bei der Befragung eines Zeugen Sätze wie folgenden: Das Autohaus XY hatte einen Auftrag von mir erhalten, der vorsah, mein Fahrzeug einer Inspektion zu unterziehen - an der Stelle ging mir allein beim Lesen schon mal die Puste aus - und dabei gleich alles zu reparieren, was nicht mehr in Ordnung ist. (S. 147) Undsoweiterundsofort.
    Ein paar sprachliche Ausrutscher gab es auch. Was ist eine ‚antiquarische’ Kommode?


    Überdies schildert das Buch keine Polizeiarbeit im üblichen Sinn. Manchmal finden sich Morgenthaler und Kindlein im Präsidium wieder, mit Akten auf dem Schreibtisch und süßem Gebäck in der Hand, die polizeiliche Ermittlungsarbeit beschränkt sich aber vor allem auf hektische Anrufe bei der Technik, sie möge gefälligst schneller arbeiten. De facto gebärden sich beide Kommissare eher wie Privatermittler. Auch im Gespräch mit den ZeugInnen und Verdächtigen.


    Lokalkolorit ist vorhanden, wenn man die Nennung bestimmter Ortsnamen und Wahrzeichen einer Stadt als solchen verstehen will. Mir hat Atmosphäre gefehlt. Einen Mannheim-Krimi zu lesen, in dem kein einziges Wort Pfälzer Dialekt oder wenigstens etwas Nordbadisches vorkommt, ist schon merkwürdig. Wer auf das vertraute ‚Alla, jetz’, ein Wort wie Kardoffelsupp’ oder wenigstens mal ein ‚Mannem’ hofft, wird enttäuscht. Manche Beschreibung erinnert hin und wieder eher an einen Reiseführer als an Mannheim selbst. Die Behauptung, daß die Mannheimer den etwas ausgefallenen Grundriß ihrer Innenstadt so praktisch finden, z.B.
    Über die Quadrate und ihr besonderes Hausnummern-System zu lästern, gehört für MannheimerInnen gelegentlich einfach dazu.


    Dennoch kann man den Krimi empfehlen. Morgenthaler und Kindlein sind sympathisch, wenn sie auch viel zu skizzenhaft angelegt sind. Immerhin sind sie nicht schematisch gestaltet, überhaupt lassen sich die meisten Personen vielversprechend an.


    Das zugrundeliegende Rätsel ist gut ausgedacht. Daß immer wieder eine Täterstimme kommentiert, trägt zur Spannung beträchtlich bei.
    Mordart und - waffe sind originell gestaltet. Der Mord selbst ist mir zu blutig und rückt das Buch in Thriller-Nähe. Das Entsetzen, das er beim Lesen hervorruft, paßt jedoch zu dem ganzen Schrecken, der allem zugrundeliegt. Es werden einige nicht uninteressante moralische Probleme gestellt, die meisten sind bekannt, man liest sie aber immer wieder gern. Eines unter ihnen bringt allerdings eine ganz neue Sichtweise auf bestimmte Familienverhältnisse. Das war sehr anregend.
    Der Autor umgeht geschickt so manche klassische Falle, so wird aus Ester keine Jungfer in Nöten. Der Weg zum Showdown holpert allerdings trotzdem. Bis dahin hat man aber so viel hingenommen und sich mit dem ganzen Konstrukt so angefreundet, daß man gespannt zuende liest.


    Wer Regionalkrimis mag, ist mit diesem Buch trotz seiner Behäbigkeit wirklich nicht schlecht bedient.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von magali ()

  • Mannheimer Dreck habe ich mal gegessen. War wirklich lecker. Hatte ein wenig was lebkuchenmässiges.


    Ohne Pfälzer Dialekt? Wirklich etwas merkwürdig.
    Gab es in dem Buch denn nicht mal etwas für "umme"? :-)


    Ein etwas behäbiger Regionalkrimi ist wirklich was für mich. Herzlichen Dank für diese Rezi. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Nö, nix fer umme.
    Und die Adler fehlen auch, vom Waldhof ganz zu schweigen.
    ;-)



    Mannheimer Dreck mag ich auch, seit mein zweibeiniger Hauskater einmal für einen Vortrag mit einem 2-Kilo-Paket davon bezahlt wurde (kein Witz!). Als das Paket leer war, waren wir süchtig.
    :lache


    Doch, das Buch liest sich recht gut, gemächlich eben. Trotz der (für mich) ekligen Gewaltszenen.




    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Mannheimer Dreck mag ich auch, seit mein zweibeiniger Hauskater einmal für einen Vortrag mit einem 2-Kilo-Paket davon bezahlt wurde (kein Witz!). Als das Paket leer war, waren wir süchtig.
    :lache


    Zitat

    Original von Voltaire
    Mannheimer Dreck habe ich mal gegessen. War wirklich lecker. Hatte ein wenig was lebkuchenmässiges.


    Mannheimer Dreck ist wirklich lecker (und nicht gerade billig)


    Als der erste Duden mit der neuen Rechtschreibreform (glaube 1998) herauskam hat der Dudenverlag an die Buchhändler zu Weihnachten auch eine Dose mit Mannheimer Dreck verschickt, die meisten in meiner Ausbildungsklasse, haben mich (als Mannheimerin, damals im Schwabenland im Exil) gefragt, wie man so etwas gerne essen kann. :lache Die wissen gar nicht was gut ist.


    Lieben Gruß


    Beatrice

  • :lache


    Nein, 'Mannheimer Dreck' ist sicher keine preiswerte Süßigkeit.
    Hier in Berlin findet man es ungelogen in Spezialitätengeschäften ( :wow) und da ist es etwa anderhalbmal so teuer. :pille
    Gut, daß meine Schwiegermutter noch vor Ort wohnt.
    ;-)



    Auf Deinen Eindruck bin ich wirklich gespannt, kamikazebaer. LU kommt auch vor. Mal sehen, wie das Buch wirkt, wenn man noch vor Ort ist.
    'Mein' Mannheim war es nicht, aber jede hat wohl ihren speziellen Eindruck einer Stadt.
    Immerhin hatte ich beim Lesen seltsamerweise dauernd Appetit auf Brezeln.
    :lache



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Auf Deinen Eindruck bin ich wirklich gespannt, kamikazebaer. LU kommt auch vor. Mal sehen, wie das Buch wirkt, wenn man noch vor Ort ist.


    werde berichten, war auch interessant, als ich Mannheimer Morde gelesen habe und "wußte" wie es wirklich aussieht, die strecke kannte etc.







    Zitat

    Original von magali
    Immerhin hatte ich beim Lesen seltsamerweise dauernd Appetit auf Brezeln.


    Danke für die "vorwarnung" dann muß ich mir ein vorrat an brezeln holen, wenn ich das buch lese.


    :lache


    lieben gruß
    Beatrice