Über den Autor:
Xiaolu Guo wurde 1971 in einer kleinen Stadt am chinesischen Meer geboren. Mit achtzehn ging sie nach Beijing, studierte dort an der Filmhochschule. und schrieb fünf Romane. Im Jahr 2002 zog sie nach London. Sowohl in China als auch in ihrer britischen Wahlheimat machte sie sich als Filmemacherin und Schriftstellerin einen Namen. Mit "Kleines Wörterbuch für Liebende" gelang ihr der internationale Durchbruch. Im Knaus Verlag erschien 2005 von Xiaolu Guo bereits der Roman "Stadt der Steine".
Weitere Informationen:
Xiaolu Guo - Porträt bei Random House
Xiaolu Guo bei perlentaucher.de
Xiaolu Guo - Homepage (Englisch)
Klappentext:
Lost in Translation zwischen Peking und London
Die junge Chinesin Zhuang reist zum ersten Mal in den Westen und taucht in eine fremde Welt ein. Sprache und Umgangsformen, Essen und Trinken, Liebe und Sex - alles ist befremdlich, überraschend und manchmal unbegreiflich. Ebenso amüsante wie erhellende Missverständnisse verbinden sich zu einem rasanten Verwirrspiel zwischen Ost und West und Mann und Frau. Ein außergewöhnliches Lesevergnügen!
Als Zhuang in London ankommt, fühlt sie sich vollkommen verloren. Ihre Eltern haben sie in den Westen geschickt, damit sie Englisch lernt. Doch es ist nicht nur die fremde Sprache, die ihr Mühe macht. Sie sieht sich mit unfreundlichen Taxifahrern, ungenießbarem Essen und seltsamen Umgangsformen konfrontiert. Unbekannte Wörter, ungewöhnliche Begebenheiten und verblüffende Beobachtungen hält sie in einem kleinen Notizbuch fest, das zum Rettungsanker im Meer der Missverständnisse wird. Geborgen fühlt sich Zhuang nur im Kino - dort begegnet sie schließlich auch der Liebe. Doch im Westen erweist sich diese als ebenso kompliziert wie der Alltag. Xiaolu Guo inszeniert den Kulturschock erhellend und voller Witz. "Kleines Wörterbuch für Liebende" ist ein kluges, unterhaltsames Verwirrspiel um kulturelle Unterschiede und nicht miteinander zu vereinbarende Lebensformen. Zugleich ist es eine zärtliche, bittersüße Liebesgeschichte. Ein außergewöhnliches Lesevergnügen!
"Dieser Roman ist so unterhaltsam
wie die "Kurze Geschichte des
Traktors auf Ukrainisch" -
er ist nur viel besser!"
(The Independent on Sunday)
Eigene Meinung:
"Ich bin auch keine Intellektuelle. In diese Land in Westen ich bin Barbarin, ungebildete Bauernmädchen, ein Gesicht aus Dritte Welt und unberechnungsfähige Fremde. Ein Alien von andere Planet."
Zhuang, kurz Z, fühlt sich verloren. Von den chinesischen Eltern nach London geschickt, um Englisch zu lernen, ergo eine bessere Ausbildung zu machen, neue Chancen zu erschließen, als die eigenen Verwandten es jemals tun könnten, fühlt sie sich sehr bald verloren, allein, einsam in dieser großen Stadt, in diesem Land, welches so viel anders ist als zu Hause. Kohlensäurehaltiges Mineralwasser, Vegetarismus, Anarchismus, Individualismus, das eigene "Ich" - Inner Self - alles ist fremd, alles wirkt bedrohlich, misstrauen erweckend. Und dann trifft sie einen Mann; einen Mann, der in ihr Gefühle der Leidenschaft hervorruft, der erste Sex, die erste Verbalisierung von Sexualität, aber auch von Liebe, von Beziehung, von Alltagstätigkeiten, von Beziehung. Diese vollkommen neuen Eindrücke schildert Zhuang in einem "Wörterbuch", eher Tagebuch, in dem sie neue Gedanken, Ausdrücke, Worte und Wortgruppen notiert, so eindringlich und authentisch formuliert, dass einem die Protagonistin bald ans Herz wächst. Mit viel Naivität, Neugierde und Lebenswillen läuft sie durch das trübe London, an der Seite dieses Mannes, der so ganz anders ist in ihrer Beziehung als sie es kennt.
Er plädiert für das "Ich", sie für das "Wir". Er plädiert für "Freiheit" und "Unabhängigkeit", sie für "Familie" und "Ordnung". Er will ein Leben führen, ohne gebunden, ohne gefesselt zu sein. Sie will eine häusliche Fessel, will die Heirat.
Guo lässt hier nicht nur zwei unterschiedliche Kulturen, sondern auch zwei vollkommen unterschiedliche Lebenskonzepte sich konfrontieren, diskutieren, kontrastieren. Die chinesische Leitkultur des Kollektivismus versus die vollkommen individualisierte, geradezu a-soziale Leitkultur des Westens. Die Autorin scheut nicht Klischees zu benennen, die auf beiden Seiten zu bestehen scheinen, sie aufzubrechen, sie zu parodieren, zu karikieren, aber sie auch zu untermauern, wenn nicht sogar zu übertreiben. Es ist ein Spiel mit Ansichten, nicht nur welche politischer Natur, selbst ein Pornoheft wird als Anlass dazu genommen, inwiefern die "Freizügigkeit" der westlichen Kultur bestimmend ist für ein gemeinsames Liebesleben.
Erotik, aber nicht zuletzt die Liebe ist bei beiden Protagonisten, keine Diskussionsfrage. Sie streiten sich nicht darüber, ob sie sich lieben, sondern ob dieses Ausleben der Liebe richtig ist, in den richtigen Bahnen verläuft und ob nicht eine Fehlentscheidung dahinter stand, dass sich ein 20-Jahre-älterer Herr mit einer jungen, eher "wortlosen" Chinesin einlässt.
Diese "wortlose" Chinesin blüht immer mehr auf, je mehr sie die englische Sprache erlernt, je mehr Begriffe sie erkennt, nachschlägt und wiederkennen kann. Die anfänglichen Grammatikschwierigkeiten finden genauso Einfluss in den Stil, wie verschiedene Wortbedeutungen, kulturelle und religiöse Unterschiede. Guo benutzt in diesem Werk eine sehr authentische Sprache, die niemals überbordernd, niemals übertrieben schön oder verschnörkelt ist. Das Vokabular Zhuangs ist eingeschränkt, so auch das Vokabular des Stils. Und doch wirkt der Stil realitätsnah, sehr flüssig, teilweise sehr abstrakt durch unterschiedliche Bilder und Gleichnisse, die Zhuang benutzt um ihre Lebenswelt verständlich zu machen.
Ob die Geschichte an sich authentisch ist oder nicht, möchte ich nicht bewerten. Allerdings - in der Lesart eines Textes, welcher sich mit den Problemen der Integration bei Problemen mit der Fremdsprache und kulturellen Unterschieden - wirkt die Textdarstellung sehr gelungen. In der Lesart einer Liebesgeschichte habe ich Probleme eine Paarbeziehung beider Protagonisten zu akzeptieren, fühle mich teilweise sogar vom männlichen Part sehr abgestoßen.
Und dennoch... nach meiner Ansicht ein schöner, flüssig lesbarer, trotz sprachlicher Eingeschränktheit wunderschöner literarischer Text.