Mademoiselle Berthe und ihr Geliebter. Kriminalerzählung - Georges Simenon

  • OT: Mademoiselle Berthe et son amant 1944



    Kommissar Maigret sitzt an einem frühen Maimorgen in einem Café der Pariser Boulevards und ist grantig. Was ihn so ärgert, ist er selbst. Eigentlich ist er in Pension, eigentlich sollte er noch in Meung-sur-Loire im Bett liegen oder wenigstens in seinem Garten arbeiten, auf den er so stolz ist. Statt dessen hat er sich vom Brief einer unbekannten jungen Frau in die Hauptstadt locken lassen. Der Brief war ihm von Anfang an theatralisch erschienen, jawoll! Trotzdem hatte er ihn Madame Maigret verschwiegen. Nun sitzt er im Café, knurrt vor sich hin und kommt sich vor wie ein älterer Liebhaber auf Abwegen.
    Als die Absenderin des Briefs endlich kommt, weicht sein Mißtrauen, aber nur langsam. Mademoiselle Berthe trägt ein gar zu rotes Hütchen. Doch ihre Geschichte beeindruckt ihn. Sie hat einen jungen Mann, Albert, kennengelernt, der, aus guter Familie stammend, in die Kriminalität gerutscht ist. Er war vor kurzem an einem Banküberfall beteiligt, er soll dabei jemanden erschossen haben. Nun ist er auf der Flucht nach England und will, daß sie ihm nachfolgt.
    Mademoiselle Berthe aber ist ein anständiges Mädchen, bei aller Liebe will sie keinen Kriminellen heiraten! Kaum hat sie Albert das geschrieben, fing er schon an, sie auf das Schrecklichste zu bedrohen. Ihr Leben ist in Gefahr. Maigret soll sie beschützen.
    Die Sache mit dem Banküberfall macht Maigret neugierig. Er setzt sich mit seinem Neffen in Verbindung, der inzwischen selbst bei der Pariser Polizei arbeitet. Dieser bestätigt Mademoiselles Berthes Geschichte. Aber etwas an Mademoiselle Berthe läßt Maigret stutzen. Und dann hat er eine Idee, die ihm richtig gute Laune bereitet. Doch, der Ausflug nach Paris hat sich gelohnt.


    Was diese Kriminalerzählung aus den Geschichten von Simenon heraushebt, ist der geradezu heitere Ton, in der sie abgefaßt ist. Nichts von der Melancholie und der großen Traurigkeit über die Abgründe der menschlichen Seele hier. Man kann geradzu sagen, daß der Autor über seine stets traurige Hauptfigur ein klein wenig spottet. Es ist aber ein sehr liebenswerter Spott. Der große, schwere Kommissar, der sich am wohlsten am Tisch einer Kneipe fühlt, muß sich sozusagen seinen Weg durch das Boudoir einer jungen Frau bahnen, die eigene Interessen verfolgt. Daß sie als Schneiderin für Kundinnen preiswert die Modelle großer Modeschöpfer kopiert, paßt genau zu ihr. Nicht alles, was sie erzählt, ist echt, und doch ist es kunstvoll, schön, und nur zu einem bestimmt: es soll glücklich machen.
    Während Maigrets Neffe noch stirnrunzelnd in Sachen Banküberfall ermittelt, breitet sich langsam ein Lächeln über Maigrets Gesicht. Es hat schon alles seine Richtigkeit mit dem Fräulein. Auch wenn sie ihm wirklich keck kam, keck wie rotes Hütchen.


    Nette Lektüre, ein richtiger ‚Cozy’ von Simenon.



    Enthalten ist die Erzählung in dem Band: Maigret. Seine großen Fälle (Scherz Verlag, 1994)
    In der alten Diogenes-Ausgabe findet sie sich unter dem Titel: Sechs neue Fälle für Maigret (1987), der leider nicht mehr lieferbar ist.


    Ich habe sie gelesen in dem Sammelband: Maigret und die Frauen, Volk und Welt 1987.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zu Maigret habe ich nie den richtigen Draht gefunden. Obwohl ich einige Maigret-Krimis gelesen habe, fand ich ihn immer irgendwie farblos, in gewisser Weise auch ein wenig langweilig.


    Seine PI-Kollegen von den Autoren Chandler, Hammit, Ross McDonald aber auch seine Polizeikollegen vom 87. Revier aus der Stadt Isola (Ed McBain ist der Autor) haben mir immer besser gefallen. Und wenn es dann franzöische Krimis sein sollen, dann bin ich von Leo Malet und seinem "Privat-Flic" Nestor Burma immer sehr angetan.


    Aber natürlich werde ich mir jetzt in nächster Zeit mal wieder einen Maigret-Krimi vornehmen, denn mein letztes Zusammentreffen mit Maigret ist bestimmt schon rd. 20 Jahre her. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich habe ein Weilchen gebraucht, bis ich dahinter kam.
    Ich habe sie ab den späten Teenager-Jahren dutzendweise weggelesen, die Handlung aber einfach vergessen, kaum daß das Buch zugeklappt war.
    'Gefunkt' hat es erst in den letzten Jahren. Ich gebe zu, daß Jean Gabin daran nicht unschuldig ist.


    :grin


    Ich lese sie gemächlich, ich mag sie stilistisch, mir gefällt, daß sie so unaufdringlich sind. Ich habe nie zuvor nicht bemerkt, wie gut sie aufgebaut sind und wie die einzelnen Fäden zusammenstimmen. Dazu kommt, daß mich Simenons Fähigkeit, Menschen einzuschätzen, mehr und mehr beeindruckt. Er erweist sich als erstaunlich hellsichtig und modern. (Nicht postmodern ;-))


    Ich glaube aber, das Beste an den Romanen ist für mich, daß nicht geschwätzt wird. Das ist heutzutage, wo es auch in Romanen von allen Seiten nur noch schwallert, so wunderbar erholsam.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus