Sommerland - Michael Chabon (ab ca. 12 J.)

  • OT: Summerland 2002


    Seit dem Tod der Mutter lebt der elfjährige Ethan mit seinem Vater auf Clam Island, in einer Gegend, wo das Klima mild und Regen selten ist, nicht umsonst heißt sie ‚Summerlands’. Sommerlich geht es aber nicht gerade zu in Ethans Gemüt. Er trauert um seine Muter, sein Vater ist unentwegt mit seinen Erfindungen beschäftigt - er entwirft und baut kleine Zeppelins für den Privatgebrauch - , das ist aber nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist, daß sein Vater Baseball liebt und ihn dauernd zum Baseballspielen zwingt. Ethan verabscheut Baseball. Es ist das einzige Spiel der Welt, bei dem die Fehler der Spieler gezählt werden. Und Ethan macht immer Fehler. Schließlich ist er der schlechteste Baseballspieler der Welt!


    Daher ist Ethan mehr als verdutzt, als eines Tages ein Fremder auftauscht, der sich als Talentsucher für Baseballspieler vorstellt. Er behauptete, Ethan hätte exakt das Talent, das er sucht. Der Mann ist verrückt, denkt Ethan. Daß er behauptet, hundert Jahre alt zu sein und merkwürdige Andeutungen macht über das Sommerland, von Ereignissen aus der Baseballwelt von vorgestern gar nicht zu reden, paßt wohl dazu. Jennifer T., Ethans beste Freundin und Dauer-Retterin auf dem Baseballfeld, ist zwar neugieriger, aber sie hat einen äußerst problematischen Vater, der auch noch Alkoholiker ist, und ist daher mehr als beschäftigt.
    Doch dann erscheint Cutbelly, Werfuchs und Weltenbaum-Flitzer. Ihm gelingt es, den Kindern klarzumachen, daß sie gebraucht werden. Kojote, der Widersacher und ewige Böse, hat sich aufgemacht, die Welt zu vernichten. Sein Heer aus Riesen, Seeungeheuern und Dämonen steht bereit. Regnet es nicht bereits im Sommerland? Nur Ethan kann Kojote aufhalten.


    Gemeinsam mit Ethan und Jennifer taucht man ein in eine seltsame und in vielen Teilen originelle Fantasy-Welt. Nordische und indianische Mythologie sind geschickt vermischt mit Einsprengseln aus dem Keltischen und der noch jungen amerikanischen Folklore. Und mit Baseball. Denn auch auf den Welten auf den Blättern des Weltenbaums wird dieses Spiel gespielt. Selbst Kojote kann dieser letzten Herausforderung auf dem Feld nicht ausweichen.


    Die Geschichte ist gut erzählt, wenn sie auch beträchtliche Zeit braucht, um wirklich in Schwung zu kommen. Die unterschiedlichen Bewohner der ‚Anders’ - Welt sind farbig, vielfältig und nie platt nach dem Gut-Böse-Schema aufgebaut. Selbst Kojote ist eher Gauner und Stratege als blindwütiger Weltvernichter. Passend zur nordischen Mythologie heißt er auch ‚Änderer’.


    Es gibt wunderbare und wunderliche Einfälle - etwa eine Gestalt wie Spinnenrose oder eben die Werfüchse, oder ganz schauerliche Erscheinungen wie die Böse Betty, eine blutrünstige Schaggurt. Die Vorstellung vom Weltenbaum, seinem Aufbau mit den vier Ästen und seiner Bedeutung kann durchaus auch erwachsene Leserinnen und Leser fesseln. Streckenweise ist die Geschichte sehr grausam, die Vorstellung der flachen, ausgehöhlten Menschen oder des Hodag-Eis mit der alles zerstörenden Flüssigkeit sind unangenehm bildhaft. Natürlich kommt es am Ende zu einem genialen Baseball-Spiel, bei dem übrigens gewisse Assoziationen zu Flash Gordon und Football nicht ausblieben.


    Die Details sind mit viel Liebe ausgemalt, gleich, ob es um die Mini-Zeppelins von Ethans Vater geht oder seine Versuche, seinem Sohn die Mutter zu ersetzen, die im übrigen ebenso scheitern, wie Ethans Würfe auf dem Spielfeld. Vor allem aber ist alles gut verknüpft, es gibt zahllose Verbindungen und Verweise, die Bezüge sind immer schlüssig, die Welten stehen in Verbindung.


    Interessanterweise läßt sich das Buch durchaus auch als Parabel auf die problematische Beziehung zwischen Ethan und seinem Vater lesen, aufs Erwachsenwerden, auf die Schwierigkeiten zwischen Eltern und Kindern überhaupt. Es geht um die Frage von Ansprüchen, um Fremdbestimmung. Diese ziemlich verrückte und äußerst phantasievolle Geschichte ist keine beliebige Fantasy-Story, die in märchenhaften Gefilden und sehr fern von allem spielt.


    Dennoch fand ich das Buch sperrig. Echter Lesegenuß stellte sich nicht ein. Das liegt eben daran, daß dieser Roman in allererster Linie ein Roman über Baseball ist. Alles folgt den Regeln dieses Spiels. Der Text ist durchsetzt von Fachausdrücken. Das Buch ist entsprechend eingeteilt, von Erste Base bis Home.
    Die Geschichte entwickelt durchaus Spannung, es gibt viel Witziges, etwa, daß Cutbelly Ethan immer ‚Schweinchen’ nennt, weil dieser unbehaart ist. Die Eigennamen, die Namen der fremden Völkerschaften und ihre Eigenarten sind herrlich ausgedacht und gekonnt präsentiert. Baseball überragt aber alles andere.


    Es ist unbedingt ratsam, vor Beginn der Lektüre die Spielregeln und den Mannschaftsaufbau von Baseball zu studieren, die dankenswerterweise am Ende des Buchs abgedruckt sind. Mehrmaliges Lesen empfiehlt sich, dann wird nämlich auch einiges an der Geschichte klarer.


    Originelle Fantasy in Verbindung mit etwas, das man nur als Liebeslied an Baseball bezeichnen kann. Daß es von Herzen kommt, spürt man bei jeder Zeile, auch wenn einem die Pitcher und Basemen, Strikes und Sliders bald über den Kopf wachsen und man sich bis zum Ende darauf verlassen muß, daß der Autor die Innings mitzählt. Immerhin vermittelte er mir den Eindruck, daß er genau das getan hat.


    Mal etwas anderes.


    Übersetzt wurde das Buch von Reiner Pfleiderer.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Wirklich? Und das klappt?
    Eigentlich eine gute Idee, ich fand das Lesen aber nicht leicht.


    Allerdings lese ich gern und interessiere mich überhaupt nicht für Sport.
    :lache





    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus


  • Nicht immer, jedoch ist es in einer Bücherei ja nicht ganz so schlimm, wenn mal etwas empfohlen wird, bei dem man sich nicht ganz so sicher ist, ob es gefällt. Kostet ja nichts extra (außer die Kraft es nach Hause zu tragen :grin)


    Lieben Gruß


    Beatrice