Weit übers Meer - Dörthe Binkert

  • Dörthe Binkert: Weit übers Meer – Roman, München 2008, dtv Deutscher Taschenbuch-Verlag, ISBN 978-3-423-24693-4, 235 Seiten, Softcover, Format: 13,5 x 21 x 2,6 cm, EUR 14,90 (Deutschland), EUR 15,40 (Österreich), sFr 25,80 (Schweiz)


    „Frau überquert Ozean auf einem Dampfer – in einer Abendrobe ohne ein weiteres Kleid“ stand am 3. August 1904 in der New York Times. Diese Meldung, die damals um die Welt ging, ist der wahre Kern des vorliegenden Romans. Die rätselhafte Dame in Weiß wurde auf dem Ozeandampfer „Kroonland“ entdeckt, der von Antwerpen nach New York fuhr. Sie war ohne Papiere, ohne Geld und ohne Gepäck unterwegs, obwohl sie über ein regelmäßiges Einkommen verfügte. Wie und warum sie an Bord gegangen war, hat man nie erfahren. Diese 100 Jahre alte Pressemeldung faszinierte die Schriftstellerin Dörthe Binkert, und sie beschloss, der geheimnisvollen Reisenden eine Geschichte zu geben.


    Sonntag, 24. Juli 1904. Der Ozeandampfer „Kroonland“ hat soeben Dover passiert, nun geht es ohne weiteren Halt bis nach New York. Da verlangt eine junge, attraktive und vornehme Dame im sündteuren weißen Seiden-Abendkleid den Kapitän zu sprechen. Sie stellt sich als Valentina Meyer vor und gesteht dem verdutzten Kapitän, in Antwerpen als blinde Passagierin an Bord gegangen zu sein. Sie habe kein Gepäck und keinen Pfennig Geld dabei, sei aber von Haus aus vermögend und würde selbstverständlich im Nachhinein die Überfahrt bezahlen. Und sie gibt ihm ihre wertvollen Diamantohrringe als Pfand.


    Nicht ganz ohne Hintergedanken sichert ihr der Kapitän zu, die Angelegenheit diskret zu regeln und ihr für die Dauer der Überfahrt eine Erste-Klasse-Kabine zur Verfügung zu stellen. Da die Kleiderordnung an Bord es verbietet, sich tagsüber in Abendgarderobe zu zeigen, kann Valentina ihre Kabine nur am Abend verlassen.


    Diskretion hin, „Hausarrest“ her – die Nachricht von der schönen blinden Passagierin verbreitet sich wie ein Lauffeuer an Bord. Ist sie tatsächlich eine gesuchte Juwelendiebin, wie gemunkelt wird? Oder eine Kurtisane? Oder ist es doch eher so, wie das blutjunge Schiffszimmermädchen Lotte vermutet: dass die vornehme Dame von ihrem bisherigen Leben davongelaufen ist.


    Die Tatsache, dass hier jemand ganz spontan sein bisheriges Leben hinter sich gelassen hat, aus welchem Grund auch immer, bringt so manch einen der Passagiere ins Grübeln. Ist so ein deutlicher Schlussstrich, so skandalös er auch sein mag, nicht ein ehrlicher Befreiungsschlag, eine mutige Tat? Mutiger auf jeden Fall, als sich mit einer trost- und hoffnungslosen Situation zu arrangieren und still zu leiden, nur weil die Konvention es so fordert. Und: Hätte man selbst den Mut zu so einer radikalen Veränderung?


    Das Klima an Bord so eines Ozeandampfers begünstigt derlei Gedankengänge: „Hier aber, auf dem Ozean (...) herrschte bei aller Ordnung, die die Mannschaft aufrechterhielt, ein Ausnahmezustand, den niemand ausgerufen hatte und den doch jeder spürte. Als sei es den Menschen bewusst, das sie mit diesem Schiff untergehen könnten, sehnten sie sich mehr denn je nach dem Leben. Ihre Zweifel, Ängste und Sehnsüchte traten deutlicher hervor als an Land.“ (Seite 163)


    Und so hinterfragen die Menschen an Bord ihr bisheriges Leben, werden sich ihrer Wünsche, ihrer Unfreiheit und ihrer Sehnsüchte bewusst.


    Da ist Maria Vanstraaten, Mutter dreier Kinder, verheiratet mi8t einem lieblosen, grausamen Mann. Als sie über das Schicksal der blinden Passagierin nachdenkt, wird ihr auf einmal klar, wie unglücklich sie selbst ist. Valentina Meyer hat alle Bürden abgeworfen und ist frei. Sie kann sie selbst sein. Maria Vanstraaten wagt das nicht. Ihr ist bewusst, dass man die Freiheit teuer bezahlen muss, mit allem, was einem lieb und wert ist. In ihrem Fall wären es die Kinder. Und dieser Preis ist ihr zu hoch.


    Und Monsieur Vanstraaten? Ein desillusionierter, strenger, ja brutaler Mann, der früh seine eigenen Träume begraben musste und nun alle Wünsche und Pläne aus seinen Kindern herausprügelt, um sie nur ja zu pflichtbewussten, charakterstarken Menschen zu erziehen. Die schöne Valentina Meyer erinnert ihn für einen Augenblick an seine alten, längst verlorenen Träume von der Liebe: „Ein wehmütiger Moment. Aber damit muss man leben. Die Träume gehören heute der Technik, der Wissenschaft. Der Zukunft. Das menschliche Glück ist nur eine zufällige Erscheinung, eine Illusion, und das Streben danach ist nur eine Eingebung unserer Schwäche.“ (Seite 145)


    Da ist das belgische Fabrikanten-Ehepaar Borg, gefangen in einer lieb- und kinderlosen Ehe, einer Zweckgemeinschaft, die ihren Zweck nicht erfüllt hat und im Grunde auch längst keine Gemeinschaft mehr ist, sondern allenfalls ein schweigendes gemeinsames Bewohnen derselben Räumlichkeiten.


    Henriette Borg ist zutiefst beunruhigt über Frauen wie Valentina Meyer, „die aus der normalen Ordnung fallen“ und einfach tun, was sie wollen. Und ihrem Mann, Willem Borg, wird angesichts der attraktiven Valentina plötzlich bewusst, „dass ich nicht mehr wirklich lebe, vielleicht nie gelebt habe, dass ich mein Leben nur verwalte, bis es eines Tages zu Ende sein wird.“ (Seite 38)


    Wenn allein der Anblick der blinden Passagierin solche Gedanken und Gefühlsaufwallungen auslöst, wie ergeht es dann erst denen, die mit ihr persönlichen Kontakt haben?


    Da wäre ihr Kabinennachbar Henri Sauvignac, ein Bildhauer aus Antwerpen, der auf dem Weg zur Weltausstellung nach St. Louis ist, wo ein paar seiner Werke ausgestellt werden. Er vermisst seine Geliebte, die Kunststudentin Lisette, die ihn verlassen hat, nachdem er sich geweigert hatte, sie zu heiraten. An Bord beginnt er eine Affaire mit Billie Henderson, einer etwas naiven Verkäuferin aus Philadelphia, die mit einem weiteren Mitreisenden liiert ist, dem verheirateten Geschäftsmann William Brown.


    Henri Sauvignac hat das Leben immer genommen wie es kam und sich nie viele Gedanken über die Zukunft gemacht. In Valentinas Lebensgeschichte, die er so nach und nach von ihr erfährt, entdeckt er eine erschreckende Parallele zu seinem eigenen Leben. Und nun weiß er, was er zu tun hat ...


    Den bei weitem stärksten Einfluss hat Valentina Meyers Anwesenheit auf das Leben des amerikanischen Geologen Thomas Witherspoon und das seiner etwas altjüngferlichen Schwester Victoria, mit der er gemeinsam reist. Victoria hat nach dem Unfalltod ihrer Mutter ihren zehn Jahre jüngeren Bruder großgezogen und versucht seither, ihn vor allen Gefahren zu beschützen. Auch vor denen, die die Liebe und ein eigenständiges Leben mit sich bringen.


    Eines jedoch kann Victoria nicht verhindern: dass Thomas und Valentina sich auf den ersten Blick ineinander verlieben. Wären wir auf dem „Traumschiff“, kämen nun die Geigen das Happy End. Aber diese Geschichte hier ist ungleich näher am Leben. Valentina ist nicht frei, sie ist, wenn auch unglücklich, verheiratet. Thomas ist in gewisser Weise auch nicht frei. Er fühlt sich seiner Schwester verpflichtet, die ihm das Leben gerettet und seinetwegen auf eine eigene Familie verzichtet hat. Thomas ist zu ihrem Lebensinhalt geworden, und er wagt nicht, sie im Stich zu lassen. Jetzt hat er ein ernsthaftes Problem, denn in Valentina hat er die Frau gefunden, mit gegen alle Widerstände sein Leben verbringen will.


    Zwischen den Geschwistern Witherspoon kommt es erstmals in ihrem Leben zu einem heftigen Streit. Es fallen deutliche Worte – mit dramatischen Folgen.


    Wird es Valentina und Thomas gelingen, in den USA gemeinsam ein neues Leben anzufangen? Wird Victoria Witherspoon lernen, ihren Bruder loszulassen und ihr eigenes Leben zu führen? Welche Konsequenzen ziehen die Mitreisenden aus den Gedanken, die sie sich auf der Überfahrt über ihr eigenes Schicksal gemacht haben?


    Nicht zu vergessen: Was hat denn nun Valentina Meyer – oder richtig: Valentina Gruschkin – bei Nacht und Nebel veranlasst, im Abendkleid und ohne Geld als blinde Passagierin an Bord eines Überseedampfers zu schleichen? Doch diese tragische Geschichte soll sie Ihnen am besten selbst erzählen ... im Buch.


    Nein, eine Reise mit dem „Traumschiff“ ist WEIT ÜBERS MEER gewiss nicht. Im Hinblick auf die Beziehungen der Menschen untereinander ist es sogar ein regelrechtes Alptraumschiff. Und das Erschreckende daran: Diese Schicksale sind nicht gar nicht so untypisch für die damalige Zeit: Man heiratet irgend jemanden, der von Stand, Vermögen und Ansehen zu einem passt und lebt, wenn es dumm läuft, fortan sprachlos nebeneinander her. Von Liebe ist dabei keine Rede.


    Für die Männer mag das noch erträglich sein, wie man an den Geschichten im Buch sieht. Sie können sich das, was ihnen zu Hause fehlt, in aushäusigen Beziehungen suchen, doch die Frauen haben so gut wie keine Alternative. Passt es nicht mit der Partnerwahl, hat man quasi lebenslänglich. Wer noch andere Vorstellungen vom Leben hat, muss es machen wie Valentina: alles zurücklassen und außerhalb der guten Gesellschaft von vorne anfangen. Nur Außenseiterinnen gelingt es, ein eigenständiges Leben zu führen.


    Berchthild Klöppler, die Modeschöpferin, die auf der „Kroonland“ mit ihrer Kollektion von Reformkleidern nach New York unterwegs ist, bezahlt einen anderen Preis für ihr selbstbestimmtes Leben: dem Ruf der verschrobenen, politisch radikalen alten Jungfer. Heute würde man sie vermutlich „Emanze“ schimpfen.


    Vielleicht schafft es doch eine der Reisegefährtinnen Valentinas, ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten: Die intelligente 16-jährige Lily Mey aus Wien, die als interessierte Beobachterin meist etwas abseits des Geschehens in ihrem Rollstuhl sitzt und sich über Gott und die Welt Gedanken und Notizen macht. Sie möchte gerne Physik studieren und dann Schriftstellerin werden. Sie rechnet sich gute Chancen aus, denn, wie sie ganz unsentimental bemerkt: Als Frau mit einer körperlichen Behinderung ist sie auf dem Heiratsmarkt ohnehin nicht gefragt. Lily Mey hat den Preis für ein selbstbestimmtes Leben gewissermaßen schon im voraus bezahlt.


    Man kann das Buch als berührende Liebesgeschichte und als fesselndes Familiendrama lesen. Aber es ist mehr als das. Es ist ein Sittengemälde aus der Zeit vor 100 Jahren, lebendig, packend und oft auch erschreckend. Man kann als Leserin nicht umhin, im Geiste ein herzliches Dankeschön an all die VorkämpferInnen zu schicken, die es möglich gemacht haben, dass wir uns heute nicht mehr blind den Konventionen beugen müssen, sondern doch eine Wahl haben, wie wir unser Leben gestalten wollen. Vergelt’s Gott, Schwestern! Und wir bleiben am Ball!


    Die Autorin:
    Dörthe Binkert, geboren in Hagen/Westfalen, wuchs in Frankfurt am Main auf und studierte dort Germanistik, Kunstgeschichte und Politik. Nach ihrer Promotion hat sie dreißig Jahre lang für große deutsche Publikumsverlage gearbeitet. Seit 2007 ist sie freie Autorin und lebt heute in Zürich.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

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  • Nachtrag: Ich hab das Buch aufgrund einer organisatorischen Panne doppelt und würd's an eine interessierte Eule verschenken. Kann auch ein Eulerich sein.


    Wer es haben möchte, kontaktiert mich bitte via PM, und der erste, der sich meldet, kriegt's. Ich mach dann Meldung hier, wenn das Buch vergeben ist. Es ist keine Verpflichtung damit verbunden, auch was drüber zu schreiben.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

  • Was für ein schönes Buch! :-]


    Meine Rezension:


    "Weit übers Meer", nämlich von Antwerpen bis New York, reist der Leser mit der geheimnisvollen Dame in Weiß". Auf dieser mehrtägigen Reise lernt er nicht nur die mysteriöse Fremde, sondern auch einige der Passagiere kennen, die auf dem großen Ozeandampfer Kroonland über den Atlantik reisen. Die ungewöhnliche Erscheinung des wunderschönen blinden Passagiers zieht schon bald alle Blicke auf sich und durch sie oder mit ihr verändert sich das Leben einiger Menschen auf dieser Reise.
    Dörthe Binkert hat einen wundervollen Debütroman geschrieben, der den Leser in die Zeit der großen Ozeandampfer entführt, in der die Menschen felsenfest an den Fortschritt der Technik glaubten, als die Titanic noch nicht zu ihrer Jungfernfahrt aufgebrochen ist und sich Tausende Menschen jenseits des großen Meeres einen Neuanfang und ein besseres Leben erhofften. Die Hauptfiguren reisen zwar alle in der ersten Klasse, doch auch sie haben ihr persönliches Schicksal zu tragen und ahnen bei Antritt der Reise noch nicht, wie sehr sie die Erlebnisse in den nächsten Tagen verändern wird. Der Autorin gelingt es wunderbar und auf intensive, aber nicht aufdringliche Weise, die Emotionen ihrer Figuren und deren Entwicklung darzustellen, so dass man sie nicht nur zu kennen glaubt, sondern auch mit ihnen mitfühlt. Die Reise mit der Kroonland ist für sie - ob sie es wissen oder nicht - eine Reise nach dem Glück, ob sie es am Ende finden werden... bleibt herauszufinden.


    9 Punkte von mir!

  • Der sehr schönen Rezension von Vandam ist kaum noch etwas hinzuzufügen. Mir hat der Roman auch sehr gut gefallen. Die Reisenden werden auf der 9 tägigen Überfahrt schnell zu Vertrauten und ich habe mit fast allen mitgelitten, ob sich der große Traum von New York wohl erfüllen wird.


    Valentinas Lebensgschichte hat mich sehr berührt und mich lange auch nach dem Beenden des Buches beleitet.


    Die sehr verschiedenen Lebenssituationen der mitreisenden Frauen empfand ich als sehr empathisch beschrieben und mich hat die Frage beschäftigt, welche der Frauen wohl wirklich glücklich von Bord gehen wird und welche die Kraft und die Möglichkeit, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen.


    Mir hat das Buch sehr vergnügliche Lesestunden bereitet und ich vergebe 9 Punkte.

  • Kurzbeschreibung
    Antwerpen, am Abend des 23. Juli 1904. Eine Frau von nicht einmal dreißig Jahren geht - nur mit einem langen weißen Abendkleid und ein paar Diamant-Ohrringen bekleidet - an Bord eines Überseedampfers. Sie hat kein Gepäck, keinen Pass, kein Geld und keine Papiere. Am nächten Morgen meldet sie sich als Blinde Passagierin beim Kapitän. Wer ist diese Frau? Welches Geheimnis verbirgt sie?Neun Tage ist das Schiff unterwegs nach New York, und in dieser Zeit entfaltet sich unter den Passagieren der Ersten Klasse ein subtiles Drama, vom dem am Ende keiner ganz unberührt bleibt …





    Wirklich an mich ging nur das sehr melancholische Ende des Romans. Der Rest des Buches wirkte auf mich recht hölzern und wies mit der Holzhammer-Methode auf die Problematik des Buches hin.
    Das eigentliche Thema - die Unfreiheit des Individuums - ist mir zu sehr bewußt, um es in verschiedenen Varianten vorgeführt zu bekommen. Wobei selbst die Freiheit ihren Preis hat, wie am Beispiel einer Vertreterin / Schneiderin für korsettfreie Kleider dargestellt wird. Es ist kein historisches Buch, um ein historisches Buch sein zu wollen. Zumindest stellt der durchschnittliche historische Roman nicht solche existenziellen Fragen, sondern versteht sich in der Regel als leichter Unterhaltungsroman. Nur: Wir alle Leben in einem Netz von Abhängigkeiten und Verpflichtungen, denen wir uns nicht entziehen können. Tun wir es nicht, sondern entscheidet man sich fürs Single-Dasein, muß man einen anderen Preis zahlen. Das dies zur Jahrhundertwende viel stärker ausgeprägt gewesen sein mag, gerade für Frauen, mag sein. Insofern eignet sich diese Zeit natürlich hervorragend für die Darstellung dieser Problematik. Mein Problem dabei: Ich will es nach Möglichkeit gar nicht erst zur Kenntnis nehmen, Insofern hat das Buch mich schmerzhaft daran erinnert.


    Fazit:
    Ein historischer Roman, dem angenehm ohne jeden Schmalz daher kommt und zum Nachdenken anregt.


    # Broschiert: 340 Seiten
    # Verlag: Dtv (Oktober 2008)
    # Sprache: Deutsch
    # ISBN-10: 3423246936
    # ISBN-13: 978-3423246934
    # Größe und/oder Gewicht: 20,8 x 13,4 x 2,8 cm

  • Hi
    Ich bin ja jetzt echt am überlegen, ob das Buch was für mich ist. :gruebel
    Das Buch hat doch jetzt 340 Seiten, oder, denn überall steht was anderes??

    Versuche zu kriegen, was du liebst, sonst bist du gezwungen, das zu lieben, was du kriegst
    :lesend"Herren der Unterwelt;Schwarzer Kuss" Gena Showalter

  • Zum zweiten Mal bedanke ich mich heute bei dir beowulf :knuddel1
    Danke, jetzt weiß ich Bescheid. Ich werde das Buch mal anlesen und noch auf weitere Rezis warten.

    Versuche zu kriegen, was du liebst, sonst bist du gezwungen, das zu lieben, was du kriegst
    :lesend"Herren der Unterwelt;Schwarzer Kuss" Gena Showalter

  • Der Debütroman von Dörthe Binkert, den ich in den letzten zwei Tagen gelesen habe, schildert die Schiffsreise der Valentina Meyer, welche nur mit einem Abendkleid bekleidet, als blinde Passagierin auf einem Hochseedampfer von Antwerpen nach New York fährt.


    Erzählt werden die Verhältnisse der betuchteren Klasse, denn der Roman spielt in der Ersten Klasse und streift nur ab und zu das Zwischendeck, wo sich die Auswanderer drängeln.
    Nun ist das Leben trotzdem für viele der Mitreisenden hart und ungerecht und das wird uns sehr anschaulich dargebracht, genauso, wie der beginnende Wandel der Etiketten und Moralvorstellungen sowie auch die Abhängigkeit der Frau zu damaligen Zeit von ihrem Mann.


    Ein schönes Buch, welches ungewöhnlich beginnt, indem es ein und denselben Vorfall aus verschiedenen Sichten beschreibt und im Verlauf die Schicksale der einzelnen Personen geschickt miteinander verbindet.


    Dieses Buch hat meine Erwartungen erfüllt und ist durchaus empfehlenswert für ein Wochenende mit einem bisschen Geschichte über die Zeit vor den beiden großen Kriegen - also die Zeit unserer (Ur)großeltern. Und lässt uns doch mit einem Staunen zurück, wie kurz wir Frauen erst unsere Freiheiten und Rechte haben, wir das aber als ganz normal und gegeben empfinden und oft vergessen, dass dafür harte Kämpfe gefochten wurden.

  • Dieses Buch entführt den Leser in das Jahr 1904.


    Valentina Meyer betritt die Kroonsland, die von Antwerpen auf dem Weg nach New York ist. Sie hat nichts bei sich und trägt ein wunderschönes weißes Abendkleid.


    Nur aufgrund ihres Äußeren, Kleid und Diamantohrringe, ist sie als ein Mitglied der höher gestellten Kreise zu erkennen. Deshalb darf sie, obwohl blinde Passagierin, in der 1. Klasse reisen. Wobei allerdings der Kapitän noch weitere Hintergedanken hat.


    Auf dieser 9-tägigen Fahrt lernen wir eine Reihe von Menschen näher kennen. Und dabei zeigt sich deutlich, wie sehr die Gesellschaft damals in sehr strengen Konventionen gefangen war. Besonders für Frauen gab es kaum Wahlmöglichkeiten.


    Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen, leise, unaufgeregt.
    Die Personen werden sehr detailliert charakterisiert, man erfährt vieles, was sie denken, viel von ihren Hoffnung und Ängsten.


    Trotzdem hat das Buch etwas von einem Kammerspiel, in dem Fall eben das Leben auf dem Schiff.
    In der Mitte des Buches kam bei mir etwas Langeweile auf, es fehlte mir etwas "Biss".


    Aber insgesamt ein gelungener Debüt-Roman.

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Sigrid2110 ()

  • Ein Gesellschaftsroman aus dem Jahr 1904, die Passagiere der ersten Klasse werden aus ihrem Trott herausgerissen, als auf der Kroonstadt zur Transatlantikfahrt von Antwerpen nach New York eine geheimnissvolle Dame in einem weissen Ballkleid auftaucht. Der blinde Passagier wird zum Katalysator der verschütteten Wünsche, zum Spiegel der Überlegungen über Freiheit und Unterdrückung, zur Klärung der eigenen Rolle in der Gesellschaft. Nur einer findet die Kraft aus sich herauszuwachsen und sein Verhalten zu ändern, aber unverändert geht dennoch keiner der anderen Passagiere von Bord.

  • Zum Inhalt wurde ja bereits einiges gesagt.


    Mir hat das Buch sehr gut gefallen.
    Es macht nachdenklich, läßt eine besonderes Stimmung aufkommen. Eine positiv nachdenkliche Stimmung, man fühlt sich selbst wie auf dem Schiff als heimlicher Beobachter der verschiedenen Protagonisten.


    Die zwar alle verschieden sind, unterschiedliche Probleme haben aber viele haben eben doch gemeinsam, dass diese Reise für sie eine große Veränderung mit sich bringt. Und damit ist nicht nur die äußerliche Veränderung gemeint, dass es nach Übersee geht....


    Nicht nur der Wechsel von der alten in die Neue Welt, eher auch ein Wechsel des alten "Ichs" in ein neues.

  • Inhalt: siehe oben.


    Meine Meinung: ein schönes Buch (und ich meine nicht nur das Cover). Sicher hat es was von "Frauenbuch", geht es doch um Frauenschicksale zu Beginn des 20. Jahrhunderts und um die Fremdbestimmung der Frauen, ein Thema das Männer vielleicht nicht so direkt nachvollziehen können.


    Wir begleiten eine schöne geheimnisvolle Frau, einen älternden Künstler, eine junge traurige Frau und viele andere mehr, auf einer Reise, die sowohl innerlich wie auch real ist. Jeder trägt seine Geheimnisse und Verletzungen in sich verborgen und diese kommen durch die erzwungene Intimität eines Überseeschiffes langsam an die Oberfläche.


    Es ist ein Buch, das aus verschiedenen Erzählperspektiven, mit diversen Rückblenden, erzählt wird, die vor dem inneren Auge wie ein Film ablaufen.
    Es ist kein Buch mit viel Action, es geht eher um innere Entwicklungen als um äussere, man muss ihm Zeit lassen, so wie man auch guten Freunden mit ihren Geheimnissen und Verletzungen Zeit lässt. Wer sich aber darauf einlässt, wird mit einem prallen Panorama der damaligen Zeit belohnt, mit einer Geschichte, die einen dazu anhält, sich auch einmal mit der eigenen Entscheidungsfreiheit im Leben zu befassen, vor allem aber: einem Buch das sehr unterhaltsam ist und durch seine sehr glaubhaften Protagonisten besticht.


    Von mir gibt es 4,5 von 5 Punkten.

  • Aber die Dinge müssen nicht so bleiben, wie sie sind. (Seite 267)


    Besser läßt sich dieses Buch nicht in einem Satz zusammenfassen. Denn genau darum geht es; um Veränderung, um Entwicklung. Aber die Dinge (und meist auch Menschen) sind beharrlich. So braucht es bisweilen einen Anstoß, einen Katalysator. Hier tritt dieser in Form der „Dame im weißen Abendkleid“ auf. Sie reist nur mit einem Abendkleid, ohne Ticket, ohne männliche Begleitung, aus eigenem Willen; sie hat ihr ganzes bisheriges Leben hinter sich gelassen. Damit wird sie zum Stein des Anstoßes, ohne daß sie groß etwas tun oder sagen muß.


    Allein die bloße Existenz, ihre Anwesenheit genügt, und kaum einer kommt am Ziel der Reise (oder ist das Ziel eher ein Zwischenhalt auf der Reise des Lebens?) als der an, als der er (oder sie) das Schiff in Antwerpen bestiegen hat.


    In einer dem Handlungstempo angepaßten „Sprachtempo“ wird die Geschichte der neuntägigen Überfahrt erzählt. Immer mehr erfahren wir dabei über die Vorgeschichten, die Schicksale der einzelnen Protagonisten, die der „Zufall“ auf diesem Schiff zusammengeführt hat.


    Besonders erschreckend fand ich es, als ich die seinerzeitige vollständige Originalmeldung der New York Times vom 3. August 1904 gelesen hatte. Was für ein Schicksal verbirgt sich hinter so ein paar trockenen Zeilen? Wo kam die Frau her? Was wurde aus ihr, nachdem sie das Schiff vermutlich in Antwerpen wieder verlassen hatte? Längt ruht die „Dame in Weiß“ (sowie die übrigen Beteiligten) mehr oder weniger friedlich in ihrem Grab. Doch welche Schicksale hatten sie vorher zu erfüllen? Schmerz, Leid, doch vielleicht auch Freude? Dörthe Binkert hat aus den paar Worten, die überliefert sind, eine Geschichte geschaffen, wie es gewesen sein könnte. Hat der Frau hinter der Zeitungsmeldung und dem Eintrag auf Ellis Island ("abgelehnt") ein Gesicht gegeben, Leben eingehaucht.


    Als ich das Buch durch hatte, war ich so, hm, bewegt, daß ich nicht gleich hier etwas schreiben konnte. Jetzt, ein paar Tage später, fällt es mir noch genauso schwer. Jenseits der zeittypischen Elemente bietet das Buch m. E. genug Denkanstöße, um als Stolperstein, als Katalysator für das eigene Leben zu wirken. Wie ein Spiegel, der einem plötzlich und ohne Vorwarnung vorgehalten wird. Im Leitspruch des Buches heißt es: Die Freiheit des Menschen ist sein Mut. Man muß manchmal wieder daran erinnert werden.


    „Weit übers Meer“ zählt zu meinen Top-Five Büchern dieses Jahr.


    Sie ist der blinde Passagier, den es in jedem Leben gibt.
    Das, was mein Leben begleitet und lenkt, ohne dass ich es verstehe, je verstehen könnte.


    Vielleicht sollte man das Buch zum Anlaß nehmen, einmal darüber nachzudenken, wer im eigenen Leben der „blinde Passagier“ ist und zum Katalysator für Veränderungen oder Entwicklungen werden könnte. Und sich dann auf die Reise begeben. Weit übers Meer.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")