Die Hyperion-Gesänge [Hyperion/The Fall of Hyperion] - Dan Simmons

  • Ich fasse in diesem Ordner die Besprechungen der beiden ersten Teile des Hyperion-Zyklus zusammen, die in Deutschland auch als Sammelband unter dem Titel "Die Hyperion-Gesänge" erscheinen.


    Hyperion


    Es gibt Bücher, denen merkt man ihr Entstehungsdatum an. Dan Simmons' "Hyperion" gehört zweifelsfrei dazu. Es wurde 1989 in der Hochzeit der cultural studies publiziert und beinhaltet eine brillant eingefädelte Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus.


    Inhalt des Buches ist - grob gesprochen - eine Pilgerreise zu einem geheimnisvollen Ort, den "Time Tombs", die sich außerhalb des Zugriffs der "Hegemony of Man" auf dem abgelegenen Planeten "Hyperion" befinden. Sie sind kultischer Ort der undurchsichtigen "Church of the Final Atonement" und werden von einem Wesen namens "Shrike" bewacht. Der Planet und, so wird schnell klar, vor allem dieser Ort spielen eine ganz entscheidende Rolle für den Fortbestand der Menschheit.


    Die von der "Church of the Final Atonement" ausgewählten Pilger könnten auf den ersten Blick seltsamer und unterschiedlicher nicht sein. Einzige Gemeinsamkeit ist, dass keiner von ihnen Mitglied dieser Kirche ist; alle haben hingegen vollkommen disparate Hintergründe: ein Priester, ein Soldat, ein Schriftsteller, ein Wissenschaftler, ein Raumschiffkapitän, eine Detektivin und ein Diplomat.
    Nacheinander erzählen sich diese Menschen (mit einer Ausnahme) nun ihre persönlichen Geschichten, bisweilen auch die Geschichten anderer Menschen, die mit ihrem eigenen Leben schicksalhaft verwoben sind. Es wird schnell deutlich, dass die Lebenswege der Protagonisten alle zum selben Ziel führen, um dort ihre Auflösung zu erwarten: nach Hyperion.


    Was Simmons entwirft, ist also eine Art "Hexameron". Die Rahmenhandlung ist ziemlich zurückgenommen und eher unspektakulär, im Zentrum stehen die Erzählungen der Pilger, die sich, indem sie sich gegenseitig ihre Geheimnisse anvertrauen, auf den großen Showdown vorzubereiten hoffen. Das anfängliche Misstrauen weicht nach und nach der Einsicht, dass sie alle nicht zufällig zu diesem Zeitpunkt an genau diesen Ort gerufen werden. Auch kommt die Hälfte der Pilger, so wird im Laufe der einzelnen Geschichten klar, nicht allein...


    Ich war von Simmons' Zukunftsentwurf schlichtweg begeistert, wenn ich auch sagen muss, dass er an manchen Stellen den Fallen des Genres nicht ganz entgeht. Es hätten nach meinem Geschmack ruhig die ein oder andere Kampf- oder Liebesszene weniger bzw. die vorhandenen hätten ein wenig gestrafft sein dürfen. Das ändert aber nichts an der bestechenden Gesamtkomposition des Textes.


    Wer übrigens, wie ich, glaubt, es könne nicht schaden, vor Simmons Hölderlin zu lesen (den ich allerdings recht schnell wieder abgebrochen habe, das war einfach gerade nichts für mich), dem sei gesagt: der Referenzpunkt ist ohnehin ein anderer, nämlich John Keats. Die Anspielungen auf dessen Leben und Werk sind unaufdringlich, doch überdeutlich. Und auch von ihm existiert ein Fragment gebliebener Text mit dem Titel "Hyperion", ein Sagenstoff, der sich mit der Ablösung der Titanen durch die Götter beschäftigt.


    Ganz abwegig ist die Idee mit Hölderlin allerdings nicht gewesen, denn Simmons scheint nicht nur sehr belesen, sondern auch nicht ganz unbeleckt von deutscher Geographie zu sein. Wie sonst ist der denkwürdige Satz zu erklären: "Kastrop-Rauxel has no datasphere or sats of any kind." Wobei, war es nicht Bielefeld, das nicht existiert?...


    The Fall of Hyperion


    In "The Fall of Hyperion", der Fortsetzung des "Hugo"-prämierten "Hyperion", folgen die Leser unterschiedlichen Handlungssträngen. Zum einen steht das Geschehen in der durch eine Invasion bedrohten "Hegemony of Man" im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Leser begleitet die Präsidentin dieses Imperiums, Meina Gladstone, bei ihren Entscheidungen rund um den drohenden Krieg mit der Invasionsmacht. Zum anderen wird das weitere Schicksal der Pilger im Tal der "Time Tombs" geschildert. Wie nicht anders zu erwarten, werden die Pilger recht bald voneinander getrennt und müssen einzeln ihre Proben bestehen, in die nicht selten der Shrike eingebunden ist, ein grausames, maschinelles Monster unklarer Funktion.
    Verbunden werden diese Stränge durch eine neu eingeführte Person, einen zweiten "cybrid", dessen Geist von den künstlichen Intelligenzen des TechnoCore nach dem Vorbild des englischen Poeten John Keats geformt worden ist. Dieser "cybrid" (genetisch der Mensch Keats, der durch seinen Geist Zugang zur Welt der künstlichen Intelligenzen des TechnoCore hat) träumt von den Pilgern und kann durch diese Träume der Präsidentin Gladstone von den Vorgängen an den Time Tombs berichten.


    "The Fall of Hyperion" gibt tatsächlich einige Antworten; und ich muss sagen, ich bin nicht sicher, was ich von diesen Antworten halten soll. Sicher ist: Was Simmons hier anbietet, ist zum großen Teil so trickreich komponiert, dass er mir selbst bisweilen den Überblick zu verlieren scheint.


    Zentral für das Verständnis des Textes ist die mehrfach geäußerte Sentenz: "The best lack all conviction while the worst are full of passionate intensity". Man könnte sie als Absage an das lesen, was aber dennoch das Buch durchzieht und nicht konsequent verneint wird: einen messianischen Gedanken. "The Fall of Hyperion" ist voller Voraussagen, Prophezeiungen, "Erwählter" und nicht zuletzt Märtyrer - ganz sicher wird dieses Denken aber von Simmons nicht propagiert. Das Buch ist allerdings über weite Strecken mehr theologisch als philosophisch, mehr damit beschäftigt, den Willen einer unsichtbaren Macht zu ergründen; damit, den Platz zu finden, an dem man ihr Instrument sein soll; und weniger mit den Möglichkeiten, die der Einzelne zum Handeln hat, ohne gleich Held, Märtyrer oder sonstwas zu sein. Die Absage an den Messianismus ist nicht absolut, sondern hält sich an die zitierte Sentenz: Der beste Messias ist ein zweifelnder Messias.


    Diese These, die ich für die wichtigste des Textes halte, wird aber eben ein bisschen von dem theologischen Ballast erstickt, der eigentlich bis zum Schluss in Kraft bleibt. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich finde, dass Simmons hier die Synthese aus sehr Konträrem gelungen ist, die er offenbar angestrebt hat: Zweifel und Messianismus.


    Während ich darüber noch nachdenke, möchte ich aber niemanden vor diesem kurzweiligen zweiten Teil warnen, wenn ich mir vielleicht auch gleichzeitig wünsche, Simmons hätte es bei dem ersten Teil belassen. Ich bin mir nicht sicher. Aber wir wissen ja: The best lack all conviction.


    *

  • Ich hab jetzt erst den ersten Teil gelesen, aber was für ein tolles Buch. :wow Die einzelnen Geschichten der Pilger haben mich total gefesselt (bloß der Dichter hat mich genervt) und waren zum Teil ziemlich traurig, so dass ich mitgelitten habe ohne Ende. :cry

  • Ja, die einzelnen Geschichten stehen eigentlich schon für sich. Am besten haben mir die Erzählungen vom Priester, vom Soldaten und vom Gelehrten gefallen.


    Ansonsten hat Simmons hier zwei sehr ideenreiche Bücher geschrieben. Ich muss zugeben, dass manche Dinge, wie etwa Baumschiffe, schon beinahe meine Vorstellungskraft gesprengt haben.

  • ich stimme bartlebooth völlig zu. der erste teil ist top, man sollte es am besten bei ihm belassen. der roman ist faszinierend, weil er viele interessante fragen stellt.


    die antworten, die man dann in teil 2 serviert bekommt, wirkten auf mich zum großteil eher merkwürdig und chaotisch;
    und diese ganze theologisch-philosophische sache, die zwar in "Hyperion" auch schon latent vertreten war, aber nicht derart ausgeprägt, mutet mir persönlich auch eher seltsam an.


    irgendwas stört mich an dem versuch, einen messias darzustellen.

    To me the most important thing is the sense of going on. You know how beautiful things are when you’re traveling.
    - Edward Hopper

  • Ich fand es von vorne bis hinten gelungen. Ich hätte nie gedacht, dass mich Lebensgeschichten von irgendwelchen Pilgern begeistern würden, aber sie haben es. Wie angetan ich war und noch bin.


    Gegen Ende gab es Action, am Anfang eine tolle Geschichte mit viel Fantasie, mehr wollte ich nicht. Abwechslung, Ideenreichtum, nie Langeweilie. Allein Ummon gefiel so gut, schade, dass er nurn kleinen Auftritt hatte.Ich freue mich schon auf die Fortsetzung, die ich bald anfangen werde. Für mich waren es zwar ein paar zuviele Gedichte, aber lesen muss man diese ja nicht.


    Jedenfalls ist das Buch sehr empfehlenswert!

    Aktuell: Terror - Dan Simmons


    Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.

  • Ich empfand den zweiten Teil allgemein, obwohl er, wie schon der erste Teil, sehr lesenswert war, ein wenig zu lang gezogen.


    Trotzdem hat Dan Simmons die Handlungsfäden am Ende sehr gut zusammengeführt und einen tollen Schluss geschrieben, obwohl nicht alle Fragen beantwortet wurden. Aber schließlich gibt es noch zwei Nachfolgebücher.

  • Zitat

    Original von Shadar
    Ich fand es von vorne bis hinten gelungen. Ich hätte nie gedacht, dass mich Lebensgeschichten von irgendwelchen Pilgern begeistern würden, aber sie haben es. Wie angetan ich war und noch bin.


    Gegen Ende gab es Action, am Anfang eine tolle Geschichte mit viel Fantasie, mehr wollte ich nicht. Abwechslung, Ideenreichtum, nie Langeweilie. Allein Ummon gefiel so gut, schade, dass er nurn kleinen Auftritt hatte.Ich freue mich schon auf die Fortsetzung, die ich bald anfangen werde. Für mich waren es zwar ein paar zuviele Gedichte, aber lesen muss man diese ja nicht.


    Jedenfalls ist das Buch sehr empfehlenswert!


    :write
    Dem stimme ich zu. Allerdings habe ich die Gedichte sehr gerne gelesen. :-)
    "Die Hyperion-Gesänge" ist eines meiner absolut liebsten Science-Fiction-Bücher.

  • Habe jetzt mit dem dritten Anlauf den ersten Teil zu Ende gebracht, und kann garnicht verstehen, warum ich überhaupt drei Anläufe benötigte.
    Wahrscheinlich, weil ich jedesmal nach ca. 80 Seiten bereits das Buch wieder weg gelegt hatte.
    Nachdem ich die erste Pilgergeschichte (die mich am Anfang langweilte!) durch hatte, konnte ich das Buch nicht mehr beiseite legen. Faszinierend, spannend, mitreissend...was soll ich weiter sagen - einfach nur toll.
    Genialer Spreibstil, und diese Formulierungen...Hammer - bin immer noch ganz weg...!
    Also, jetzt eine klare Empfehlung von mir: 9 von 10 Punkten.

    :lesend"Labyrinth - Elixier des Todes: Agent Pendergast 14" von Douglas Preston & Lincoln Child


    "Wenn man liebt, sind Pockennarben so hübsch wie Grübchen."

  • Lese das Buch grad :lesend und bin so gut wie mit dem ersten Teil durch. Also mit "Hyperion"


    Bisher finde ich es sehr gut. Hoffe das bleibt bis zum Ende so.


    Die Geschichten der Pilger sind klasse, besonders die des Predigers hat es mir angetan.

  • Zitat

    Original von Lomopolar
    Lese das Buch grad :lesend und bin so gut wie mit dem ersten Teil durch. Also mit "Hyperion"


    Bisher finde ich es sehr gut. Hoffe das bleibt bis zum Ende so.


    Die Geschichten der Pilger sind klasse, besonders die des Predigers hat es mir angetan.


    Dann solltest du nach diesen Büchern unbedingt mit den beiden Endymion-Büchern fortfahren.


    Diese bauen nämlich auf zentralen Elementen der Priestergeschichte auf.

  • Zitat

    Original von Moloko


    Dann solltest du nach diesen Büchern unbedingt mit den beiden Endymion-Büchern fortfahren.


    Diese bauen nämlich auf zentralen Elementen der Priestergeschichte auf.


    Vielleicht werde ich da irgendwann mal drauf zurückkommen.
    Allerdings habe ich mir durch die letzten Seiten des Buches sehr gequält. Band 1 war wirklich großartig und Band 2 fing noch gut an, wurde dann aber sehr anstrengend. Gegen Ende wieder besser, aber erstmal muss ich ein paar andere Bücher lesen :grin :grin

  • Ein grandioses Buch! Mehr gibt es dazu eigentlich auch nicht zu sagen, denn ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Bei der fantasievollen und doch so gut vorstellbaren Zukunftshandlung? Bei den unzähligen Anspielungen und Verbindungen zu Geschichte, Religion, Philosophie, Kunst, Kultur, Politik? Beim tollen Schreibstil, der durch die mehr als 1400 Seiten richtiggehend „fließen“ lässt? Oder beim raffinierten Buchaufbau, der sich von den Einzelschicksalen der sieben „Pilger“ hin zu einer universalen Geschichte über Raum und Zeit weitet?


    Wahrscheinlich ist es die Gesamtkomposition des Buches, die mich so sehr begeistert. Ich nehme dabei die beiden Bände „Hyperion“ und Der Sturz von Hyperion“ zusammen, da sie für mich nur als Einheit Sinn ergeben und in diesem Sammelband auch gemeinsam abgedruckt sind. Lange Zeit habe ich mich gefragt, ob Simmons es schaffen wird, die ganzen Einzelstränge und -schicksale zu einem großen Ganzen zusammenzuführen. Jetzt kann ich aus vollster Überzeugung sagen: ja – er hat diese Mamutaufgabe mit Bravour gemeistert. :anbet Selbst kleine, nebenbei erwähnte Details fügen sich in dieses stimmige Gesamtkunstwerk perfekt ein. Über so viele Seiten, Planeten und Schicksale hinweg ist dies eine bewundernswerte Meisterleistung. :anbet


    Daneben hat er es auch geschafft, sehr viele unterschiedliche Charaktere in seinem Buch nicht nur unterzubringen, sondern auch glaubhaft und vor allem als einzigartige Individuen zu schildern. Selbst Nebenfiguren haben ihre ganze eigene Geschichte, ihr Erleben, ihre Persönlichkeit. Über diese Personen transportiert Simmons ganz unterschiedliche Erfahrungen und Geschichten, was selbst bei Themen, die mich an sich wenig interessieren, trotzdem wunderbar funktioniert.


    In dem Buch steckt so extrem viel drin, dass jede Leserin/jeder Leser persönliche Schwerpunkte entdecken und erlesen kann. Das habe ich vor allem in der tollen Leserunde gemerkt, aber auch an den Beiträgen meiner VorschreiberInnen. Den von Bartlebooth in seiner sehr schönen und ausführlichen Erstrezi angesprochenen Messiasgedanken konnte ich z. B. so nicht herauslesen. Die Geschichte lässt mehr als genügend Raum für eigene Gedanken und eigen Interpretationen.


    Fazit: Wie bereits gesagt – einfach grandios. Unbedingt lesen! Deshalb gibt es auch die sehr seltenen zehn Höchsteulenpunkte von mir.


    ASIN/ISBN: B00B6PG9L2

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021