Titel der britischen Originalausgabe: „The Ancestor's Tale: A Pilgrimage to the Dawn of Life“ (2004)
Titel der amerikanischen Ausgabe: “The Ancestor's Tale: A Pilgrimage to the Dawn of Evolution”
Meine Rezension bezieht sich auf die UK-Ausbabe. Die deutsche Übersetzung erscheint im Oktober 2008.
Zum Buch (Kurzbeschreibung)
Geschichten vom Ursprung des Lebens ist eine erzählte Reise durch vier Milliarden Jahre Evolution: vom Homo sapiens bis zum geheimnisvollen Beginn des Lebens. Anhand des erlebten Schicksals vieler Arten entfaltet sich das gesamte Wunder der Entstehung unserer Welt.
Über den Autor
Richard Dawkins, 1941 in Nairobi geboren, ist Evolutionsbiologe. Seit 1995 hat er den eigens für ihn eingerichteten Lehrstuhl für Public Understanding of Science an der Universität Oxford inne. Sein erstes Buch, Das egoistische Gen (1978 auf Deutsch erschienen), gilt als Standardwerk der Evolutionsbiologie.
Meine Meinung
Der deutsche Titel wird dem Buch meiner Meinung nach nicht gerecht. Der Originaltitel lautet: „The Ancestor's Tale: A Pilgrimage to the Dawn of Life”. Dawkins erzählt die Geschichte wie eine Pilgerreise und spielt dabei immer wieder auf Chaucers „Canterbury Tales“ an, die von einer Pilgergruppe auf ihrem Weg von Southwark nach Canterbury handelt. Geschichten der einzelnen Pilger sind in eine Rahmenhandlung eingebettet. Ähnlich wird „The ancestor“s tale“ erzählt. Die Reise beginnt beim heutigen Menschen und gleichzeitig pilgern auch die anderen heute überlebenden Arten jeweils von heute los. Die einzelnen Stationen markieren jeweils das Treffen dem frühesten gemeinsamen Vorfahren („most recent common ancestor“) mit einer oder mehrerer dieser Arten. Erstaunlicherweise braucht man grad mal ca. 39 solcher „Rendevous-Punkte“ um bei den Eubakterien angekommen zu sein.
In Rendevous (Kapitel) 0 treffen wir auf den frühesten gemeinsamen Vorfahren aller heute lebender Menschen.
In Rendevous (Kapitel) 1 treffen wir auf den frühesten gemeinsamen Vorfahren aller heute lebenden (Schimpansen und Bonobos) und Menschen.
In Rendevous (Kapitel) 2 treffen wir auf den frühesten gemeinsamen Vorfahren aller heute lebenden Gorillas und [(Schimpansen und Bonobos) und Menschen].
So geht es weiter, bis dann in Kapitel 39 alle Pilger auf den gemeinsamen Vorfahren aller heute überlebenden Lebensformen treffen. Im letzten Kapitel „Canterbury“ kommen alle Pilger nach vier Milliarden Jahren dann im metaphorischen Canterbury an, d.h. das Kapitel beschäftigt sich mit der Entstehung des Lebens (bzw. der Entstehung der Vererbung).
Die Geschichte wird also rückwärts erzählt, heute beginnend bis zum Ursprung des Lebens. Dawkins möchte auf diese Weise den Eindruck verhindern, die Evolution würde zielgerichtet auf den Menschen zusteuern und dort enden. Man es sich so vorstellen, wie einen Stammbaum, und man fängt an, an einer Zweigspitze und geht zurück zum Stamm. Man könnte bei jedem beliebigen Zweig anfangen und rückwärts gehen und würde natürlich zum gleichen Ursprung gelangen. Dawkins präsentiert in jedem Kapitel unterschiedliche Theorien und Hypothesen und gibt an, aus welchen Gründen er welche Theorie momentan favorisiert, welche Kontroversen es gibt, wo größte Einigkeit herrscht, aber auch wo größte Unsicherheit besteht. Er behauptet nicht, die eine richtige Antwort zu geben. Im Gegenteil, man trifft eher häufiger auf Formulierungen wie: „Diese Theorie ist aus den und den Gründen die beste, um die vorhanden Daten zu erklären, aber nicht die einzige, die möglich ist.“ Oder: „Ich weiß es auch nicht, aber meine Idee ist die und die, und ich bin darauf gekommen, weil… und es wäre schön, wenn jemand in diese Richtung forschen könnte.“ Vor allem betont er, dass er den Stand der Wissenschaft von 2004 darstellt mit den Zweifeln die bestehen und es durchaus möglich ist, dass neue Daten zeigen, dass er in einigen Punkten falsch liegt und sein Buch in einigen Kapiteln umschreiben oder die Reihenfolge der Rendezvous ändern muss.
Die Geschichten der einzelnen „Pilger“ werden immer wieder zum Anlass genommen, Theorien zu erklären, die man dort gar nicht erwartet, die aber im Nachhinein nahe liegend sind. Ist die Geschichte des Biebers eine Einführung in die Theorie des erweiterten Phänotyps (extended phenotype), weil die Seen, die dadurch entstehen, dass Biber Dämme bauen ein gutes Beispiel für einen erweiterten Phänotyp sind. Oder im Kapitel über See-Elefanten wird die Frage angesprochen, ob wir Menschen von Natur aus eher polygam oder monogam sind (die Antwort verrate ich jetzt aber nicht :grin). In den Geschichten erfährt man immer etwas über das entsprechende heute noch lebende Lebewesen, aber sie dienen zusätzlich auch dazu, dass wir besser verstehen, warum wir so sind, wie wir sind. Zum Beispiel wird in der Geschichte des Pfaus eine Theorie vorgestellt, warum sich unser Gehirn relativ schnell so stark vergrößern konnte.
Ich fand das Buch nicht immer einfach zu lesen, denn es ist ein dicker Klotz dichtgepackter Information, aber es richtet sich schon an interessierte Laien. Allerdings sollte man schon eine gute Portion an naturwissenschaftlichem Interesse mitbringen. Zur Auflockerung streut Richard Dawkins immer wieder humorvoller Bemerkungen ein, gern auch in bissigen Nebensätzen versteckt, Zitate aus der Literatur und sogar aus der Bibel (er liebt die Bibel als ein Stück Weltliteratur) und hier und da auch eine kleine Anekdote oder ein persönliches Anliegen, das allerdings eher zurückhaltend.
Das Buch sollte auch für gläubige Menschen, zumindest für alle die in Betracht ziehen können, dass die Evolution stattgefunden und die Erde älter als sechstausend Jahre ist, ohne Probleme oder den Wunsch, das Buch an die nächste Wand zu pfeffern, lesbar sein. Am Ende des Buches wird vielleicht deutlich, was Richard Dawkins eigentlich antreibt. Ich glaube, er hat so eine tiefes Gefühl von Ehrfurcht vor dem, was er in der Welt findet, dass er einfach nicht nachvollziehen kann, wie Menschen sich mit schlichteren Erklärungen zufrieden geben können.
Ich fand das Buch sehr inspirierend fand und ich bin aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen. Es hat meine Vorstellungskraft angeregt, was alles möglich ist und mein kritisches Denken, nicht gleich die erstbeste Erklärung anzunehmen. Durch die gemeinsame Reise zurück in der Zeit fühle ich mich anderen Arten näher verbunden und es hat auch meinen Blickwinkel auf andere Lebewesen verändert.
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