"Der Weg nach Surabaya" versammelt Reportagen, Dankesreden und andere kleine Prosa, die Christoph Ransmayr zu verschiedenen Gelegenheiten über 25 Jahre hinweg veröffentlicht hat. Die Reportagen erschienen in Zeitschriften wie Geo, Merian oder TransAtlantik und sind daher vor allem Reiseberichte. Die Dankesreden zu einigen seiner Prämierungen umfassen unter anderem den kleinen titelgebenden Text, der von einer Lastwagenfahrt in Indonesien erzählt, auf der Christoph Ransmayr den Reisenden in einer Sprache vorliest, die sie im Gegensatz zu ihm verstehen. Ein skurriles fait divers mit genügend Platz für Gedanken zur Kommunikation.
Besonders haben mir die Reportagen gefallen. Den Einstieg macht ein Bericht über Hooge, die kleinste der Halligen, und ihre Geschichte. Ransmayr befragt einfache Leute ebenso wie die örtlichen Würdenträger, und es gelingt ihm, aus seinen Beobachtungen immer nachdenklich stimmende Pointen herauszuarbeiten. So ist der Bericht über Hooge unter anderem eine Reflexion auf die Unumkehrbarkeit der Zeit. Ähnliches gilt für den Bericht über die Kontruktion der Talsperren im österreichischen Kaprun, mit deren Ingenieur Ernst Rotter sich Ransmayr lange unterhalten hat. Jener äußert dabei den denkwürdigen Satz: "Seltsam, in der Mitte des Lebens zu stehen und dabei zu wissen, dass alles, was noch kommt, nur das Kleinere und Unbedeutendere sein kann." Was Ransmayr über diese Portraits gelingt, ist nicht zuletzt, eine Weisheit des Volkes zu übermitteln, die nicht immer und nicht überall, manchmal aber eben doch in ganz erstaunlichem Maße vorhanden ist. Er idealisiert dabei nicht das einfache Dorfleben - weit davon entfernt und ganz im Gegenteil. So ist zum Beispiel sein Portrait von "Habach. Ein Andachtsbild aus Oberbayern" alles andere als schmeichelhaft. Aber einfache Vorurteile werden auch hier nicht bedient, vor allem wenn Einsiedler wie Josef Werwein aus Habach in einer späteren Reportage über die Rolle des Fernsehens an den verschiedensten Orten Europas wieder vor- und zu Wort kommen und dabei ganz anders wirken...
Ransmayr ist befasst mit den Rändern, aber manchmal eben auch mit dem Typischen, das irgendwie randständig und exzentrisch wirkt. Sicherlich kann man nicht sagen, dass alle Texte gleich stark oder gleich pointiert sind, das ist in einem solchen Sammelband, dessen Texte außerdem zu sehr verschiedenen historischen Momenten (1979-1996) entstanden sind, auch kaum zu erwarten. Ransmayrs Prosa besticht aber auch in diesen Miniaturen mit derselben Überlegtheit und Sachlichkeit, die ich aus seinen Romanen kenne und über alles liebe.
Mein Lieblingsstück ist das einer Busreise zur exilierten Habsburger Kaiserin Zita anlässlich ihres 90. Geburtstags, in dem er mit einer unglaublichen Subtilität und ohne Häme die österreichische Obsession mit der untergegangenen Donaumonarchie greifbar werden lässt. Ransmayr verwebt hier überaus geschickt die Selbstbeobachtung mit der Beobachtung der wallfahrenden Monarchisten und garniert das ganze noch mit einer Zusammenfassung der Geschichte des Hauses Habsburg, der Geschehnisse um das österreichische Habsburgergesetz und mit einer Unterhaltung mit dem Historiker Friedrich Heer, der seine persönliche Analyse dieses ganzen kulturell so eminent wichtigen Komplexes vorträgt. Ransmayr ist ein spür- und sichtbarer, dabei aber immer erstaunlich unparteiischer Chronist, eine Leistung, die ich gar nicht genug würdigen kann.
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