Das Vogelmädchen und der Mann, der der Sonne folgte - Velma Wallis

  • Sie war vor ihrer eigenen Sippe davongelaufen, um einer Heirat zu entgehen, und nun war sie in die Hände des Feindes gefallen und mußte ein weitaus schlimmeres Schicksal erleiden.


    221 Seiten, etliche Zeichnungen von Jim Grant, gebunden mit Schutzumschlag
    Originaltitel: Bird Girl and the Man who Followed the Sun. An Athabaskan Indian legend from Alaska
    Aus dem Amerikanischen von Angelika Naujokat
    Verlag: Diana Verlag, München/Zürich; 1997
    ISBN-10: 3-8284-0004-3
    ISBN-13: 978-3-8284-0004-7


    Zu dem Buch gab es eine Leserunde.



    Kurzinhalt / Klappentext


    Jutthunvaa' und Daagoo wollen sich nicht in die Rollen fügen, die der Überlebenskampf ihrer Sippen in der unwirtlichen Eiskälte Alaskas ihnen aufzwingt: Ehefrau und Jäger. Sie träumen von einem Leben ohne die Zwänge der Gemeinschaft. Aber das Leben hat anderes mit ihnen vor.


    Jutthunvaa', die „Vogelmädchen“ genannt wird, fällt in die Hände ihrer Feinde, und muß über Jahre hindurch schlimmes Leid und Erniedrigung erdulden.


    Daagoo überlebt als einziger Jäger seiner Sippe einen Angriff der feindlichen Ch'eekwaii und muß die Verantwortung für das Überleben der gesamten Sippe übernehmen. Es wird Jahre dauern, bevor er auf die Reise ins Land der Sonne gehen kann, von der er sein ganzes Leben geträumt hat. Nachdem er glückliche Jahre dort verbracht hat, ereilt ihn das Unglück um so schlimmer. Nichts kann ihn mehr in der Ferne halten. Am Ende seiner Reise, wieder zuhause, hört er von einer „verrückten Frau“, die sich mit einer schrecklichen Tat aus ihrer Gefangenschaft befreite. Daagoo ahnt, wer das ist.




    Über die Autorin


    Jetzt spare ich mir das Abschreiben aus dem Buch, denn es gibt ein
    - < Büchereulen-Porträt > von Velma Wallis, in dem in Kurzform das steht, was man auch im Buch finden kann.


    Informationen im Internet
    Von den über 48.000 Ergebnissen, die Google liefert, seien nur diese vier herausgegriffen:
    - < Klick > Die Homepage der Autorin (in englischer Sprache)
    - < Klick > Der Eintrag im deutschen Wikipedia
    - < Klick > Der Eintrag im native-Wikipedia (in englischer Sprache) mit weiteren Links
    - < Klick > Eine Besprechung des Buches von Deutschlandradio Kultur



    Über den Zeichner


    James L. Grant Sr. wurde 1946 in Tanana, Alaska als Athabaske geboren und wuchs unter dem Namen James G. Schrock in Südkalifornien auf. 1967 wurde er zur US-Armee eingezogen. Während er in Europa stationiert war, studierte er die alten Meister. Er hat später in Alta Loma, Kalifornien, sowie an der Universität Fairbanks, Alaska, indianische Kunst studiert.




    Meine Meinung


    Durch die Leserunde bin ich auf dieses Buch aufmerksam geworden - was für ein Glück.


    Erzählt wird die Geschichte von Jutthunvaa', das Vogelmädchen genannt wird, und von Daagoo. Diese leben in Alaska bei verschiedenen Sippen der Gwich'in. Gemeinsam ist beiden, daß sie einen unbändigen Freiheitsdrang und sehr eigene Vorstellungen vom Leben haben, die sich nicht mit den traditionellen Rollenverteilungen in Einklang bringen lassen.


    Vogelmädchen lernt das Jagen und ist in dieser Fertigkeit besser als mancher Junge, was ihr schließlich den Neid und die Mißgunst der Sippe einbringt. Man ruft ihre Eltern „zur Ordnung“, Vogelmädchen muß heiraten. Das will diese nicht und verläßt die Gruppe, um eine zeitlang alleine zu leben. Doch die Freiheit währt nur kurz; sie wird von feindlichen Ch'eekwaii (Eskimos) gefangen genommen und versklavt. Über Jahre muß sie schlimme Leiden erdulden.


    Die gleiche Truppe von Ch'eekwaii ist dafür verantwortlich, daß Daagoos Leben aus den Fugen gerät. Während einer Jagd töten sie alle Männer aus Daagoos Sippe, er allein bleibt durch einen glücklichen Zufall verschont. So sieht er sich plötzlich vor die Aufgabe gestellt, die Führung zu übernehmen und ist für das Überleben aller verantwortlich. Er, der doch keine Verantwortung übernehmen wollte.


    Daagoo und Vogelmädchen waren sich einmal kurz im Wald begegnet. Es wird Jahre dauern, bis sie sich wiedersehen. Jahre, in denen sich Dinge ereignen, um Jahrzehnte zu füllen.


    Das ist das vierte Buch (von insgesamt drei Autoren), dem indianische Legenden zugrunde liegen, das ich innerhalb der letzten vier Monate gelesen habe. Und wieder war ich völlig gefesselt, die rund zweihundert Seiten vergingen wie im Flug. Was nicht nur an der angenehm lesbaren Schrift und der wunderschönen Gestaltung des Buches liegt. Interessant fand ich dabei die Erzählweise, die mir in ähnlicher Form schon bei Robert J. Conleys „Der Wind rief seinen Namen“ sowie den beiden Thomas Jeier Büchern „Das Wissen der Bäume“ und „Die Sehnsucht der Cheyenne“ begegnet war. Conley ist Cherokee, Jeier einer der wenigen deutschen Autoren, dessen Bücher in den USA hohe Auflagen erreicht haben.


    Form und Inhalt entsprechen sich; ich könnte mir vorstellen, daß man ein gewisses Maß an, hm, Sympathie gegenüber den indigenen Völkern braucht, um mit diesem für uns vielleicht stellenweise etwas fremd klingenden Stil, der sich vermutlich am mündlichen Erzählen orientiert, so richtig warm zu werden. Denn rauh, unwirtlich, hart wie das Land, das die Menschen prägt, so wird auch die Geschichte erzählt. Mit wenigen Worten, in teilweise kurzen Sätzen, fast schon skizzenhaft, geht es voran, so daß die zweihundert Seiten über zehn Jahre umfassen. Und dennoch hatte ich nie das Gefühl, etwas würde fehlen oder müsse ausführlicher beschrieben werden. Denn ein karges Land läßt sich am besten mit einer kargen Sprache beschreiben. Die Bilder sind trotzdem in meinem Kopf entstanden. Manchmal deutlicher, als mir lieb war.


    Die Autorin hat zwei alte Legenden der Athabasken, die sie vor langer Zeit von ihrer Mutter erzählt bekommen hat, hier verwendet und zu einer Geschichte verschmolzen. Im Nachwort schreibt sie einiges dazu, auch was sie (warum) verändert hat. Und was nicht. Denn das Ende der Gefangenschaft von Vogelmädchen wird durchaus unmodern, nämlich „politisch unkorrekt“ (Ausdruck aus dem Buch) erzählt. Zum Glück. Übrigens gibt es ein zweites Nachwort von Häuptling Iggiagruk, dem Stamm, der im Buch Ch'eekwaii genannt wird.


    Hinter der vordergründigen Erzählung verbergen sich tiefe Weisheit, gleichermaßen wie Freude und Leid, Glück und Tragik. Es sind Fragen wie: Was nützt dem Menschen bloßes Wissen, wenn es nicht dem direkten Überleben dient? Hat der Einzelne einen Wert - oder zählt nur die Gemeinschaft, die Gruppe?


    Auch wenn es sich um alte Legenden handeln, die in alter Zeit erzählt werden - diese Grundfragen sind eigentlich immer noch die selben. In Alaska wie in Europa. Vielleicht hat mich das Buch darum so getroffen und erschüttert. Einfache Bilder für zeitlose Wahrheiten.


    Die wesentliche Aussage dieser Geschichte ist, daß wir alle unser Zuhause aus verschiedenen Gründen verlassen, um doch eines Tages wieder dorthin zurückzukehren. Und das gilt für beinahe jeden Menschen.



    Kurzfassung:


    Eine treffende Kurzfassung findet sich im Klappentext. Besser kann ich es auch nicht beschreiben:


    Kunstvoll verknüpft Velma Wallis zwei alte Legenden der Athabasken zu einem großen Stoff von epischer Tiefe, den sie in einer bestechend klaren und wunderbar einfachen Sprache zu erzählen vermag.



    Von den mehreren erhältlichen Ausgaben habe ich die verlinkt, die ich selbst besitze. Das Buch zählt zweifellos zu meinen Lesehighlights, im übrigen fällt mir kein Grund für einen Punkteabzug ein.
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    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Und hier noch die amerikanische Originalausgabe, auch als HC. Das Buch ist in mehreren Ausgaben lieferbar, die man sich bei Bedarf leicht heraussuchen kann.
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    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Was für eine schöne und ausführliche Rezi dieses Buches von SiCollier.


    Ich habe auch in der Leserunde mitgelesen. Zunächst war ich ein klein wenig skeptisch, ob das Buch nicht eher enttäuschend nach "Zwei alte Frauen" der gleichen Autorin sein könnte, das ich im Frühjahr/Sommer gelesen hatte. Dem war aber gar nicht so! Ich finde, dass die beiden Legenden wunderbar zu einer verschmelzt wurden. Auch die Hauptpersonen, also Vogelmädchen und Daagoo, haben mir durch ihre Andersartigkeit sehr gefallen. Alles in allem ein wunderschönes Buch.

  • Ich habe schon das erste Buch („Zwei alte Frauen“) der Autorin verschlungen, bei diesem hier war es nicht anders. Ich habe es innerhalb von 24 Stunden ausgelesen. Ich konnte gar nicht mehr damit aushören, und wollte unbedingt wissen, wie die Geschichte endet.
    Ich will mehr von diesen Legenden, die Herz und Seele berühren. :anbet


    Die Autorin hat einen wunderbaren Schreibstil. Sie beschreibt großzügig die Natur und Umgebung; die verschiedenen Stämme mit ihren strengen Regeln und Gewohnheiten; das Schicksal der beiden jungen Menschen, die ihren eigenen Weg gehen wollen, und dabei ein grausames Schicksal erleiden, und genau in die Rollen gepresst werden, die sie nicht wollten. Ich habe mich dadurch gut in das Buch hineinversetzt gefühlt, als würde ich das Schicksal der beiden selber erleben.


    Eine wunderschöne, und gefühlvolle Geschichte, bei der kein Auge trocken bleibt.


    Von mir gibt es 10 Punkte.

  • Eine schöne und spannende Geschichte, auch wenn das Buch sonst so gar nicht in mein Beuteschema gehört. Also: Auch ich fand Stil und Inhalt gut, obwohl ich in dem Bereich wenig Vorbildung und auch nicht so großes Interesse.

    "Ich bin dreimal angeschossen worden – was soll man da machen." (Robert Enke)


    "Accidents" happen in the dark.