Über das Buch:
(von amazon.de)
Lily, eine junge Studentin, ist dem großen Architekten Klaus Lehmann auf der Spur. Seine Lebensgeschichte führt sie in das schöne entlegene Dorf Steerborough, an der lichtüberfluteten Küste Suffolks. Dort sind es die leidenschaftlichen Liebesbriefe, die Lehmann über Jahrzehnte an seine Frau Elsa schrieb, die sie gefangen nehmen und immer weiter in das Schicksal der beiden zurückführen, ein Schicksal, das zutiefst mit Steerborough verbunden ist. Allmählich setzt sich ein Mosaik von Passion und Verrat, von preisgegebener und wieder gefundener Nähe zusammen, und Lily sieht sich unausweichlich mit ihren eigenen Sehnsüchten konfrontiert. Und auch die komplizierten Telefonate mit Nick, ihrem Geliebten im fernen London, lassen sie dieses unerfüllte Verlangen nur noch deutlicher spüren. Mit großer erzählerischer Kraft erkundet Esther Freud die Gefühle und Leidenschaften dieser Paare und Personen.
Über die Autorin:
(selbst zusammengeschrieben)
Der berühmte Name trügt nicht - Esther Freud ist tatsächlich die Urenkelin des berühmten Sigmund Freud und Tochter des Malers Lucian Freud. 1963 in London geboren, verbrachte sie ihre Kindheit auf Reisen mit ihrer alleinerziehenden Mutter Bernardine Coverley. Mit 16 Jahren kehrte sie nach England zurück und ließ sich zur Schauspielerin ausbilden, arbeitete als Darstellerin und Autorin für TV und Bühne.
Die Erfahrungen ihrer Kindheit verarbeitete sie im halb-autobiografischen Roman "Marrakesch" (OT: "Hideous Kinky"), der mit Kate Winslet in der Rolle der Mutter verfilmt wurde.
Zentrale Motive ihrer Romane sind Heimatlosigkeit, Entwurzelung und Emigration; problematische Eltern-Kind-Beziehungen und abwesende Elternteile sowie Kunst und Architektur.
Esther Freud ist mit dem britischen Schauspieler, Regisseur und Produzent David Morrissey verheiratet; mit ihren drei Kindern lebt das Paar in London.
Meine Meinung:
Das Buch erzählt zwei Geschichten auf zwei Zeitebenen, fein säuberlich mit jedem Kapitel abwechselnd.
In der Gegenwart ist Lily die Protagonistin, eine junge Architekturstudentin, die ihre Abschlußarbeit über den deutschstämmigen Architekten Klaus Lehmann schreiben will. Aus seinem Nachlaß hat sie Briefe erhalten, die er an seine Frau Elsa schrieb, während des Zweiten Weltkrieges und danach - Liebesbriefe, die zuerst liebevoll und besorgt klingen, zunehmend aber seinen Besitzanspruch auf Elsa und sein Bedürfnis ausdrücken, seine Frau zu dominieren. Im abgelegenen Küstenstädtchen Steerborough, wo Elsa und Klaus Lehmann einige Zeit gelebt haben, will sie sich in Ruhe diesen Briefen widmen - und auch Abstand zu ihrer Beziehung zum ehrgeizigen und ständig überarbeiteten Nick gewinnen, der nie wirklich Zeit für sie hat und noch weniger Verständnis.
Über die kleinen Nachbarsmädchen Em und Arrie lernt sie deren Vater kennen, den raubeinigen, am Existenzminimum lebenden Grae, dessen Ehe zerrüttet ist.
1953 reist der deutschstämmige Emigrant Max Meyer, ein tauber, von den Lippen ablesender Maler, nach Steerborough, um die Häuser des Städtchens zu "portraitieren". Er lebt bei Gertrude, einer Freundin seiner verstorbenen Schwester Käthe, einer Psychoanalytikerin für Kinder, die sich um den verstummten kleinen Alf kümmert. Bei ihr lernt er das Ehepaar Klaus und Elsa Lehmann kennen. Klaus Lehmann verlässt Steerborough wieder; Elsa bleibt zurück am Meer.
Mit Fortschreiten der Handlung auf beiden Ebenen halten sowohl Lily als auch Max Rückschau auf ihr bisheriges Leben - auf Kindheit und Eltern, Max auf seine erste Liebe, Lily auf ihre schwierige Beziehung zu Nick und ihre eigentlichen Träume.
Die Briefe Klaus Lehmanns bilden die Klammer, die beide Erzählstränge zusammenhält, doch langsam wachsen die Ebenen von Vergangenheit und Zukunft zusammen, indem die Zeit in Steerborough sowohl Max als auch Lily verändert und Lily einem Geheimnis des Ehepaars Lehmann auf die Spur kommt. Weitere Verbindungen tauchen auf: Personen, die in beiden Ebenen vorkommen - schließlich das "Haus am Meer" aus dem Buchtitel.
Das alles vor dem Hintergrund des verschlafenen Städtchens mit skurrilen Bewohnern und des unbezähmbaren Meeres mit seinen vielen Gesichtern
Das Buch ist ganz zart und leicht geschrieben, aber mitnichten oberflächlich. Seine Gestalten sind seltsame Menschen - voller Brüche und Widersprüche, verletzlich und verletzt, bis hin zu psychosomatischer Stummheit und Taubheit oder augenscheinlicher "Verrücktheit", wie ein Bewohner Steerboroughs. In jeder Zeile ist spürbar, welche Liebe Esther Freud für ihre Figuren hat, bis hin zu der nebensächlichsten Nebenfigur. Dabei deutet sie auch deren Geschichte an, Veränderungen, die diese ebenfalls im Lauf des Romans erfahren. Vor allem die Kinder - Em, Arrie, Alf - schildert Freud in einer Behutsamkeit, einer Einfühlsamkeit für ihre Sprache, ihr Denken, ihre Bewegungen und Eigenarten, ihre Gefühle, ihre Ängste und Sehnsüchte, dass ich dahingeschmolzen bin.
Es ist ein Buch der leisen Zwischentöne, das mich ab der ersten Seite in seinen Bann gezogen hat. Bis zum Schluß, der mich verblüfft und noch den ganzen Tag heute beschäftigt hat.
Ein kleines Juwel, dieses Büchlein.