Tödliche Schlagzeilen - Michael Collins

  • OT: The Keepers of Truth


    Kurzbeschreibung:
    Früher eine Hochburg industrieller Produktion, ist die kleine amerikanische Stadt, in der Bill lebt, nur noch eine verlassene Ruine ihrer selbst. Und ihre Bewohner sind traurige Verlierertypen. Auch Bill verzweifelt an seinen banalen Artikeln für das Lokalblatt "Daily Truth", und schreibt heimlich an seinem großen Essay zum Niedergang des amerikanischen Traums. Dann kommt plötzlich eines Nachts der alte Lawson nicht mehr nach Hause. Und Ronny, sein Sohn, gerät unter Mordverdacht. Die Stadt berauscht sich an dem Skandal, den Bill mit seinen Berichten anheizt. Bis er sich zu fragen beginnt, was wirklich hinter dem Verschwinden des alten Mannes steckt...


    Über den Autor:
    Michael Collins, geboren 1964 im irischen Limerick, übersiedelte in den 80er Jahren in die USA, wo er zunächst als Programmierer arbeitete, bevor er sich dem Schreiben zuwandte. Momentan lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Bellingham, Washington. Mit dem gleichnamigen irischen Freiheitskämpfer ist Michael Collins entfernt verwandt.


    Meine Rezension:
    Dieser Roman sei ein "apokalyptisches Stück Prosa, ein Requiem auf Amerika" schreibt der London Oberserver, und da muss ich ihm absolut rechtgeben. Es ist ein tristes, hoffnungsloses Leben in den 80er Jahren irgendwo im Mittleren Westen der USA, wo die einst so aufstrebende Industrie längst ausgestorben ist und die Menschen versuchen, sich irgendwie über Wasser zu halten. Frust und vage Träume von einem besseren Leben bestimmen den Alltag der Menschen. Nicht nur im Sommer, der brütend heiß über den Ebenen liegt, gibt es in der Redaktion der "Daily Truth" nicht viel zu tun. Bis ein Mann plötzlich verschwindet und sein Sohn unter Mordverdacht gerät. Reporter Bill, der selbst mit seinen Dämonen der Vergangenheit zu kämpfen hat, wird - ehe er es sich versieht - hineingezogen in den Strudel aus Sensationsgier, Macht und Vorurteile, von denen manche, aber nicht alle gerechtfertigt sind. Collins erzählt staubtrocken, messerscharf und mit einer gewissen Melancholie, woran man sich erst gewöhnen muss. Action oder blutige Details sucht man hier vergebens, stattdessen findet man ein Porträt eines Amerikas, in dem die Außenseiter und Verlierer der Gesellschaft im Mittelpunkt stehen. Das Ende ist für manchen vielleicht so unbefriedigend wie das Leben der Menschen, doch konsequent realistisch und deshalb zwingend.


    Ganz sicher ein Krimi der anderen Art und für mich Anlass, nach den übrigen Romanen des Autors Ausschau zu halten.


    Wertung: 7-8 Punkte

  • Da hat der btb-Verlag mal wieder die Marketingmaschine angeworfen und dem Buch einen Titel gegeben, der sich leicht ins Krimigenre einordnen lässt und dadurch wahrscheinlich die Verkäuflichkeit erhöht, jedoch so plakativ ist, dass er überhaupt nicht zum Buch passt...
    Zum Glück hat mir eine Freundin den Titel empfohlen, sonst hätte ich da wohl eher nicht zugegriffen.
    Der Mord an Ronny Lawtons Vater ist ja tatsächlich "zweitklassig", wie Bill, frustrierter Zeitungsredakteur und Erzähler des Romans, feststellt. Als Ausgangsbasis für eine Kritik an den nach Sensationen gierenden Menschen ist er jedoch gut zu gebrauchen...


    Die frustrierende Situation und die eintönige Umgebung, die Bill knallhart beschwört, ziehen den Leser tief hinunter. Einziger Lichtblick ist da nur die Darlene, die mit ihrem (wenn auch kitschigen) bunten Schönheitssalon den Menschen eine kurze Flucht aus der Realität ermöglicht. Umso krasser erscheint dann auch die Welt herum mit den verfallenden Industriebauten und ewig gleichen Restaurantketten.
    So zeichnet Collins das Porträt einer sich im Niedergang befindenden Gesellschaft: Die Zeit des Wohlstands ist vorbei, jeder kämpft ums Überleben. Eine Gesellschaft, die alte Menschen nicht mehr braucht, wogegen die Jugendlichen aus Langeweile aus einem (potenziellen) Mörder ein Idol schaffen. Passend dazu: der Name „Fast-Food-Kind“ für den kleinen Sohn von Ronny Lawtons Exfreundin Teri, der noch nie ein selbst gekochtes Essen genießen durfte.
    Hinzu kommt eine fundamentale Kritik am Kapitalismus.
    Er dringt tief ein in eine Welt ohne Hoffnung, mit Menschen, die von allen vergessen wurden und die sich ohne Chance auf gesellschaftlichen Aufstieg durchs Leben schlagen. Und doch: ein bisschen Hoffnung bleibt zum Glück.


    Fast schon wirken diese Beschreibungen in ihrer Überzogenheit klischeehaft und trotzdem so drastisch, dass man fast froh ist, wenn man die letzte Seite hinter sich hat. Das Buch lässt den Leser deprimiert zurück und verfolgt, so schnell kommt man aus Bills Gedankenwelt nicht mehr raus.
    Einziger Schwachpunkt: die „Liebesgeschichte“ zwischen "Ermittler" Bill und Teri als "Verdächtigte", die die Story am Laufen halten und für Spannung sorgen soll, jedoch ungemein öde ist: schon viel zu oft gelesen.


    Aber alles in allem aber ein Buch, das ich weiterempfehlen werde.
    Es war übrigens 2000 für den Booker-Prize nominiert.