Anthony McCarten, Englischer Harem (The English Harem)

  • Ein Buch an dem ich schwer zu arbeiten hatte, kenne ich doch nur zu gut das Gefühl der völligen Hilflosigkeit, des Ausgeliefertseins wenn meine Mandanten vor mir stehen, weil sie unvermutet in den Focus des Jugendamtes geraten sind und jede Bewegung gegen die Eltern ausgelegt wird, die Kinder schreiend von der Polizei abgeholt werden und Fassungslosigkeit und Vezweiflung bei den Eltern die Sozialarbeiter bei der Meinung unterstützt solche seelenlosen Hüllen seien erziehungsunfähig. Das führt natürlich dazu, dass ich das Buch sehr langsam lesen musste, schliesslich ist dieser Aspekt des Romans nicht die Haupthandlung, berührt nur meine Betroffenheitsproblematik.


    Sonst kann ich mich nur Eskalinas Worten anschließen jedem empfehlen dieses Buch zu lesen.

  • Meine Rezension


    Viel bleibt eigentlich nicht mehr zu diesem Roman zu sagen, meine Vor-Rezensenten haben das Wichtigste eigentlich schon ganz wunderbar erfasst und ich kann mich ihren begeisterten Stimmen eigentlich nur anschließen.


    Das Buch ist ein Gesellschaftsroman, der gleich „zwei Gesellschaften“ betrachtet – die Handlung spielt in England, doch Samaan Sahar, der Protagonist, kommt aus Persien und lebt nun in beiden Kulturen, obwohl er in keiner richtig zuhause ist. Die persische Kultur hat mit der Absetzung des Schahs für ihn verloren, doch die englische Kultur nimmt ihn nicht wirklich auf.


    Das unkonventionelle Lebensmodell, das er mit seinen Ehefrauen führt, trägt außerdem nicht unerheblich dazu bei, dass er von der englischen Gesellschaft abgelehnt wird. Die Menschen können sich darunter nichts vorstellen, also stellen sie sich das Schlimmste vor… ein wahres Sodom und Gomorrha, das aber nur in den Köpfen der Anderen existiert.


    Dabei musste ich mehr als einmal an den alten Spruch denken: „Man denkt von anderen immer nur so schlecht, wie man selbst ist“.


    Die Wirklichkeit, die aber niemanden zu interessieren scheint, ist eigentlich völlig unspektakulär. Ich habe mich oft gefragt, ob Samaan die Situation hätte entschärfen können, wenn er kooperiert und die nüchterne Wahrheit offen erzählt hätte. Aber ich habe die begründete Vermutung, dass das niemanden interessiert hätte und ihm auch niemand geglaubt hätte, zu sehr hatte sich die lüsterne Vorstellung vom heimlichen Harem in den Köpfen der Menschen manifestiert.


    Was bleibt ist eine wunderschön erzählte Geschichte mit Abgründen und durchaus verstörenden Momenten, aber dennoch sehr sehr interessant und lesenswert.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Mir hat das Buch auch gefallen, auch wenn ich etwas zwiegespalten bin.


    Der Roman ist virtuos geschrieben, die Milieuschilderung hat mir auch gefallen.
    Das Buch spielt gekonnt mit den Vorurteilen, auch mit denen des Lesers.
    Das Ende ist überraschend.


    Das Buch kommt mir allerdings doch etwas realitätsfremd vor - eher ein wenig märchenhaft.


    Auch wenn es in diesem Roman überraschend anders endete, so habe ich mir trotzdem die Frage gestellt, wie die Rechte der Frauen im Iran sind.
    Muss eine verwitwetete Frau den Bruder ihres verstorbenen Mannes heiraten?
    Nur auf einer Seite des Buches wurden die Frauenrechte im Iran kurz erwähnt.
    Ich werde wohl mal googeln. :-)


    Alles in allem ist das Buch lesenswert.


    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • ...ich liebe dieses Buch...
    Beim Lesen und auch noch danach stellte ich mir immer wieder die Frage: Wie tolerant sind wir eigentlich???


    :weihnachtsbaum :weihnachtsbaum :weihnachtsbaum

    Herzlichst, FrauWilli
    ___________________________________________________
    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Zitat

    Original von Conor
    Das Buch kommt mir allerdings doch etwas realitätsfremd vor - eher ein wenig märchenhaft.


    Auch wenn es in diesem Roman überraschend anders endete, so habe ich mir trotzdem die Frage gestellt, wie die Rechte der Frauen im Iran sind.
    Muss eine verwitwetete Frau den Bruder ihres verstorbenen Mannes heiraten?
    Nur auf einer Seite des Buches wurden die Frauenrechte im Iran kurz erwähnt.


    Da stellt sich mir die Frage: Muss das Auftreten eines Iraners als Romanfigur immer dazu führen, dass die grundsätzlichen Verhältnisse im Iran reflektiert werden? Und wenn der Text sich dem verweigert, ist er realitätsfremd?
    Das scheint mir an den Stärken des Textes vorbeizugehen. Wichtig ist hier doch: 1. Die Heirat der Witwe ist keine Zwangsheirat, sondern ein Akt der Nächstenliebe. Firouzeh ist als völlig selbstbestimmt gezeichnet. 2. Sam ist nicht einfach Iraner, praktiziert die Traditionen in einer Weise, die sowohl die Engländer als auch seine iranische Familie brüskiert.


    Herzlich, Bartlebooth.

  • Zitat

    Zitat bartlebooth: Da stellt sich mir die Frage: Muss das Auftreten eines Iraners als Romanfigur immer dazu führen, dass die grundsätzlichen Verhältnisse im Iran reflektiert werden? Und wenn der Text sich dem verweigert, ist er realitätsfremd? Das scheint mir an den Stärken des Textes vorbeizugehen. Wichtig ist hier doch: 1. Die Heirat der Witwe ist keine Zwangsheirat, sondern ein Akt der Nächstenliebe. Firouzeh ist als völlig selbstbestimmt gezeichnet. 2. Sam ist nicht einfach Iraner, praktiziert die Traditionen in einer Weise, die sowohl die Engländer als auch seine iranische Familie brüskiert.


    Nein - natürlich muss das Auftreten eines Iraners als Romanfigur nicht immer dazu führen. Da hast du schon Recht :-)
    Mir kamenda nur so diese Fragen/Gedanken - ganz automatisch. Auch wenn es nicht direkt mit dem Roman zu tun hat.
    Die Intention des Romas ist ja nicht, über die Verhältnisse im Iran zu berichten, sondern wie tolerant sind wir?


    und märchenhaft deshalb, weil Tracy, die arm ist , ziemlich bald auf ihren "Märchenprinzen" trifft, der reich ist.


    Das Buch hat mich doch zum nachdenken gebracht - und wie gesagt, mir hat es auch gefallen.


    Liebe Grüße
    Conor

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

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  • Ich habe dieses Buch im Urlaub gelesen und kann mich hier meinen Vorredner-innen auch nur anschließen.


    Ja, ich habe es auch so empfunden, daß der Autor auch mit uns und unseren Vorurteilen spielt und uns immer wieder neu herausfordert. Manches Mal wollte ich eingreifen und Sam zurufen, daß er doch die Wahrheit sagt über die Hintergründe seines Harems.


    Den Satz von Batcat finde ich sehr treffend:
    „Man denkt von anderen immer nur so schlecht, wie man selbst ist“.


    Alles in allem für mich ein absolut lesenswertes Buch in einer schönen Sprache, das ich auf jeden Fall weiterempfehlen werde.

  • Boah.. Was für ein schönes Buch!!


    Hatte es hier seit November liegen und obwohl ich schon "Superhero" und "Hand aufs Herz" wahnsinnig gut fand, kam erstmal nicht so rechte Leselust auf.
    Nun habe ich es endlich gelesen und bin immer noch ganz verzaubert. Eine wunderbare, gar fabelhafte Geschichte. Teilweise sehr ernst, dann wieder ein bisschen zum träumen und mit herrlichem Humor. Und das Ende... Oh man.. Besser hätte es McCarten nicht machen können finde ich.



    Fazit: Absolute 10 Punkte, mindestens.

  • Da bin ich aber froh das es hier so gute Rezis gibt. Ich bin jetzt an der Stelle an dem der Sohn von Sam das erste Mal erscheint. Bis jetzt ist der Funke noch nicht übergesprungen, aber auf Grund der vielen positiven Stimmen werde ich weiterlesen.

    Diese Eintrag wurde bisher 47 mal bearbeited, zultzt gerade ebend, wegen schwere Rechtsschreipfeler.

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von kuschelhundchen ()

  • Ich hatte dieses Buch meiner Freundin (aufgrund einer Empfehlung der Buchhändlerin) zum Geburtstag geschenkt. Sie hat es mir jetzt zum lesen geliehen - mit einem komischen Gesichtsausdruck. Begeistert war sie glaub ich nicht - aber ich!


    Das Buch ist irrwitzig. Erinnerte mich sofort an John Irving. Mir passieren solche Dinge nie. Ich wußte zB nicht das es Mietshäuser geben kann, zu deren Wohnungen im 23. Stock man zu Fuß die Treppe hoch läuft. :wow Ich glaube nicht das ich das schaffen würde.


    Besonders gelungen fand ich die Beschreibung der einzelnen Lebensumstände und ihrer Akteure. Jeder findet sich in seinem Millieu zurecht und eckt nicht großartig an. Nachdem die Situation im Hause Sahar erläutert wurde, ist auch diese sehr :gruebel einleuchtend?


    Was junge hübsche Frauen an dicken, wohlhabenden Männern finden, werde ich allerdings nie verstehen :grin


    Sehr empfehlenswert!

  • "die Welt ist das Paradies der schlechten Menschen" fand ich als Zitat besonders schön in diesem Buch.
    Und es betraf mich merkwürdig, dass ich mich zu Beginn so stark dagegen sträubte, dass ich nicht tolerant genug sein könnte. So ein Harem IST nicht zu tolerieren, sagte ich mir immer wieder. Und immer weiter ging es, und immer mehr sank meine Widerstands-Schwelle. Am Ende steht eine wirklich wunderschöne Beziehung, nicht einmal unbedingt Liebe, sondern auch Freundschaft.
    Mir gefiel auch gut die Entwicklung zwischen Tracy und ihren Eltern. Teilweise hätte der Roman sicher ein wenig gekürzt werden können, weil sich schleppende Passagen einschleichen. Aber ansonsten ... wunderschönes Buch.

  • Wir haben das Buch letztes Jahr in unserem privaten Lesekreis gelesen und es hat der Hälfte der Frauen nicht gefallen.


    Unsere Kritikpunkte waren damals (soweit ich das noch im Kopf habe):


    • - Wir konnten nicht wirklich nachvollziehen warum Tracy sich so in ihn verliebt hat
    • - Sowohl bei Tracy als auch bei ihm ist der Funke zu uns nicht übergesprungen
    • - manchmal hatten wir das Gefühl das Buch sei nur geschrieben worden um es anschliessend verfilmen zu können. Manche Szenen waren pure Effekthascherei


    Auf der anderen Seite war das Buch ein interessanter Aufruf zu mehr Toleranz, aber die Liebesgeschichte an für sich konnte uns nicht fesseln.

  • An dieses Buch bin ich herangegangen, ohne vorher auch nur eine einzige Meinung dazu gehört oder gelesen zu haben. Außerdem war es auch mein erster McCarten.
    Somit konnte ich mal ganz unvoreingenommen lesen. Und bin begeistert!


    Der Autor hatte eine interessante Geschichte zu erzählen und hat mich mit seinem Schreibstil wirklich überzeugt. Auch seinen Humor mag ich.


    Um auf einige Aussagen meiner Vorredner zu kommen: ich glaube nicht, dass in Bezug auf Tracy auch nur einen Moment die Tatsache, das Sam Geld hat, eine Rolle spielte. Sie hat sich wegen seines Charakters in ihn verliebt. Punkt.
    Das Ende hatte ich mir genauso vorgestellt, wie es dann kam :-)
    An Effekthascherei kann ich mich nicht wirklich erinnern.


    Die Meinung von Frau Kuschelhundchen würde mich ja noch interessieren. Hast Du das Buch zu Ende gelesen und wenn ja, wie hat es Dir gefallen?


    Gruß vom Killerbinchen :wave

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

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  • Nachdem Lumos mir das Buch schwer ans Herz gelegt hatte, bin ich recht schnell durchgekommen uns sehr angetan.
    Der Stil ist anders als Superhero, aber dennoch leicht und ironisch. Das Thema ist für mich ein Neues, ich weiche sonst den muslimisch-europäischen Kontakten recht gerne aus. Sam ist eine Person, die ich wirklich gern haben musste, als kleiner Einzelkämpfer zwischen den Welten. Ich bewundere die Art des Autors, die Ereignisse zu schildern, wenn verschiedene Vorstellungen und Verhaltensmuster aufeinanderprallen, ironisch, witzig und dennoch irgendwie liebevoll. Zum Beispiel den Besuch von Sams Eltern. Angetan bin ich auch von der Großzügigkeit und Offenheit der Ehefrauen.
    Kurzum, ein lesenwertes und empfehlenswertes Buch, dass die Augen öffnen kann, zu Nachdenklichkeit über die eigenen Einstellungen anregt und dennoch sehr gut unterhällt.