Zauberer - Tomek Tryzna

  • Inhalt:
    Kurz nur hat Romek Stratos seine Spielzeugarmee im Stich gelassen, um ein paar Runden mit Lalas Tretauto zu fahren. Aber dieser kurze Augenblick hat den Einbrechern genügt, um alles auszuräumen, was der Familie Stratos gehörte. Romek will seine Schuld am Ruin seiner Familie wieder gut machen, und so beginnt eine abenteuerliche Reise voll Phantastik und Ernüchterung durch das kommunistische Polen: Noch oft wird Romek alles verlieren, aber ebenso oft wird er sein Glück machen und der profanen Wirklichkeit eins auswischen.


    Meinung:
    Romek fühlt sich schuldig, weil er seiner Meinung nach für den Einbruch in die Wohnung seiner Familie mit verantwortlich ist, da er nur an das verlockende Tretauto dachte und die Wohnung unbewacht zurückließ. In seiner gesamten Kindheit wird dieser Einbruch sein Leben maßgeblich bestimmen. Die Familie stürzt nach diesem Vorfall wieder in Armut. Aus der Sicht des naiven jungen Romeks werden nun seine Gedanken, Sorgen und Rettungsversuche, die er sich ersinnt, um seiner Familie wieder ein angenehmes Leben zu bescheren, erzählt. Deutlich werden dabei die Lebensumstände in Polen nach dem Krieg, allerdings wird die politische Seite nicht überbetont. Man erlebt die Schwankungen im Leben von Romek mit, mal zum Guten, mal zum Schlechten. Er verliert jedoch nie die Hoffnung auf ein besseres Leben, als er von einem Kind zu einem Jugendlichen heranwächst.
    An sich wie ich fand ein sehr interessantes und flüssig lesbares Buch. Nur das Ende war meiner Meinung nach etwas kurz und hat die Punktzahl, die ich für das Buch vergeben habe doch sehr nach unten gedrückt. Einige Seiten vor Schluss findet man plötzlich statt der verständlichen und fesselnden Erzählweise von Romek eine Menge kurzer Absätze in Form von Dialogen, deren Sinn und Verbindung sich mir ehrlich gesagt nur teilweise erschlossen hat. Begründet ist dies natürlich in der Emotionalität, aber wie ich finde geht hierbei dann doch Inhalt und somit Informationen über diesen Lebensabschnitt Romeks verloren. Fand ich schade... Aber nichtsdestotrotz, ein lesenswertes Buch!

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Oh schön dass es eine Rezi dazu gibt!




    Tomek Tryznas "Fräulein Niemand" hat mich damals sehr beeindruckt und gehört zu meinen Lieblingsbüchern, dementsprechend stürze ich mich auf alles weitere von diesem Autor. Leider hat mich dieses Buch dann - wie auch irgendwie erwartet - nicht so vom Hocker gerissen. Es gibt wie schon beim "Fräulein Niemand" anstrengende Traumsequenzen, die ich dort aber passender fand, oder sagen wir mal eher verzeihen konnte, als nun hier. Ich finde die Geschichte des kleinen Jungen braucht sowas einfach nicht, es gibt ihr nur eine unnötige Zähigkeit. Trotzdem ein gutes Buch, hatte halt einfach nur zu hohe Erwartungen.

  • Über den Autor:


    Tomek Tryzna (* 15. März 1948 im niederschlesischen Ostroszowice) ist ein polnischer Schriftsteller und Filmregisseur. Schon zu seiner Schulzeit in Zwidnica fing er an, Amateurfilme zu drehen, und machte daraus später seinen Beruf. Außerdem verfasste er mehrere Drehbücher und Romane. Gegenwärtig lebt er in Warschau.


    Quellen:
    Tomek Tryzna - Eintrag bei Wikipedia
    Tomek Tryzna bei perlentaucher.de




    Klappentext:


    Kurz nur hat Romek Stratos seine Spielzeugarmee im Stich gelassen, um ein paar Runden mit Lalas Tretauto zu fahren. Aber dieser kurze Augenblick hat den Einbrechern genügt, um alles auszuräumen, was der Familie Stratos gehörte.
    Romek will seine Schuld am Ruin seiner Familie wieder gutmachen, und so beginnt eine abenteuerliche Reise voll Phantastik und Ernüchterung durch das kommunistische Polen: Noch oft wird Romek alles verlieren, aber ebenso oft wird er sein Glück machen und der profanen Wirklichkeit eins auswischen.


    "Selten wurde mitreißender und anrührender
    über den Mut, die Chuzpe und
    die Verzweiflung eines Kindes geschrieben
    als in diesem Buch."

    NRC Handelblad


    "Ein hervorragender Roman."
    Brigitte zu "Fräulein Niemand"



    Quelle:
    Bucheintrag bei Amazon.de




    Meine Meinung:


    "Ich hielt durch, weil ich einen Grund hatte, zu leben.
    Ich konnte meine Familie nicht ihrem Schicksal überlassen. Ich hatte einen hervorragenden Rettungsplan. Ich musste leben."
    *


    Romek Stratos, ein Kind noch, sollte auf die Wohnung seiner Eltern Acht geben, während diese arbeiteten - als Schneider in einem Atelier. Nur kurz hat er die ihm zugewiesene Aufgabe verlassen, um mit dem Tretauto von Lala zu fahren. Noch keinen Überblick über die Gefahren habend und somit schwer erschüttert über das Ergebnis der räuberischen Diebestour, erholt sich die Familie nicht von dem Schlag alles auf einmal zu verlieren. Nicht nur die Einrichtung und Bargeld, privat genähte Pelzmäntel oder ähnliche materiellen Gegenstände. Das "gute" Leben der Stratos hat ein Ende gefunden, nur mühsam halten sie sich mit ihren Schneiderarbeiten mehr über Wasser, immer im Begriff obdachlos zu werden oder so stark zu verarmen, dass man nicht mehr für die Grundversorgung aller aufkommen kann. Der Vater wird zum Trinker, verzweifelt an der Situation und die Mutter an ihm. Depressiv, verzweifelt, suizidgefährdet. So ist die Wahrnehmung Romeks von seiner Mutter; nur er kann sie beruhigen, nur weiß die richtigen Worte für sie zu finden, sie aufzubauen, ihr Hoffnung zu geben für ein besseres Leben.
    Und Romek? Er zieht sich immer mehr in seine Fantasiewelt zurück, nimmt das Leben nur noch teilweise und real wahr. Er kann schöne Geschichten erzählen, ist ein brillanter Redner, ein talentierter Schauspieler und Herr und Regisseur in seinem Stück der Lebensrealität.
    Stehen wir auf der Bühne von Romek Stratos oder erleben wir wirklich den Niedergang der Familie als reales Abbild? Ist dies eine Romeks erdachten Geschichten oder wandern wir wirklich durch das kommunistische Polen, durch Warschau?


    Mit solchen Fragen konfrontiert sich der Leser, sieht sich gefangen in Romeks Lügennetz, aber folgt ihm weiterhin gespannt auf seinem Weg die Familie zu retten. Schauspieler will er werden, dem Theaterdirektor vorsprechen, auf das er genug Geld für sich und seine Familie einnehmen kann. Es misslingt, privat wie beruflich wird der Aufenthalt Romeks, mit seiner Mutter, zu einem Desaster. Und doch sieht er Hoffnung, sieht eine Verbesserung. Dieser Optimismus ist geradezu ansteckend.
    Man hofft, man fiebert mit. Und das trotz einer sehr unaufgeregten Sprache.


    Die Perspektive eines zehnjährigen Kindes hat der Autor gewählt, der Verfall einer Familie wird somit sehr stark emotional fokussiert und wirkt so etwas behäbig, ja, geradezu langsam, langatmig, langwierig. Die Sprache wirkt fast stoisch, das Ende der Geschichte dagegen hektisch, schnell, unpassend, abbrechend. Soll hier ein Bruch in den Gedanken Romeks gesteigert werden? Seine Unlösbarkeit, Schuldigkeit und Hilflosigkeit gegenüber der eigenen Familie?
    Wie es auch interpretiert werden kann, für mich als Leser war der Bruch zu schnell, zu stark, zu unlogisch. Und dennoch... die Figuren bleiben selbst in dieser starken, schnellen Entwicklung sehr liebevoll gezeichnet; Tryzna nimmt sich sehr viel Zeit seine Figuren als vollständige Charaktere zu zeichnen. Eine sanfte Melancholie umgibt seine Figuren, eine fast lethargische Ruhe, welche sich auch auf den Leser überträgt. Nur Romek ist das optimistische Bindeglied zwischen zwei Welten - der realen und der ihm eigenen Fantasiewelt.


    Als ein "gelungenes Lehrstück über das Erwachsenwerden" bezeichnet es Andreas Neuhaus in der FAZ, als "romantischen Ritterroman" charakterisiert es Samuel Moser in der NZZ. Welches Genre Tomek Tryzna auch immer mit diesem Roman erreichen wollte - Gesellschaftsroman über das kommunistische Polen, ein Roadmovie durch Warschau in den 50er Jahren, oder aber skurriler, jugendlicher Abenteuerroman - man hat seine Freude mit diesem Werk. Der Roman beginnt schnell, rasant, entfaltet aber nach und nach seine Ruhe und somit auch seinen Charme. Eine vollkommen unaufgeregte Sprache, liebevoll gezeichnete Figuren, eine starke Poesie innerhalb der Geschichte gegenüber einem für mich zu starken Bruch im Ende. Und trotzdem: Der Roman weiß zu unterhalten, zu erfreuen, zu hinterfragen.

    Nicht nur der Mensch sollte manches Buch,
    auch Bücher sollten manchen Menschen öffnen.
    (Martin Gerhard Reisenberg, *1949)