Kollateralschaden - Olga Flor

  • Kurzbeschreibung:


    Eine Stunde am frühen Abend in und um einen Supermarkt. Lichter, Autos, Menschen. Eine Allegorie des Alltäglichen. In ihrem neuen Roman stellt uns Olga Flor eine Reihe von Personen vor, die auf den ersten Blick nichts miteinander verbindet: die 29-jährige Doris etwa, die hier regelmäßig und fast immer kalorienbewusst einkauft; den Rentner Horst, ehedem im Stadtbauamt tätig und nun für die Pflege seiner krebskranken Frau zuständig; Anton, einen Obdachlosen ... Im Takt der Minuten beobachtet die Autorin das Treiben, dem keiner unbeschädigt entkommt. Man folgt den Gedanken und Handlungen dieser Menschen. Ihre Sehnsüchte und Schwächen kommen einem dabei ebenso nahe wie das unmittelbare Geschehen selbst, das in einem Überfall kulminiert. Ein packendes Stück Gegenwartsliteratur von analytischer Schärfe.


    Über den Autor:


    Olga Flor, geboren 1968 in Wien. Lebt als Mutter zweier Kinder in Graz. Seit Abschluss des Physikstudiums Arbeit in den Bereichen Konzeption, Design und Produktion multimedialer Lernprogramme. Veröffentlichungen von Prosa und dramatischen Texten in Literaturzeitschriften und im ORF. Einladung zur Werkstattlesung anlässlich des von Günter Grass gestifteten Alfred-Döblin-Preises 2001. Literaturförderungspreis der Stadt Graz 2001.


    Eigene Minute:


    Auf den ersten Blick haben sie nichts anderes gemeinsam, als das sie um 16:30 in einem Supermarkt, deren Ort nicht näher geklärt wird, aber wohl irgendwo am Rand einer Stadt in Österreich liegen dürfte, einkaufen. Eine kleine Gruppe von Personen, von einer Abgeordneten mit Spezialgebiet Sicherheitspolitik, einem Journalisten, einem Pensionisten, dessen Frau gerade für eine Operation vorbereitet wird, einen Schüler, dessen Mutter in einer Lebenskrise steckt, den Angestellten im besonderen der Marktleiterin und einem Lehrling und noch anderen. Die zentralen Figuren finden sich bereits um 16:30 im Supermarkt, andere kommen später hinzu, manche kommen häufiger wieder in die Aufmerksamkeit der Leser, andere nur sehr selten.


    In einer raschen Abfolge von Szenen, meistens bleibt man bei einer Figur nur kurz, selten länger als eineinhalb Seiten. Langsam schälen sich so aus den Handlungen im Supermarkt, wobei dieser auch verlassen wird, manchmal nur in Gedanken, manchmal auch tatsächlich und die Handlung nach draußen trägt, die Charaktere heraus. Zwischen manchen bestehen auch eher willkürliche Verbindungen, oft gelingt der Übergang auch geschickt, indem an die eine Figur nun kurz aus den Augen einer anderen streift.


    Im Wesentlichen bekommt man eine Analyse der Personen geboten. Die alle ein wenig selbstverliebt ihre Einkäufe durchführen und in ihren eigenen Problemen gefangen sind, dabei die Ereignisse, die später im Geschäft stattfinden werden, alle aus ihrer eigenen Sicht sehen werden und daraus ihre eigene Wirklichkeit der Vorgänge konstruieren, jeweils sich selbst im Mittelpunkt sehend.


    Das Buch liest sich gut und schnell. Gerade anfangs hatte ich Probleme die Personen wieder ihren Geschichten zuzuordnen, gerade da auch zwei Figuren starke Ähnlichkeiten aufweisen und daher steht man zwischenzeitlich etwas orientierungslos da. Etwas gefehlt hat mir eine verbindende Rahmenhandlung, die die Geschichten in eine stärkeren Zusammenhang setzt, ein etwas lose wirkende inhaltliche Klammer kommt zwar gegen Ende des Romans.



    .

  • Vielen Dank für die Rezension. :-)


    Ich lese es gerade - auch ich hatte anfangs ein wenig Probleme mit dem zuordnen, aber jetzt geht es.


    Ansonsten kann ich mich dir wohl anschließen. :-]



    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Da ich mich selbst ständig dabei ertappe, Menschen zu beobachten (im Café, im Supermarkt an der Kasse, in der Stadt...) und mich auch oft frage, wo diese herkommen und wo sie hingehen, könnte das Buch durchaus etwas für mich sein.
    Ich werde es einfach mal auf meine WL packen.
    Vielen Dank für die Vorstellung! :wave

  • So, jetzt bin ich fertig mit dem Buch. Insgesamt hat es mir recht gut gefallen.


    Einige Personen sind ausführlicher dargestellt, wie z.B. Luise, Doris oder Erich, der Journalist.
    Andere wiederum sind sehr flüchtig -z. B. Lilli oder Oswald.
    Es sind normale, durchschnittliche Menschen, wie man sie jeden Tag in einem Supermarkt treffen kann, zumindestens in einem Provinzstädtchen.
    Jeder ist vereinzelt, ist mit seinen Problemen beschäftigt. Mosaikartig erzählt Flor von den einzelnen Personen.


    Bei Luise musste ich gleich an Haider denken, sie ist Sicherheitssprecherin der Rechten.


    Eine Frage:


    Kann man das schon als Konsumkritik auffassen - es zählt nur der Konsumartikel?



    :wave




    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Ein interessanter Gedanke. Auf mich hat das Ende zu überzeichnet gewirkt, wodurch ich mir diese Frage überhaupt nicht gestellt habe. Ich verbinde mit Konsumkritik eher Themen wie Massenproduktion, Überproduktion, unbewusstes Kaufverhalten etc. In dem Fall kommt mir der Gedanke auch jetzt nicht, wenn ich länger darüber nachdenke. Darin sehe ich eher Symptome einer Anonymisierung in der Stadt, Ellbogengesellschaft, mangelndes Mitgefühl, Materialismus.

  • Ja - mangelndes Mitgefühl, Ellenbogengesellschaft - das trifft es auf den Punkt.
    Das trifft es sicher genauer.
    (Ich wollte zum Ausdruck bringen, dass der Konsumartikel wichtiger als der Mensch ist.)


    :wave

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    Virginia Woolf

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  • taciturus :
    das stimmt schon, dass das eigene Wohlergehen Tobias wichtiger ist, aber ist sein Wohlergehen nicht durch so oberflächliche, materielle Dinge bestimmt?
    Sein Wohlergehen könnte doch auch durch zwischenmenschliche Aktivitäten bestimmt sein, wie Hilfsbereitschaft. Er hätte doch dem Mann helfen können, was ihn wiederum froh hätte machen können.



    vielleicht liege da ja verquer :gruebel


    :wave

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