Die weißen Schwestern - Astrid Vollenbruch (ab ca. 11 J.)

  • Sonja kann Nachtfrost, das Einhorn, mit dem sie gerade ein Abenteuer in dem eigenartigen Land Parva jenseits der Nebelbrücke überstanden hat, nicht vergessen. Kaum daß sie in ihre Welt zurückgekehrt war, hat eine fremde Frau ihr Nachtfrost weggenommen. Angeblich besitzt diese Frau ein Gestüt. Sonja und ihre beste Freundin Melanie setzen alles daran, das Gestüt zu finden. Aber erst ein Hinweis von Darian, dem seltsamen Jungen aus Parva, hilft ihnen weiter. Das magische Amulett, das Sonja mitgebracht hat, ist ein Schlüssel zu Nachtfrosts Aufenthaltsort. Zugleich stellt sich heraus, daß das Amulett einen neuen Träger gewählt hat: es ist Sonja. Doch diese Erkenntnis verblaßt angesichts der Tatsache, daß sie das Gestüt der seltsamen Frau tatsächlich finden. Ohne lange nachzudenken, radeln Darian, Sonja und Melanie mitten in der Nacht dorthin.


    Ihre wenig durchdachte Fahrt, die Melanie in einem Anfall akuter Eifersucht noch krönt, als sie versucht, auf Nachtfrosts Rücken zu springen, bringt die Kinder nicht nur zurück nach Parva, sondern auch in die höchst seltsame Welt der Brückenwächterinnen, die die Wege zwischen den Welten überwachen.
    Während Sonja versucht, das Amulett an seinen Bestimmungsort zu bringen, treffen Melanie und Darian die Weißen Schwestern, Isarde und Idore, Herrscherinnen über einen sehr unheimlichen Pilzwald unter der Nebelbrücke. Die Schwestern sind nichts weniger als Hexen und ihre Absichten sind nicht die besten. Melanie steht vor einer echten Herausforderung und sie muß Folgen ihrer Entscheidungen tragen, mit denen sie nie gerechnet hätte.


    Sonja hat derweil eine zweite Begegnung mit dem unheimlichen Mann vor sich, der sie schon im ersten Band unbarmherzig verfolgte: der Spürer, ein früherer Gefolgsmann des Königspaars von Chiarron, den Eltern Darians. Aber das Königspaar ist verschwunden, und der Spürer scheint der neue Herrscher zu sein. Sonja kann sich mit Nachtfrosts Hilfe in letzter Minute retten, aber sie steht vor einer schrecklichen Wahl: der Krieg gegen die Nomadenvölker Parvas muß verhindert werden, und nur sie kann das Amulett tragen, das eben dazu gedacht ist. Zugleich weiß sie, daß sich Melanie und Darian in großer Gefahr befinden und Hilfe brauchen.


    Der zweite Band der Serie Einhornzauber um Sonja und das schwarze (!) Einhorn Nachtfrost beginnt holprig. Das harmonische Nebeneinander der beiden Welten, Alltag hier, Fantasy da, das im ersten Band so gut gelang, kommt hier nicht zum Tragen. Es wird deutlich, daß der Autorin vor allem an ihrer Fantasy-Welt liegt. Diese gelingt dafür umso besser.
    Die Welt der Brückenwächterinnen und überhaupt die Frage, wie die Nebelbrücke entsteht, was Einhörner damit zu tun haben, und wie die Aufgaben der Wächterin beschaffen sind, sind originell gestaltet und spannend ausgedacht.
    Isarde und Idore geraten dabei bedrückend und ziemlich unheimlich. Zugleich gibt es Raum für Verständnis und ein wenig Mitgefühl für die beiden. Ihre Geschichte ist auch sehr gut mit den anderen Ereignissen verknüpft, die Betrachtungen über Tore, über Anfang und Ende und das, was dazwischen liegt, fesselt kindliche Leserinnen ganz bestimmt. Es enthält überdies den einen oder anderen Satz, der auch bei Erwachsenen hängenbleiben kann. Schleichend gruselig ist die Beschreibung des Pilzwalds, mit der Luft voller Sporenstaub und dem ewigen rötlichen Dämmerlicht.


    Spannend auch die Reise Sonjas, wenn das auch eher der herkömmlichen Action entspricht. Schön die Wiederbegegnung mit den Elarim, sehr überzeugend die Schilderung des Winterlagers und der Winterlandschaften überhaupt. Da wurde mit viel Liebe gemalt.
    Nicht zufrieden war ich damit, daß Elri und Lorin zum zweitenmal auf einer Reise mit Sonja stranden. Die beiden, die eigentlich vielversprechende Figuren sind, kommen einfach nicht aus ihrer Komparsenrolle heraus. Dafür gibt es in Sonjas Handlungsstrang einen Cliffhanger, der entschieden bemerkenswert ist. Einfach, oft gelesen, aber höchst wirkungsvoll eingesetzt. Ich gestehe, daß ich frustriert aufgestöhnt habe, als ich die Seite umblätterte.


    Komparse bleibt letztlich auch Darian. Er kommt einem weder wie ein Prinz noch wie ein Bote von Chiarron vor. Bei Melanie war die Entwicklung recht überraschend, ihre Eifersucht und ihr Verwöhntsein hätte man mit Leichtigkeit von Anfang an in diese Geschichte einbauen können, ja, müssen. Nun muß man sich mit Anbehauptungen retten, wo man wunderschön hätte zeigen können. Das holpert nicht nur beim Lesen, da läßt auch immer wieder Spannung wegfließen.


    Ebensowenig zufrieden war ich mit der Sprache und zwar vor allem bei der Gestaltung der Dialoge. Sie sind fast hölzern, an der Sprechsprache orientiert. Sätze wie: Guck nach vorne! Wenn Nachtfrost plötzlich über eine Schlucht springt, fliegst du runter! (S. 147) kann man sagen, aber in einem geschrieben Text haben sie nichts zu suchen. Und dann noch in einem Fantasy-Roman!
    Die Dialoge sind zudem voller Füllwörter, nicht selten werden drei Sätze gemacht, wenn einer genügte. Sie haben kein Timing und kein Tempo.
    Idore und Isarde 'klingen' noch am besten, aber auch da hätte man nachlegen können. Asarié hört sich nicht an wie eine Brückenwächterin, sondern eher gelangweilt, verdrossen und nörglerisch. Der Spürer klingt nicht unheimlich, wäre die Situation an sich nicht gefährlich, würde man dem Mann kaum ein Ohr schenken. Überhaupt wird aus der Sprache wenig gemacht, es gibt keine Mißverständnisse bei fremden Gegenständen, keine Witze, keine fremden Wörter mehr. All das, was im ersten Band mit dem schönen Wort ‚Yeriye’ - Weißhaut für Sonja anklang, scheint vergessen.
    Vergessen wurden auch Hinweise auf die Kulturtechniken, das Zähneputzen wird z.B. einfach verschoben bis zur Rückkehr in den Alltag, obwohl es im ersten Band genau dazu einen interessanten Satz gab. Das und einiges mehr hätte man zeigen können.


    Insgesamt nicht so rundum gelungen wie der Einstieg in die Serie, besticht der zweite Band auf jeden Fall im Fantasy-Teil. Einhorn, Nebelbrücke, Brückenwächterinnen sind wirklich faszinierend. Es gibt gute Ideen, einige originell eingesetzte Wendungen, z.B. wie Asarié vermeidet, daß Sonjas Verschwinden aus ihrem Elternhaus bemerkt wird. Es gibt auch einiges für Pferdeliebhaberinnen, hier wird so richtig galoppiert.
    Genügend neue Rätsel tauchen auf, um die Spannung zu halten und weiter zu erhöhen, die Neugier auf den Rest der Geschichte bleibt geweckt. Sonja ist eine Heldin, die immer noch überzeugt, bei den anderen Charakteren wünscht man sich jetzt mehr. Noch sind sie fast einschichtig, bestehen aus Namen und ein paar hinzugefügten Eigenschaften. Es sind zugegebenermaßen inzwischen viele Figuren, die man im Auge behalten muß, was das Gestalten sicher nicht leicht macht.


    Trotz aller Einwände eine spannungsreiche Fortsetzung der schön ausgedachten Geschichte von Sonja und dem Einhorn Nachtfrost.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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