hat sich der autor totgeschrieben?

  • Zitat

    Ich wünsche dir viel Freude bei deinen schriftstellerischen Ambitionen.


    Ich unterliege nicht dem Irrtum in einer Liga mit Mann und Kafka zu sein und verschone daher die Welt mit meinem Geschreibsel.

  • Zitat

    Zeig mir große Autoren, die von ihren Büchern gelebt haben.


    Äh. Thomas Mann, zum Beispiel?


    Zitat

    Da unterscheiden wir uns. Du willst mit Büchern Geld verdienen und berühmt werden und Dich dem Markt unterwerfen.


    Nein. Ich will schreiben und veröffentlichen, ich arbeite da seit Jahrzehnten dran. Ich habe das große Glück, die nötige Zeit zu finden, das auch ernsthaft und ambitioniert zu tun. Ich habe einen Agenten und einen Verlag, letzterer ist glücklicherweise daran interessiert, mich weiter aufzubauen. Um Berühmtheit geht es nur in der Hinsicht, daß ich gelesen werden möchte - Grundvoraussetzung dafür, Autor sein zu wollen. Geld ist mir - aber da bin ich eine Ausnahme - in dieser Hinsicht nicht so wichtig, weil ich ein ziemlich gutgehendes Unternehmen habe. Ich unterwerfe mich dem Markt nicht, aber ich gebe Projekte auf, von denen Lektor und/oder Agent der Meinung sind, sie würden keine Käufer (primär und sekundär) finden. Will sagen: Ich schreibe nicht für den Markt, aber ich verfolge nur Projekte, die auch eine Marktchance haben.

  • Zitat

    Original von Tom


    Äh. Thomas Mann, zum Beispiel?


    Ja, aber wieviele findest Du davon. Ein Thomas Mann würde eben auch heute noch auf Anhieb Erfolg haben. Aber von solchen Leuten hast Du 5 im Jahrhundert.

  • Zitat

    Ein Thomas Mann würde eben auch heute noch auf Anhieb Erfolg haben.


    Eine sehr hypothetische Behauptung, die sich nicht beweisen oder widerlegen läßt. Der Buchmarkt ist sehr viel schneller und dichter geworden, die Anzahl der Neuerscheinungen ist exponentiell gewachsen - und die Bücher, die Erfolg haben, verkaufszahlenmäßig, sind andere.

  • Zitat

    Original von Markus_98
    Zeig mir große Autoren, die von ihren Büchern gelebt haben.


    Okay, Faulkner riet zur Berufstätigkeit im Handwerk als Ausgleich und wegen der finanziellen Unabhängigkeit, G.B. Shaw war Beamter, Gottfried Benn Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, Seneca Politiker und Liebhaber der Kaiserin ... aber:
    Fjodor Dostojewskij (in großer Not, aber trotzdem)
    Theodor Fontane (nachdem er Journalist und Theaterkritiker war)
    Jean Paul
    Vergil
    Horaz
    Ovid
    jeder antike Theaterautor (für die Aufführungen gab's kein Geld, nur für die Stücke)
    Thomas Bernhard
    Thomas Mann
    Heinrich Böll
    Herrmann Hesse
    Moliere (wurde für seine Stücke bezahlt)
    Marcel Proust (!)
    Oscar Wilde
    Walter v.d.Vogelweide
    Wolfram v. Eschenbach
    Gottfried v.Straßburg
    James Joyce (seit Ulysses)


    Reicht das? Oder sind das alles keine "Großen"?


    Zitat

    Du willst mit Büchern Geld verdienen und berühmt werden und Dich dem Markt unterwerfen.


    Eine ziemlich unverschämte Schlußfolgerung, die im gesamten Thread jeglicher Grundlage entbehrt.

  • Zitat

    Ich unterwerfe mich dem Markt nicht, aber ich gebe Projekte auf, von denen Lektor und/oder Agent der Meinung sind, sie würden keine Käufer (primär und sekundär) finden. Will sagen: Ich schreibe nicht für den Markt, aber ich verfolge nur Projekte, die auch eine Marktchance haben.


    Dann gäbe es weder einen Ulysses noch die Recherche noch irgendein Werk von Stendhal. Auch Kafka und Musil hätten ihre Hautwerke dann nie geschrieben und so ist die Liste endlos lang.

  • Zitat

    Dann gäbe es weder einen Ulysses noch die Recherche noch irgendein Werk von Stendhal. Auch Kafka und Musil hätten ihre Hautwerke dann nie geschrieben und so ist die Liste endlos lang.


    Erstens reden wir von heute, nicht vom Beginn des vorigen Jahrhunderts. Und zweitens ging es darum, aus welchen Gründen bestimmte belletristische Autoren nach ihrem Erstling - oder irgendwann - zu schwächeln scheinen. Natürlich haben literarische Ausnahmetalente immer noch ihre Chance und Position - Leute wie DeLillo, Franzen, Eugenides, Pynchon undsoweiter (Deutsche fallen mir leider nicht ein :grin). Aber den Markt und die Verkaufszahlen bestimmen diese Leute nicht.

  • Zitat

    Original von Markus_98
    Dann gäbe es weder einen Ulysses noch die Recherche noch irgendein Werk von Stendhal. Auch Kafka und Musil hätten ihre Hautwerke dann nie geschrieben und so ist die Liste endlos lang.


    Stimmt! Standhal und Musil haben von ihren Büchern (letzterer mit Unterstürzung zweier Fördervereine) geliebt.
    Aber es war ja auch nur eine schnell runtergehauene Liste, die man leicht fortsetzen könnte.


    Du glaubst ganz offenkundig an einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen "Kunst" und "Kommerz". Wie paßt denn das mit deiner Ansicht zusammen, daß sich Qualität durchsetzen würde?

  • Zitat

    Marcel Proust (!)


    Als Mitglied der Marcel Proust Gesellschaft kann ich Dir versichern, das Proust bis kurz vor seinem Tod keinen Franc für seine Bücher bekommen hat.


    Zitat


    James Joyce (seit Ulysses)


    Bei der Auflage kann das nicht viel gewesen sein, was er da bekommen hat. Das Buch wurde ja mehr unter der Hand verkauft.
    Aber er hat eben nicht davon gelebt als er es geschrieben hat, sondern war Lehrer.

  • Zitat

    Original von Tom
    (Deutsche fallen mir leider nicht ein :grin)


    No wonder!
    Der deutsche Buchmarkt ist bei Einkauf US-fixiert. Mit Lizenzprojekten kann man auf der Kostenseite besser kalkulieren als mit unfertigen Manuskripten, deshalb wird der ohnehin geringe Anteil deutschsprachiger Originalausgaben auch in den nächsten Jahren weiter sinken.

  • Zitat

    Original von Markus_98
    Als Mitglied der Marcel Proust Gesellschaft kann ich Dir versichern, das Proust bis kurz vor seinem Tod keinen Franc für seine Bücher bekommen hat.


    Fein, es war Unterstützung durch sein Erbteil und von Freunden und Förderern -- eben weil man an seine Arbeit glaubte.
    Also nicht direkt aus den Büchern verdient, aber letztendlich lebte er dennoch vom Schreiben. Wie bei Musil eben.


    Zitat

    Bei der Auflage kann das nicht viel gewesen sein, was er da bekommen hat. Das Buch wurde ja mehr unter der Hand verkauft.
    Aber er hat eben nicht davon gelebt als er es geschrieben hat, sondern war Lehrer.


    Ich schrieb ja auch "seit", da er den Lehrerjob danach m.W. aufgab.

  • Zitat

    [Stimmt! Standhal und Musil haben von ihren Büchern (letzterer mit Unterstürzung zweier Fördervereine) geliebt.


    Noch ein Irrtum :


    Als Stendhal am 23. März 1842 starb, erschien kein Nachruf in der Zeitung und auch die Würdigungsartikel blieben aus. Nur drei Personen gaben dem Toten das letzte Geleit. Keiner glaubte an den Nachruhm des Schriftstellers. Auch Prosper Mèrimèe, einer seiner besten Freunde, sprach nur zaghaft die Hoffnung aus, dass vielleicht ein Kritiker des 20. Jahrhunderts die Bücher Stendhals "aus dem Kehricht der Literatur des 19. Jahrhunderts" entdecken und sich ihnen gegenüber gerechter zeigen werde als seine Zeitgenossen es getan haben.


    Meine Biografien gehen davon aus, das Stendhal zu Lebzeiten ca. 1000 -1500 Bücher verkauft hat. Stendhal hat größtenteils als Beamter im auswärtigen Dienst gearbeitet.

  • Zitat

    Original von Iris


    Fein, es war Unterstützung durch sein Erbteil und von Freunden und Förderern -- eben weil man an seine Arbeit glaubte.
    Also nicht direkt aus den Büchern verdient, aber letztendlich lebte er dennoch vom Schreiben.


    Ist nur leider nicht wahr. Proust hat von seiner Erbschaft gelebt und sonst nichts. Von Zahlungen durch Freunde ist nichts bekannt.

  • Ich verstehe die Diskussion nicht mehr ganz. Die wenigsten Autoren haben bereits nach ein, zwei Büchern genug verdient, um vom Schreiben leben zu können - man rechnet mit 10 bis 15 Jahren nach dem Erstling, sofern der Autor kontinuierlich arbeitet und auch Interesse daran hat, vom Schriftstellersein zu leben. Mit der Politik der Verlage oder der Situation der Autoren allgemein oder im Speziellen hat das alles wenig zu tun. Übrigens glaube ich tatsächlich, daß Joyce heute keinen Erfolg mehr hätte - zu recht. :grin

  • Zitat

    Original von Iris
    O prima! Danke für die Belehrungen! [img]


    Iris, war nicht bös gemeint. Aber bei meinen Lieblingsautoren hab ich eben nicht nur die Werke sondern auch die Biographien aufmerksam gelesen.
    Und da finde ich eben immer eine gehörige Portion Idealismus. Mir gefallen eben Leute, die jahrelang an einem Buch schreiben, wo wirklich jeder ihnen sagt, das es nicht viel taugt und am Ende behalten sie recht.

  • Zitat

    Übrigens glaube ich tatsächlich, daß Joyce heute keinen Erfolg mehr hätte - zu recht. :grin


    Dann hätte wir auch keine Quarks, das wäre doch Schade.

  • Zitat

    Original von Tom
    Übrigens glaube ich tatsächlich, daß Joyce heute keinen Erfolg mehr hätte - zu recht. :grin


    I beg to differ!
    Ulysses war ein bahnbrechendes sprachliches Experiment - da kannst du sagen, was du willst. Es hat eine Menge erzählerischer Mittel wieder mal so richtig auf den Weg gebracht. Ebenso Finnegans Wake. Ulysses ist ohne eine gute Kenntnis der homerischen Odyssee und vor allem der damaligen Interpretation derselben nicht wirklich nachvollziehbar, für Finnegans Wake sollte man sich mit der Tiefenpsychologie des Zeit zwischen den Weltkriegen auskennen.
    Allerdings sind das Voraussetzungen, die heutzutage längst nicht jeder hat.


    Insofern hast du recht, daß er heute keinen Erfolg mehr hätte, er wäre nämlich anachronistisch.
    Damals war er zu recht bahnbrechend für die Literatur des 20. Jhs.

  • Zitat

    Original von Markus_98
    Iris, war nicht bös gemeint. Aber bei meinen Lieblingsautoren hab ich eben nicht nur die Werke sondern auch die Biographien aufmerksam gelesen.


    Ich bei meinen Lieblingen auch -- und zugegeben, Joyce und Proust gehören derzeit nicht dazu, was allerdings nicht am mangelnden Interesse, sondern an begrenzter Zeit liegt!


    Zitat

    Und da finde ich eben immer eine gehörige Portion Idealismus. Mir gefallen eben Leute, die jahrelang an einem Buch schreiben, wo wirklich jeder ihnen sagt, das es nicht viel taugt und am Ende behalten sie recht.


    Da können Tom und ich ein bißchen mitreden.
    Ich habe etliche Jahre Arbeit in mein Manuskript gesteckt (in das Folgeteil auch), und es hat ein paar Anläufe gebraucht, wobei ich mir sehr oft anhören durfte, daß das aus diesem oder jenem Grund nix werden kann. Auch ich habe mich nicht beirren lassen.
    Ich lasse mich immer noch nicht beirren - wenn jemand, ob Kollege, Agent oder Lektor, mich überzeugen will, daß ich etwas falsch mache, dann muß er mich mit stichhaltigen, an der Sache orientierten Argumenten überzeugen.
    Es ist die Frage, ob das Idealismus oder nur Sturheit ist ...


    Und es ist die Frage, wie lange man das durchhält, ob man nachgibt oder aufgibt, wenn der durch Verlagsinteressen erzeugte Druck zu hoch wird.


    Selbstverständlich machen Tom und ich in "Unterhaltung", und dafür schäme ich mich auch nicht. Leute wie Aristoteles und Schiller haben die "Unterhaltung" (das "Ergetzen") als "Zweck aller Kunst" beschrieben. Kunst und damit auch "Unterhaltung" ist ein Vehikel, um etwas anderes zu transportieren. Das können wirtschaftliche Interessen sein oder ethische und weltanschauliche Motive. Ein "guter Autor" will letzteres (auch wenn er es niemals zugeben würde!), seine Texte haben Metaebenen, transportieren eine Weltanschauung, keine platte 08/15-Moral, sondern stellen Fragen, beziehen sich auf andere Texte und stellen sich damit in Beziehung zur menschlichen Kultur und Kulturgeschichte insgesamt.


    BTW: Auf den ersten Blick muß man das gar nicht merken.

  • Zitat

    Mir gefallen eben Leute, die jahrelang an einem Buch schreiben, wo wirklich jeder ihnen sagt, das es nicht viel taugt und am Ende behalten sie recht.


    Das kann man ja auch unterschreiben, aber von den vielen Fällen, in denen es genau umgekehrt war, erfährt man eben wenig oder nichts. Eine solche Betrachtung an Ausnahmeexemplaren festzumachen ist irreführend. :-)


    Schreiben ist zunächst brotlos. Es mag einige wenige Autoren geben, die bereits vor der ersten Manuskriptzeile mit Vorschüssen und Verträgen bedacht werden, aber die allermeisten - damals wie heute - schreiben auf blauen Dunst, in der Hoffnung, daß es etwas wird. Das zumindest hat sich nicht geändert.