HEXENWAHN - Lyndal Roper
Englischer Originaltitel:
"Witch Craze. Terror and Fantasy in Baroque Germany"
Inhalt
Heute wissen die Historiker relativ genau Bescheid über die Zahl der Opfer, die regionale Verteilung, über den Ablauf von Hexenprozessen und über die üblichen Anklagepunkte. Was man noch immer nicht so genau weiß, ist, wie und warum eine dörfliche oder städtische Gesellschaft so grausam und brutal über meist wehrlose Opfer wie Alte und Kinder herfiel.
Genau an diesem Punkt setzt die Forschungsarbeit von Lyndal Roper ein, die sich sehr einfühlsam vor allem mit der emotionalen und psychologischen Seite dieses dunklen Kapitels an der Schwelle zur Moderne auseinandersetzt.
Sie schildert sehr anschaulich den historischen Hintergrund, die barocke Landschaft, Reformation und Gegenreformation auf deren Boden diese schrecklichen Ereignisse gedeihen konnten.
Von Verhör und Folter berichtet sie ebenso wie vom Hexensabbat, Teufelsbuhlschaft, von Kannibalismus und der Angst vor Unfruchtbarkeit und plötzlichem Kindstod, die zu diesem Wahnsinn nicht unwesentlich beitrugen.
In der Zeit nach dem 30jährigen Krieg war das Land längst ausgeblutet. Mißernten, Krankheit beim Vieh, zu viele oder zu wenige Nachkommen konnten eine Familie ins Elend stürzen, während der Nachbar vor größerem Unglück verschont blieb.
Wer war dafür verantwortlich? Dem lieben Gott durfte man keinen Vorwurf machen, an ein blindes Geschick wollte man nicht glauben, also mußten die Mächte der Finsternis Schuld daran sein.
In den zwei Jahrhunderten der Hexenverfolgung wurden Männer, Frauen und Kinder Opfer dieses blindwütigen Hasses. Eine Gruppe war der Verfolgung jedoch besonders ausgesetzt: ältere Frauen, die keine Kinder mehr bekommen konnten.
Warum sie besonders leicht in den Verdacht der Hexerei gerieten, erfährt der interessierte Leser in diesem wissenschaftlich fundierten und doch außerordentlich gut lesbarem Buch.
Die Autorin
wurde 1956 in Melbourne geboren und lehrt als Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit am Balliol College der Universität Oxford.
Ihr Forschungsschwerpunkt liegt in der deutschen Religions- und Sozialgeschichte zwischen 1450 und 1750, besonders in der Geschichte des Hexenwahns. Ihr Buch wurde 2005 mit dem Roland Bainton Prize for History ausgezeichnet.
Meine Meinung
Mich hat das Buch begeistert, weil es sich einem dunklen Kapitel unserer Geschichte mit äußerster Objektivität nähert. Selbst grausame Foltermethoden versteht Lyndal Roper so darzustellen, dass sie für den Leser erträglich sind.
Von Anfang an bemüht sich die Autorin Schritt für Schritt aufzuzeigen, wie sich der Hexenwahn entwickeln konnte, welche historischen und gesellschaftlichen Komponenten zu diesen unvorstellbaren Ereignissen führten.
Neu war für mich die Sichtweise, dass es bei den Prozessen von Seiten der Richter kaum jemals zu zynischen Verhaltensweisen kam. Gebildete und intelligente Männer, wie Juristen und Kirchenfürsten, glaubten allen Ersntes daran, dass sie der "Hexe" ihres Seelenheiles wegen ein Geständnis entlocken mußten, und sei es um den Preis der Folter. Nur dann war Vergebung und Erlösung im Jenseits denkbar. In einigen Prozessakten wird auch erwähnt, dass sich die vermeintliche Hexe dem Richter oder auch ihrem Henker gegenüber als dankbar erwies.
Prozesse werden anhand der schriftlichen Aufzeichnungen nachvollzogen und behutsam setzt sich Lyndal Roper mit der Psychologie der Angeklagten auseinander.
Ein Kapitel ist all den unglücklichen Kindern gewidmet, die dem Hexenwahn zum Opfer fielen, ehe im 18. Jahrhundert das Licht der Aufklärung auf die noch glimmenden Scheiterhaufen fiel.
Den Rat der Autorin, diese furchtbaren Ereignisse nicht aus der Sicht des aufgeklärten Menschen der heutigen Zeit zu beurteilen, sondern in die alptraumhafte Vorstellungswelt des 16. und 17. Jahrhunderts einzutauchen, sollte man unbedingt beherzigen, wenn man die Realität, in der unsere Vorfahren ihr Leben meistern mußten, auch nur annähernd verstehen möchte.
Die Bemerkung von Lyndal Roper im Anhang, dass Holger Fock und Sabine Müller eine Übersetzung geschaffen hätten, die besser als das Original sei, zeugt vom Humor und der Bescheidenheit der Autorin.