Innen sieht es anders aus - Christine Biernath (ab. ca. 13)

  • Bei einem Stadtbummel während einer Freistunde trifft die fünfzehnjährige Svenja Mike. Er hängt bei einer Gruppe von ‚Punkern’ herum. Seine gefährlichen Freunde, sein blaugefärbter Irokesenschnitt und seine ablehnende Meinung zur Konsumgesellschaft beeindrucken Svenja sofort. Genauso denkt sie doch auch! Immer geht es nur ums Geld. Das macht alles kaputt. Im Überschwang einer ersten, milden Teenager-Rebellion trifft sie sich weiterhin heimlich mit Mike, ihrem neuen Helden.
    Als ihre Eltern dahinter kommen, reagieren sie aus Sorge übermäßig heftig. Svenja bekommt völlige Kontaktsperre und wird zu Beginn der Sommerferien zusammen mit ihrer Schwester, der elfjährigen Katinka, zu den Großeltern verfrachtet. Dort trotzt sich Svenja durch die Tage, bis ein Unglück geschieht. Katinka ertrinkt.


    Die Familie wird mit dem Schock nicht fertig. Jeder verkriecht sich mit seinem Problem. Svenja erwischt es böse, sie gibt sich die Schuld an Katinkas Tod. Immer stärker redet sie sich ein, daß auch die Umwelt sie für schuldig hält. Als sie durch Zufall Mike wiedertrifft, ist dieser endgültig ein Opfer seiner Drogensucht geworden. Auch das bezieht Svenja nur noch auf sich. Wäre sie bei Mike geblieben, hätte sie ihn retten können. Und Katinka wäre nie in die Nähe des Waldsees gekommen.
    Die Schuldspirale dreht sich weiter.


    Als die Schule wieder beginnt, hat sich Svenja von allen zurückgezogen, überall sieht sie nur vorwurfsvolle Blicke. Erst Oliver, der Neue in der Klasse, schafft es, einen vorsichtigen Kontakt zu Svenja aufzubauen. Außer ihm hat sie nur ihr Tagebuch, in das sie wenigstens ihre Gefühle notiert. Es muß aber fast ein zweites Unglück geschehen, ehe Svenja endlich klar wird, wie sehr sie sich geirrt hat.


    Dieser Jugendroman, 2005 erschienen, ist der erste Roman von Christine Biernath. Er ist sehr spannend erzählt, atmosphärisch dicht. Svenja, der Ich-Erzählerin, in ihrem Elend und den Schuldgefühlen zu folgen, ist stellenweise sehr bedrückend. Zudem drückt sich die Autorin nicht davor, die Beerdigung Katinkas und die weiteren Besuche am Grab zu schildern. Das geschieht ganz ohne Kitsch, eindringlich und recht überzeugend.


    Dennoch bin ich nicht ganz zufrieden mit diesem Buch. Seine Botschaft ist eindeutig und wird auch oft genug wiederholt: Redet miteinander, Leute! Wenn man sich nur anschweigt, entstehen Mißverständnisse, und die können tödlich enden.


    Die Lösung für Svenjas Probleme aber ist nur Oliver, und der ist leider ein Ritter in schimmernder Rüstung. Er kann alles, er weiß alles, er ist in neun von zehn Fällen zur Stelle. Natürlich ist er nicht nur gut in der Schule, er ist auch vorbildlich sozial, in seiner Freizeit hilft er im Jugendzentrum bei der Hausaufgabenbetreuung türkischer Kinder. Natürlich liebt er Svenja. Natürlich gibt er ihr Mathe-Nachhilfe. Natürlich ist er nicht auf Geld und Konsum versessen. Natürlich hat er ein schreckliches Schicksal - sein Vater erträgt die Scheidung von seiner Mutter nicht und verfolgt die Familie. Aber Oliver steht unverdrossen mit Jacke oder Kakao bereit, wenn Svenja ins Zittern gerät.
    Es ist einfach zu schön, um wahr zu sein.


    Dadurch wird die Botschaft: ‚Redet miteinander’ verwässert durch eine zweite Botschaft: irgendwo wartet ein edler Ritter, der auf die genau richtige Art zuhören kann und dann umgehend hilft. Was aber passiert, wenn man nur wartet und kein Ritter erscheint?
    Gesprächsangebote von anderer Seite fehlen. Die Klassenkameraden akzeptieren Svenjas Haltung ohne auch nur den Versuch zu machen, mit ihr zu reden, nicht einmal Ansätze einer Klassengemeinschaft scheinen zu existieren. Die beste Freundin ist mit einer neuen Liebe beschäftigt. Die LehrerInnen interessieren sich nur für den Unterrichtsstoff und die Noten. Auch der Pfarrer taucht nicht auf, dabei soll Svenjas Familie gut in der Gemeinde integriert sein, ihre Mutter arbeitet im Gemeindebüro. Da hat mir doch einiges gefehlt.


    Mit Maßen gelungenes Mädchenbuch zu einem sehr harten Thema, dem Tod eines Geschwisterkinds. Gut formuliert, atmosphärisch, die Hauptfigur ist überzeugend, aber das Ganze ist durch den edlen Ritter dann doch romantisch geraten. Mit dieser Einschränkung aber durchaus zu empfehlen.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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