Carl Hanser Verlag, 2008
Gebundene Ausgabe, 609 Seiten
Handlung:
Von mitreißender Vielfalt und erzählerischer Kraft: Asger Weidenfeldt, ein junger, erfolgreicher Fernsehjournalist in Berlin, spürt, dass er das wirkliche Leben verpasst. Er legt eine Pause ein, fährt zurück in die Heimat, wo seine Mutter Clara, eine gealterte Schauspielerin, vom vergangenen Ruhm zehrt. Als Clara zur Rückkehr des verlorenen Sohns ein großes Fest organisiert, prallen die Generationen, Lebensentwürfe und Träume aufeinander. Es kommt zur Explosion. Ein grandioser Gesellschaftsroman von einem der derzeit provokativsten, kraftvollsten Autoren in Deutschland. Niemann nimmt in den Menschen eines Dorfes das Ganze unserer Gegenwart in den Blick.
Zum Autor:
Norbert Niemann, 1961 in Niederbayern geboren, studierte Literatur, Musikwissenschaft und Geschichte. Seit 1997 lebt er als freier Schriftsteller in Chieming am Chiemsee. Für seinen ersten Roman Wie man’s nimmt (Hanser, 1998) erhielt er den Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preis. 2001 erschien sein zweiter Roman Schule der Gewalt und 2003 Inventur (Deutsches Lesebuch 1945–2003, mit Eberhard Rathgeb
Rezension:
Dem ersten Kapitel ist ein langer Prolog mit verzwickten Schachtelsätze und unklarer Handlung vorgestellt, um erst einmal alle unentschlossenen Leser abzuschrecken.
Ein zu frühes Aufgeben wäre aber schade, denn es beginnt dann eigentlich sehr schnell sehr interessant zu werden. Das resultiert aus den Figuren, die eingeführt werden, ihre Dialoge und wie sie zueinander stehen. Eine spannungsgeladene Atmosphäre ist allgegenwärtig.
Als Schauplatz dient das ländliche Vössen, provinzielles Dorfidyll. Hier wohnt die ehemalige Schauspielerin Clara Weidenfeldt, eine fast sechzigjährige Diva irgendwo zwischen Marlene Dietrich und einer Ava Gardner des Neuen Deutschen Films.
Ihr Sohn Asger hatte sich im Streit von ihr abgewendet und kehrt jetzt zurück.
Eine weitere wichtige Figur ist der Bürgermeister Franz Stegmüller, eine gewaltige Figur von Umfang und Wirkung.
Der vom Tagesspiegel angebotene Vergleich des Autors zu Martin Walser ist nicht so schlecht, da Norbert Niemann ebenfalls sprechende Namen verwendet, wie z.B. Frau Nüsslein, die Sekretärin des Bürgermeisters und da auch konzeptionell ähnlich wie Walsers Werk gestaltet. Das Niemann auch von Nebenfiguren wie Frau Nüsslein und ihrer Tochter Maya die komplette Biographie erzählt, rechtfertigt den erheblichen Umfang von über 600 Seiten des Romans.
Die essayistischen Einschübe (Was ist Gegenwart?...) hingegen waren für meinen Geschmack zu ausführlich. Dabei ist Norbert Niemann durchaus ein großer Essayist, auch in diesem Buch, nur hält es hier manchmal etwas auf.
Ein wirklich beeindruckender Abschnitt sind die Beschreibungen des Festes in den Kapiteln „Die offen Gesellschaft und ihre Feinde“, in denen zahlreiche Personen aufreten, Gesprächsfetzen hin- und herflirren und verschiedene Interessengruppen aufeinanderprallen. Das hat fast etwas von Proust und ist visuell fassbar wie die lange Ballszene in Viscontis Der Leopard.
Es überrascht mich nicht, dieses Buch als einen der Kandidaten für den deutschen Bücherpreis zu sehen. Vielleicht sogar als ein Favorit.