Grimble 1968
Die Information, daß sich der Fischer Verlag entschlossen hat, die Geschichten über den kleinen Jungen mit dem seltsamen Namen Grimpel in einer neuen Reihe mit sog. Klassikern aus dem Kinder - und Jugendbuchbereich wieder aufzulegen, hat mich veranlaßt, nach Grimpel zu stöbern. Es fand sich auch, das knallige Rot des Einbands, gleich dem englischen Original, ist nicht zu übersehen. Das Grün, für das sich der Fischer Verlag für die Neuausgabe entschieden ist, wirkt recht gedämpft dagegen.
Die Geschichte von Grimpel ist eine sehr eigenartige Geschichte, schräg, abseitig, skurril. Diese Eigenschaften hat sie sich bis heute erhalten. Etwas Vergleichbares ist schwer zu finden.
Grimpels Name ist sein richtiger Name, keine Abkürzung und kein Spitzname. Sein Alter kann er nur ungefähr angeben, seine Eltern wissen es nämlich auch nicht genau. Sie feiern seinen Geburtstag durchaus, z.B. wenn sie daran denken. „Gestern warst du etwa achteinhalb, aber die Bäckerei war schon zu.“ Das ist Grimpel schon gewöhnt.
Was ihm gar nicht gefällt, ist, daß seine Eltern immer wieder plötzlich verreisen. Vor der Schule sind sie nicht da, bis er nach Hause kommt, sind sie verschwunden. Wie jetzt. Dafür steht der Globus auf dem Wohnzimmertisch und in Peru steckt ein Fähnchen. Alles klar, Mama und Papa sind in Peru.
Damit Grimpel auch zurecht kommt, haben sie überall im Haus Zettel verteilt, auf denen steht, was Grimpel essen soll (IM KÜHLSCHRANK IST TEE) und daß er bloß nicht vergessen soll, sich hinter den Ohren zu waschen.
Dann gibt es noch die Notfall-Liste mit Namen von fünf Freunden der Familie, an die Grimpel sich wenden kann, wenn er etwas braucht. Ach, ja. Grimpel seufzt. Was er braucht, das ist Mama und Papa, aber da sie nun mal in Peru sind, muß er eben das Beste aus der Lage machen.
Das macht er auch. Das Resultat sind sechs (wenn ich recht gezählt habe) gut eingekleckerte Herde und Küchentische, drei meisterhaft wackelige Gedichte, sechs glückliche Katzen, die Kokosmilch aufschlecken dürfen, zwei selbstzusammengemanschte Torten und eine beträchtliche Zahl von Zetteln, Briefen und Telegrammen. (Von und nach Peru). Weder zuhause noch bei den Freunden seiner Eltern trifft Grimpel nämlich jemals jemanden an. Immer muß er sich selbst etwas zum Essen kochen. Zum Aufräumen ist nie Zeit, er muß schließlich pünktlich ins Bett.
Die Schule ist das einzig Stabile in Grimpels Dasein. Er liebt sie, weil dort alles einen klaren Ablauf hat. Das Schulessen ist scheußlich, aber es steht pünktlich auf dem Tisch und, das ist wichtig, jemand anders hat es gekocht. Die Lehrer benehmen sich zwar seltsam, meist stellen sie eine Aufgabe und schlafen dann selig ein, aber sie sind da. Im Unterschied zu Grimpels Eltern. Auf die Schule kann man sich eben verlassen.
Das Beste aber ist, daß seine Eltern nach fünf Tagen wieder da sind, an seinem ungefähr zehnten Geburtstag.
Auf seine Art ist Grimpel ein echtes Produkt der späten Sechziger, Anarchie gemischt mit dem, was man als ‚britischen Humor’ bezeichnet, exzentrisch-skurrile Blicke auf das Dasein. Nicht selten grotesk.
Es gibt wunderbare Szenen aus dem Alltag, etwa, wenn Grimpel mit seinem Vater Zeitung liest oder wie die Schulputzfrau vermeidet, Hustenbonbons zu essen, oder Abseitiges wie die Heeresdienstvorschrift für Eier. Das Buch quill über vor Einfällen.
Beeindruckend fand ich die Konsequenz, mit der Autor seinen Protagonisten fünf Tage in einer Welt leben läßt, in der Erwachsene fast völlig abwesend sind. Selbst die Lehrer schlafen. Und wenn sie wach sind, hören sie nicht zu.
Zugleich ist es keine Welt aus Kinderaugen. Es sind vielfach Verrücktheiten, die eher Erwachsenen einfallen. Einiges an Anspielungen und Witzen verstehen Zehnjährige sicher nicht.
Mir selber hätte das Buch als Kind nicht besonders gut gefallen, es wäre mir zu verdreht gewesen, als erwachsene Leserin kann ich ihm einiges abgewinnen. Sehr gelungen sind die Zeichnungen, es macht Spaß, Grimpel bei seinen tapferen Bemühungen zuzusehen, die Tage zu überleben. In jedem Alter, würde ich sagen.
Sechs Jahre nach dem ersten Buch, ließ Freud ein zweites Buch über Grimpel folgen, mit Weihnachtsabenteuern. Auch diese sind in der Neuauflage bei Fischer enthalten, sowie im Anhang die Rezepte zu den Torten, die Grimpel, nun, äh, bäckt. Offenbar kann aus den Rezepten wirklich etwas werden, Freud hat auch als Koch gearbeitet und Restaurants besessen.
Grimpel - das ganz andere Bucherlebnis. Zum Wiederentdecken empfohlen.