„Grüße und Heil dem lieben Volbertus, Prior im Kloster N., von seinem treuen Vetter Lupus.
Die Feder sträubt sich, Dir dieses Abenteuer zu schildern, das Odo und ich, die Kommissare des mächtigen Königs Karl, im Land der Sachsen erlebt haben.“
Glücklicherweise sträubt sich Lupus’ Feder nicht wirklich und so kommen die LeserInnen in den Genuß des zweiten Abenteuers von Odo von Reims, dem tapfersten aller Ritter, und Lupus, dem Geistlichen und Juristen, der sich nicht minder tapfer der Verderbtheit der menschlichen Seelen entgegenstemmt.
Dieses Mal geht es mitten hinein ins verrufene Sachsen. Lupus hofft vor allem, endlich Aufschluß über den Verbleib des Missionars Theofried zu erhalten, den er kannte und für dessen Glaubenseifer er schwärmt. Seine Schwärmerei war ja der eigentliche Anlaß dafür, daß sich Lupus vergaß, als König Karl die Aufgaben an die Kommissare verteilte, und er sich freiwillig für Sachsen meldete. Noch aber befinden sich die tapferen, wenn auch wegen des Wetters und der bis dato erbärmlichen Herbergen mißgelaunten Kommissare diesseits der Weser. Zu ihrer Laune trägt es nicht gerade bei, daß ihnen der Fährmann vor der Nase davonfährt.
Zur Anlegestelle gehört aber auch eine Herberge, und die Frau des Fährmann erinnert Odo doch sehr an seine heißgeliebte Verlobte, Prinzessin Rotraut, Tochter König Karls. Zwar weiß Rotraut nichts von ihrem Glück und auch der König nicht, den Odo im Vorgriff auf spätere familiäre Beziehungen schon liebevoll ‚der Alte’ nennt, aber das tut Odos Überzeugung keinen Abbruch. Noch hemmt es seinen Hang zum weiblichen Geschlecht.
Eine Gauklertruppe bringt Unruhe in die Herberge, und König Karls wackere Abgesandte müssen sich mit der Frage beschäftigen, ob die Gaukler Diebe sind. Sie erledigen ihre Aufgabe glanzvoll. Dadurch werden sie aber nur mit weiteren Rätseln konfrontiert. Die Gaukler erwähnen einen Priester namens Theofried, der sich allerdings eher im Zustand einer Reliquie zu befinden scheint.
Von da an ist Odo und Lupus keine ruhige Minute mehr gegönnt. Kaum am anderen Ufer der Weser angelangt, finden sie ihr Empfangskomitee, den edlen Herrn Hatto, erwürgt unter einem Baum. Sein Mörder ist schon gefaßt, es ist Hattos Knecht Erk.
Die Hintergründe der Tat aber führen tief in die Geschichte der konfliktreichen Beziehungen zwischen Sachsen und Karl dem Großen, zwischen Heiden und Christen. Lupus kann wahrlich die abgrundtiefe Verderbtheit menschlicher Seelen studieren und Odos Nase, deren Größe Lupus nie vergißt, hervorzuheben, hat am Ende doch richtig gewittert. Mistkäfer, wahrhaftig!
Die Geschichte ist geradlinig erzählt, entsprechend der Zeit müssen Odo und Lupus allein aus dem, was sie aus Gesprächen mit allen, die sie treffen, erfahren, zusammenpfriemeln, was eigentlich passiert ist. Wie war das mit dem früheren Gauvorsteher Umm, der sich nicht hat taufen lassen und seither verbannt ist? Wie ehrlich ist Gozbert, ein alter Freund Odos? Was ist mit dem Priester Wig, dem Bruder Erks? Und wie paßt Nelda, die katzenäugige Schöne und Hattos Tochter, in die Geschichte?
Daß nicht einmal ein gräfliches Gericht Sicherheit bietet, müssen Lupus und Odo am eigenen Leib erfahren. Hätte Saxnot, gewaltiger Eichbaum und Gott gleichermaßen, der sich in aller Pracht über dem Haus des Grafen Volz erhebt, nicht eingegriffen, hätte es böse ausgehen können für die Kommissare Karls. Oder war es doch Theofried, der aus dem Reliquienschrein winkte und ihnen half, nicht als Moorleiche zu enden?
Das zweite Abenteuer von Lupus und Odo ist eine recht komplizierte Geschichte, sorgfältige Lektüre empfiehlt sich. Man kann wieder mitraten, der Autor macht es einem aber nicht leicht, dahinterzukommen, wie Vergangenheit (Aufstand gegen Karl und die nachfolgende Welle der (Zwangs)Bekehrungen) und Gegenwart (Sachsen als fränkische Kolonie) ineinanderspielen. Es geht um Betrug und Selbstbetrug. Glaube in unterschiedlichsten Ausprägungen, von dem an höherer Mächte bis zu dem an die eigenen Rechte sind das Thema.
Aber kann jemand im Reich der Franken ein Großer werden, wenn er nur auf dem Pfad der Tugend wandelt?’ fragt Lupus gramvoll seinen Vetter Volbert. Nur um rasch hinzuzufügen (Diese Stelle zeige bitte nicht Deinem Abt!)
Ein klassischer Krimi, die Spannung entsteht vor allem beim Sammeln der Hinweise, aus denen sich das die Lösung des Rätsels ergibt. Es ist witzig geschrieben, grenzt zuweilen ans Deftige, wobei der gute Geschmack stets gewahrt bleibt, schließlich spricht hier ein Geistlicher! Manche Szenen sind richtig packend, darunter der Auftritt der Gaukler. Die Figuren sind erstaunlich lebendig, ein Namensverzeichnis am Ende hilft, den Überblick zu bewahren. Odo und Lupus wachsen einem schnell ans Herz.
Der historische Hintergrund ist unaufdringlich, aber sehr solide. Die Schilderungen sind nie belehrend, Gordian schafft eine, wenn auch zunächst fremdartig anmutende, eigene Realität.
Zum echten ‚Cozy’ fehlt etwas Entscheidendes, die Liebesgeschichte. Am Ende gibt es tatsächlich ein Paar, aber es ist ein sehr überraschendes. Von daher gesehen, knüpfen die Krimis von Gordian an die ältere Krimi-Tradition an.
Für die, die es ein wenig gemächlicher mögen, eine wirklich gute Empfehlung.