Das Regenorchester - Hansjörg Schertenleib

  • Das Regenorchester, Hansjörg Schertenleib, Aufbau Verlagsgruppe, Berlin 2008, ISBN 978-3-351-03237-1


    Zum Autor: lt. Klappentext
    Hansjörg Schertenleib, 1957 in Zürich geboren, lebte in Wien und London, seit 1996 in County Donegal in Irland und seit 2005 zeitweise auch wieder in Zürich. Er schrieb Hörspiele, Theaterstücke, Gedicht- und Erzählbände sowie Romane, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Sein Bestseller „Das Zimmer der Signora erhielt 1995 den Kranichsteiner Literaturpreis, für „Der Papierkönig“ wurde ihm der ndl-Literaturpreis verliehen.


    Meine Meinung:
    Nachdem es dieses Jahr doch nicht mit dem geplanten Irland-Urlaub geklappt hat, mußte ich doch wenigstens ein Irland-Buch lesen und griff zu dem Roman mit dem stimmungsvollen Titel "Das Regenorchester" von Hansjörg Schertenleib.


    Knapp drei Wochen, nachdem ihn seine Frau verlassen hat, mitten in einer Phase tiefster Selbstzweifel und erheblichen Selbstmitleids, lernt ein in Irland lebender Schweizer Schriftsteller die 64-jährige Irin Niamh kennen. Niamh macht ihn zur Chronistin ihres Lebens und je mehr der Schriftsteller vom Leben der Irin in Irland und England erfährt, umso mehr gelingt es ihm seine eigene Trauer und die Zweifel aufgrund des Betrugs seiner Frau hinter sich zu lassen. Niamh erzählt ihm von ihrer vielköpfigen Familie, von ihrer deutschen Freundin, von der Liebe ihres Lebens und der Enttäuschung ihres Lebens. Bald wird er zu Niamhs Vertrauten und teilt ihre Geheimnisse und die schwerste Zeit ihres Lebens; eine Zeit, die ihm sehr viel abverlangt, gleichzeitig aber zum Neubeginn in seinem Leben wird.


    Die Geschichte von Niamh und Sean, wie ihn Niamh nennt, ist eine Geschichte über das Leben, über Liebe, Enttäuschungen, Vergebung, vor allem Vergebung sich selbst gegenüber, und das, was den Menschen ausmacht. Hansjörg Schertenleib erzählt diese Geschichte mit wohl gesetzten Worten. Worte, die schlicht aber nie nüchtern wirken und die trotz ihrer Schlichtheit tiefe Emotionen ausdrücken können. Niamh und Sean sind zwei Menschen, die schwere Enttäuschungen in ihrem Leben hinnehmen mussten, einsam sind und dennoch einen Weg finden, nicht in Bitterkeit zu verfallen. Wer den Film „Harold und Maude“ kennt, wird sich zwangsläufig an diesen erinnern. Hansjörg Schertenleib lässt insbesondere bei den Worten von Niamh immer wieder Humor anklingen, der nicht nur typisch irisch ist.


    Wenn Sean die Musik seines Lebens, das Regenorchester, gefunden hat und die letzten Zeilen verklungen sind, schlägt man als Leser das Buch zu und lauscht noch eine Weile diesen Klängen. „Das Regenorchester“ ist ein leiser, schlichter, melancholischer, warmherzig-humorvoller und sehr berührender Roman, ideal geschaffen für einen „irischen“ Tag, an dem sich Sonne und Regen abwechseln.


    8 von 10 Punkten

  • :danke für die schöne Rezension.


    Ich habe es gestern für meine Mutter zu Weihnachten gekauft. :-)
    Mit dem Hintergedanken, es auch irgendwann lesen zu können. :grin


    :wave





    :lesend Sasa Stanisic - Wie der Soldat das Grammofon repariert

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Ich habe Das Regenorchester heute beendet und bin sehr sehr angetan. Es ist ein wunderbares Buch, nicht leicht, aber sehr ergreifend.


    Ich kann es sehr empfehlen!


    LG
    Niki

  • Niamh, eine etwas ältere sehr resolute Dame erzählt einem Schriftsteller, der aus der Schweiz nach Irland eingewandert ist, ihre bewegte Lebensgeschichte. Gespickt ist das Buch immer wieder mit irischen Zitaten



    Mir hat das Regenorchester auch sehr sehr gut gefallen. Ich fand viele Sätze so schön, dass ich sie mri in mein Zitatenbuch geschrieben habe. Das Buch war melancholisch und poetisch und auch immer wieder lustig und leicht. Man hat das Gefühl selber am Strand zu stehen und zuzuschauen wie der Wal abtransportiert wird. Für mich auf jeden Fall eines meiner Lieblingsbücher.


    Geeignet für alle, die Irland und das Meer lieben und die poetische Bücher mögen


    LG Luthien

  • Niamh erzählt Sean (seinen richtigen Namen erfährt man nicht) ihre Lebensgeschichte. Ihre Kindheit, ihr Leben in London und später in Köln. Er verarbeitet in diese Zeit seine Trennung und es entwickelt sich eine innige Freundschaft.


    Ein wunderbares Buch, ich kann Pelicans Rezension nur zustimmen.

  • Zitat

    Original von vorleser
    Niamh erzählt Sean (seinen richtigen Namen erfährt man nicht) ihre Lebensgeschichte. Ihre Kindheit, ihr Leben in London und später in Köln. Er verarbeitet in diese Zeit seine Trennung und es entwickelt sich eine innige Freundschaft.


    Ein wunderbares Buch, ich kann Pelicans Rezension nur zustimmen.


    Das kann ich genauso :write

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Da war er nun, mein definitiver Irland-Klischee-Roman, verfasst von einem Schweizer Schriftsteller, der vor vielen Jahren zu seinem „Sehnsuchtsort“ Irland ausgewandert ist. Dachte ich zumindest, nachdem ich den Klappentext gelesen habe, war hier doch vom „Wunder des alten, untergegangenen Irland“ die Rede. Auch die „unerhörte Liebesgeschichte“ deutete in diese Richtung und so bedauerte ich fast, keinen Kamin zu haben, in dem ich ein kleines Torffeuerchen hätte entfachen können, während ich es mir mit diesem Buch im Lesesessel gemütlich machte.


    Die Konstruktion des Romans ist einfach: Der Ich-Erzähler, frisch velassen, hadert mit sich, seiner Ex und dem Papagei. Seit zehn Jahren lebt er schon in einem Cottage in Donegal, ist für die Einheimischen aber immer noch ein „Blow in“, ein Neigschmeckter, und nun ließ in seine Madame wegen eines anderen sitzen. Das führt natürlich zu erheblichem Selbstmitleid, und seine Überlebensstrategien als Single sind streckenweise wunderbar zu lesen, etwa der Selbstfindungskurs verlassener Männer und andere absurde Aktivitäten, die ihn, den Verlassenen, wieder ins Gleichgewicht bringen sollen.
    Parallel zu diesen Nöten erzählt ihm die alte Irin Niamh ihre Lebensgeschichte, von ihrer Kindheit in besagter untergegangenen Welt, aber oha, in diesem Buch ist weit und breit nichts zu sehen von der Böll'schen katholischen Ursprünglichkeit, vielmehr beherrschen auch hier prügelnde Lehrer und mit dem Fegefeuer drohende Priester die Kindheit zwischen Schule und Kirche. Dieser Teil ist deutlich schlichter in der Sprache, diktiert Niamh dem Erzähler doch ihr Leben (was ich jetzt erstmal nicht als besonders bewegt bezeichnen würde, aber das ist Ansichtssache).


    Vom Kontrast dieser beiden Menschen und ihren unterschiedlichen Lebenskonzepten lebt dieses Buch und erfreulicherweise werden weder das alte, noch das moderne Irland verklärt, auch wenn das Fundament dieses Romans eine tiefe Zuneigung zu diesem Land ist.


    Ach ja, falls sich mal wieder jemand über isländische Namen beschwert: eine der Protagonistinnen heißt Aoife, wie soll man denn das bitte aussprechen....

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)