Das Geheimnis des Kalligraphen – Rafik Schami

  • Verlag Hanser, Gebundene Ausgabe: 464 Seiten, August 2008


    www.rafik-schami.de


    Der Roman ist auch als Hörbuch erschienen: ISBN: 9783886989348
    Gelesen vom Autor und von Markus Hoffmann


    Handlung:
    Die bewegende Geschichte des Damaszener Kalligraphen Hamid Farst, der en großen Traum seiner Reform der arabischen Schrift verwirklichen will und nicht merkt, in welche Gefahr er sich begibt. Seine Frau Nura ahnt nichts von den großen Plänen ihres Mannes und fühlt sich vernachlässigt. Sie verliebt sich in einen Christen und verschwindet spurlos.
    Ein großer orientalischer Bilderbogen und ein Spiegel der syrischen Gesellschaft in den fünfziger Jahren.


    Zum Autor:
    Rafik Schami, 1946 in Damaskus geboren, lebt seit 1971 in Deutschland. Seine Bücher wurden in 23 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Bei Hanser erschienen zuletzt Die Sehnsucht der Schwalbe (2000), Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm (2003), Die dunkle Seite der Liebe (2004), Der Kameltreiber von Heidelberg (2006) und Damaskus im Herzen und Deutschland im Blick (Beobachtungen eines syrischen Deutschen) (2006).


    Rezension:
    Nachdem Rafik Schami mit seinem letzten großen Roman „Die dunkle Seite der Liebe“ zum ganz großen Wurf ausholte und vielleicht den Roman seines Lebens schrieb, erreicht er auch mit seinem neuen Roman ein bemerkenswertes Niveau von großer Tiefe.


    In den letzten Jahren ist er zudem als Essayist mit seinen Büchern „Mit fremden Augen, Tagebuch über den 11.September, dem Palästinakonflikt und die arabische Welt“ und „Damaskus im Herzen und Deutschland im Blick“, (das ich noch nicht gelesen habe) sehr aufgefallen.


    Da seine Romane sowohl poetische Dichte als auch politischen Gehalt besitzen, sollte man ihn nicht mehr unterschätzen. Er ist mehr als nur ein sehr unterhaltender Autor, obwohl er auf seinen für ihn typischen Stil natürlich auch in diesen Buch nicht verzichtet Das Werk der letzten Jahre hebt ihn meiner Meinung nach in den Bereich der wichtigsten deutschen Schriftsteller.
    Dabei bleibt Rafik Schami im Prinzip seinen Themen treu. Die Stadt Damaskus im Syrien der späten fünfziger Jahre mit seinem politischen Spannungsfeld, beschreibt er stark visuell und so gut, dass man es fast schmecken und riechen, aber auch fürchten kann. Ein sozialkritischer Ansatz ist klar erkennbar.


    Der Unterhaltungswert bleibt gewohnt hoch, Rafik Schami kann erzählen und fabulieren ohne in allzu viele Klischees, stets ein Risiko bei dieser Art Literatur, zu verfallen.


    Das Geheimnis des Kalligraphen beginnt mit dem Gerücht, wie die Frau des Kalligraphen ihn verlassen hat.
    Dann beginnt die Vorgeschichte mit den Protagonisten Nura und Salman als Kinder, die die Ereignisse und die Reaktionen der Erwachsenen genau beobachten und werten. Schami erzählt deren Geschichte abwechselnd. Salman hat eine schwere Kindheit, da er einen brutalen Vater hat, der ihn und seine Mutter misshandelt.
    Die beiden werden erwachsen und für Nura wird eine Hochzeit mit dem ihr fremden Kalligraphen Hamid arrangiert, aber sie kann ihn nicht lieben. Er verlangt von ihr, Kopftuch zu tragen und verbietet ihr mit Christen zu sprechen.


    Mit der umtriebigen, aber gelungenen Nebenfigur Nassri, die später auch noch ausgebaut wird, wird eine wichtige Handlung aufgebaut, die den vorgeblichen Grund für Nuras Trennung liefert und das Schicksal der Protagonisten entscheidend mit beeinflusst. Selten gab es einen größeren Don Juan in Rafik Schamis Damaskus und auch er ist Teil dieser Stadt.
    Rafik Schamis Hauptfiguren sind, wie immer bei ihm, nicht perfekt. Salam hat Segelohren und Nura war schon in früher Kindheit eine echte Büchereule. Aber sie sind in allen Belangen Menschen, die Liebenswert sind und den intoleranten, religiösen Fanatikern und der konservativen Gesellschaft entgegenstehen.
    Salam ist zum Beispiel mit einem homosexuellen Paar befreundet, die in dieser Zeit natürlich nicht akzeptiert werden. Aber auch eine Liebesgeschichte zwischen einer Muslimin und einem Christen ist riskant.


    Was mich außerdem sehr überzeugte ist die Thematik der Kalligraphie, die nicht nur die Haupthandlung mit Hamids Ambition die arabische Sprache zu reformieren, behandelt wird, sondern auch einen fast essayistisch wirkenden Exkurs in das 10.Jahrhundert liefert, in dem die historisch belegte Geschichte von Ibn Maqlas, einen großen Kalligraphen am Hof von Bagdad, erzählt wird. Die Kalligraphie genoss vor der Erfindung der Buchdruckkunst ein großes Ansehen und war Teil des Kunstgewerbes. Dieser Abschnitt ist wirklich ein kleiner Leckerbissen und dient auch zu besseren Einschätzungen der Problematik in der Haupthandlung. Auch Hamid sieht sich im Damaskus der fünfziger Jahre in seinen Ambitionen durch viele Gegner, die religiösen Fanatiker, behindert.
    Seine Reformversuche sind schon ein anderes Niveau als die gequälte Umsetzung der deutschen Rechtschreibreform.


    Erst spät im Roman wird Hamid als zentrale Figur in dem Roman erkennbar und auch seine Geschichte erzählt.
    Am Schluss des Romans gibt es noch Überraschungen und Wendungen.


    Ein Buch über die Liebe zur Sprache!

  • Herr Palomar, ich wundere mich manchmal, was Du für Schätze zu Tage förderst, auch, wenn ich es nicht jedesmal explizit erwähne, ich lese sie alle!


    :angel

    :lesend Anthony Ryan - Das Heer des weißen Drachen; Navid Kermani - Ungläubiges Staunen
    :zuhoer Tad Williams - Der Abschiedsstein

  • Vielen Dank, für diese wunderschöne Rezension.
    Das Buch subt bei mir zwar noch, nach Deiner Besprechung hier aber bestimmt
    nicht mehr lange..



    begeisterte Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

  • Zitat

    Original von Elbereth
    Vielen Dank, für diese wunderschöne Rezension.
    Das Buch subt bei mir zwar noch, nach Deiner Besprechung hier aber bestimmt
    nicht mehr lange..



    begeisterte Grüße von Elbereth :wave


    Dann mal ran! Du wirst hiermit zu meiner "Zweitmeinung" ernannt! :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Mir hat "Das Geheimnis des Kalligraphen" nicht so gut gefallen. Es liest sich locker weg und ist unterhaltsam, aber irgendwie finde ich Schami entwickelt sich nicht weiter. Seine Bücher sind alle so gleich. Außerdem geht mir sein naivistischer Sprachstil langsam auf den Geist. Die Figuren sind außerdem extrem oberflächig, mir wäre es lieber er würde sich mal wieder auf ein paar Figuren konzentrieren, und nicht immer diese Riesenpaonramen hinlegen.

  • @ Clio:


    Dein Eindruck scheint deckungsgleich mit dem des Rezensenten aus unserer Tageszeitung zu sein. Seine Begeisterung hielt sich ebenfalls in Grenzen.
    Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich bei Rafik Schamis Lesung war und keinen Beitrag hierzu geschrieben habe. Seine Lesung war grandios und der Autor stellte seine Erzählkünste erneut unter Beweis und brauchte das Publikum nicht zu scheuen.
    Was die von Dir erwähnten Panoramen betrifft, glaube ich, dass Schami nicht aus seiner Haut kann. Seine Geschichten, die Kurzgeschichten ausgenommen, sind episch angelegt und er "muss" erzählen.
    Die von Dir berichtete Oberflächlichkeit seiner Figuren kann ich nicht bestätigen. Meine Eindrücke beschränken sich allerdings nur auf den Leseabend; den Roman habe ich noch nicht gelesen.

  • Ich mag Schami auch eigentlich total. Und seine Lesungen sind wirklich toll, er ist halt der geborene Erzähler. Trotzdem stört es mich, dass er immer die gleichen Geschichten erzählt und darin immer die gleichen Figuren auftauchen.
    Vielleicht bin ich mittlerweile aber auch einfach zu mäkelig geworden. :pille

  • Und je öfter die Rafik Schami Threads hochgeholt werden und ich reinlese, um so mehr komme ich zu der Vermutung, daß mir dessen Bücher ziemlich gut gefallen müßten. (Die Lesereise führt - wie eigentlich bei allen Autoren - in großem Bogen hier vorbei.) Mal sehen, ob ich die nächste Zeit eines seiner Bücher lesemäßig einplanen kann.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Heute konnte ich das Buch in der Bücherei ausleihen und da ich nichts anderes zum Lesen dabei hatte, schnappte ich mir dieses Buch.


    Da dies mein erster Schami ist, kann ich nichts über andere Bücher schreiben. Bis jetzt liest sich das Buch wirklich sehr flüssig, im Autor steckt ein immenses Potential. Es gibt nur eines was ich mich ein bisschen "stört", dass der Autor sich manchmal etwas verzettelt. Mehr wenn ich das Buch zu Ende gelesen habe.

    Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht. (Abraham Lincoln, 12.02.1809 - 15.04.1865)

  • Ich habe das Buch fast zu Ende gelesen.


    Schami schreibt, wie sonst Geschichten in trauter Runde erzählt
    werden: Immer wieder schweift er ab von der zentralen Handlung,
    streut Rückblenden ein und widmet sich kleinen Nebenschauplätzen.
    Es gelingt ihm meines Erachtens sehr gut, Gerüche, Geräusche und
    Atmosphäre fühlbar zu machen. Man hört die Stimmen in den Basaren
    und riecht die Gewürze in den Küchen.
    Schami erzählt, wie Christen, Juden und Moslems in Damaskus
    zusammengelebt haben und das Schicksal des Kalligraphen,
    der die arabische Schrift modernisieren will, zeigt dann auch, wie
    unbeweglich die islamische Kultur ist.


    Es hat mir sehr viel Spaß gemacht dieses Buch zu lesen.