Hanser, gebundene Ausgabe, August 2008, 288 Seiten
Handlung:
Ein Vater und seine Tochter. Er hat sie nach dem Krieg als Kind in Wien verlassen und ist nach Argentinien gegangen, wo er jeden Sinn für die Realität verloren hat. Sie hat jahrelang Abbitte dafür geleistet, dass er im Krieg auf der falschen Seite stand. Jetzt, fast ein halbes Jahrhundert später, kommen beide in ihre jugoslawische Heimat zurück und finden dort ihre Vergangenheit wieder - und die eines ganzen Landes: Ein großer europäischer Roman von einer der außergewöhnlichsten Stimmen der Gegenwartsliteratur in Deutschland.
Über den Autor:
Biografie laut Verlagsseite:
1961 geboren in Mils / Tirol
Studium der Mathematik und Sprachphilosophie in Innsbruck, Stanford und Erlangen
Der Autor lebt zur Zeit in Hamburg
Rezension:
An Norbert Gstrein frühen Textes kannte man eine glasklaren und genauen Sprachduktus, den der „bequeme“ Leser fürchten konnte, doch Die Winter im Süden besitzt einen weichen, warmen und angenehmen Ton, der mir ausgesprochen gut gefällt.
Schon die ersten Abschnitte sind im Gegensatz zur inhaltslosen, jungen deutschen Literatur handlungs- und detailreich. Die Detailfülle erfordert ein genaues Lesen, gerade auch, weil doch nicht alles verraten wird.
Mann kann Die Winter im Süden als konventionell erzählten Roman lesen, aber es gibt viel Verstecktes zu entdecken und zu entschlüsseln.
Die wichtigen Eckdaten des Romans sind 1945 und 1990, obwohl die gesamte Handlung in dem späteren Zeitpunkt abläuft Die Orte sind Österreich, Jugoslawien und Argentinien.
Dieser Roman besitzt zwei Erzählperspektiven, die sich einmal auf die Protagonistin Marija bezieht und im anderen Handlungsstrang auf Ludwig, der für Marijas Vater arbeitet.
Marija und ihr Vater haben sich 35 Jahre nicht gesehen, seit er aus politischen Gründen nach Argentinien ging. Marija hielt ihn für tot.
Sie verlässt Wien und ihren Mann und geht nach Zagreb. Hier beginnt sie eine Affäre mit einem jungen Soldaten, halb so alt wie sie und spürt die Vorboten des Krieges. Hier erhält sie auch die Nachricht, dass ihr Vater noch lebt und sie sucht.
Eine große Stärke sind die Dialoge´, die kontinuierlich von einer großen Spannung unterlegt sind. Geplauder und Small Talk ist das nicht und so wird Stückchen für Stückchen mehr verraten.
Besonders die Gespräche zwischen Marija und ihren Mann oder zwischen Ludwig und Marijas Vater, der er nur den Alten nennt. Ein Indiz für die Distanz, die die Figuren zueinander haben. Der Leser wird in diese Distanz einbezogen. Man liest zunächst einmal neutral, zudem die Protagonisten auch keine besonders guten Identifikationsfiguren darstellen. Ludwig ist z.B. manchmal ironisch, als ehemaliger Polizist hat er eine verhängnisvolle Affinität zu Waffen. Marijas Vater ist vielleicht, wahrscheinlich sogar ein Kriegsverbrecher und Antisemit.
Norbert Gstrein überzeugt in diesem Roman durch eine geschickte Struktur, auch wenn der spätere Verlauf und das Ende nicht unbedingt alle Lesererwartungen erfüllt.
Die Winter im Süden sind schrecklich, sagt einer der Protagonisten im Roman.
Das mag sein, dieser Roman ist es aber nicht. Er ist vielschichtig und faszinierend zu lesen.