Idylle mit ertrinkendem Hund – Michael Köhlmeier

  • Verlag: Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, August 2008, 109 Seiten


    Kurzbeschreibung von der Verlagshomepage
    Alter Rhein. Zwei Männer spazieren am Ufer entlang, ins Gespräch vertieft. Es ist tiefer Winter, die Seitenarme des Flusses sind zugefroren, doch der Föhn spielt Frühling, es taut. Von weitem sehen die beiden einen großen schwarzen Hund über das Eis auf sie zulaufen. Plötzlich bricht er ins Eis ein. Der Hund kämpft um sein Leben. Einer der Männer holt Hilfe. Der andere, er ist Schriftsteller, bleibt alleine mit dem Hund. Er bricht einen großen Ast von einer Weide und kriecht auf diesem zu dem Hund. Er fasst ihn an den Vorderläufen. Der Hund verbeißt sich in seinem Ärmel. Er wird den Hund nicht retten können. Doch der Tod hat vor einigen Jahren eine so tiefe Wunde in sein Herz geschlagen, dass er ihm unter keinen Umständen dieses Leben überlassen will. Er hält den Hund verzweifelt fest, auch als der sich schon längst nicht mehr rührt. Michael Köhlmeier kann, was nicht viele können: in einer ganz kleinen Geschichte eine ganz große erzählen.


    Über den Autor
    Michael Köhlmeier, geboren 1949, wuchs in Hohenems/Vorarlberg auf, wo er auch heute lebt. Für sein Werk wurde der österreichische Bestsellerautor unter anderem mit dem Manes-Sperber-Preis, dem Anton-Wildgans-Preis und dem Grimmelshausen-Preis ausgezeichnet.



    Rezension:
    Dieser Kurzroman hat eigentlich mehr Novellencharakter und könnte leicht eine von vielen Episoden aus Köhlmeiers Roman von 2007, dem langen Meisterwerk Abendland sein, obwohl das thematisch nicht reingepasst hätte.
    Doch immerhin, das Niveau ist ebenso hoch. Ein Autor erzählt von einem Ereignis, das seine Bekanntschaft mit seinem Lektor prägte und beeinflusste.
    Dieser Autor im Roman, der dem Autor des Romans entspricht, erzählt zurückhaltend, als Schriftsteller ist er der Beobachter und Kommentator. Die vordergründige Figur ist sein Lektor Dr.Johannes Beer, eine Figur die wirklich lebt. Manchmal macht Dr.Beer sich lächerlich, wie vom Autor bissig kommentiert, aber wie fast alles im Leben nur peinlich ist, wie schon Thomas Mann in ähnlicher Form sagte, wirkt diese Figur so stark, überlebensgroß.
    Doch der Autor holt im Verlaufe auf und das tiefgründige zeigt sich doch überlegen und interessanter, ein Ereignis der Vergangenheit, dass ihn und seine Frau Monika (Helfer) angeht, lässt ihn über eine Verarbeitung durch Literatur nachdenken.
    Die Geschehnisse in der Handlung werden teilweise so knapp wie minutiös gezeigt, dabei kommen verschiedene Erzähltechniken zum Tragen.
    Natürlich ist dieses eindrucksvolle Stück Prosa sehr autobiografisch und sollte keinesfalls unterschätzt werden. Und das Buch hat einen Langzeiteffekt, es bietet Stoff für noch langes Nachdenken!

  • Über den Autor:


    Michael Köhlmeier, geboren 1949, wuchs in Hohenems/Vorarlberg auf, wo er auch heute lebt. Für sein Werk wurde der österreichische Bestsellerautor unter anderem mit dem Manes-Sperber-Preis, dem Anton-Wildgans-Preis und dem Grimmelshausen-Preis ausgezeichnet.


    Mehr Informationen:
    Michael Köhlmeier - Eintrag in der Wikipedia
    Michael Köhlmeier - Eintrag bei perlentaucher.de
    Michael Köhlmeier - Interview zu "Abendland" mit der FAZ



    Klappentext:


    "Ich befand mich in einer Situation, in der alles
    wesentlich war, weil ich alles um mich herum
    wahrnahm, als wäre es zum letzten Mal."


    Michael Köhlmeier kann, was viele nicht können: in einer ganz kleinen Geschichte eine ganz große erzählen.



    Meine Meinung:


    Zwei Männer gehen am Rhein spazieren. Der eine Schriftsteller, der andere Lektor.
    Sie sehen einen Hund, der im Eis einbricht; der Lektor, Dr. Beer, versucht die Feuerwehr zu verständigen, während der Schriftsteller sich aufs Eis wagt, den Hund festhält, ihn zum Leben ermutigt.
    Diese scheinbare "alltägliche" Beschreibung eines Wochenendausfluges, eines Spaziergangs im kalten Winter eines unbenannten Jahres, wird zum Dialog des Autors. Nicht zuletzt über die Literatur, über Musik und Philosophie wird die eigentliche Thematik angesprochen: den Verlust der Tochter des Protagonisten, nämlich Köhlmeier selbst. Paula ist gestorben bei einem Spaziergang; ihre Freundin erlitt nur leichte Verletzungen, sie starb. Und doch, nach wie vor ist sie ein präsenter Teil dieser Familie; weder Monika, die Frau und Mutter, noch Michael, Vater und Ehemann, können sie gehen lassen. Ihr Zimmer, nach wie vor ihr Refugium, ihre Bilder, Erinnerungen an sie werden lebendig gehalten, wiederholt, geradezu akribisch eingearbeitet. Köhlmeier sieht sich nicht in Stande über den Tod seines Kindes hinweg zu kommen; er versucht über sie zu sprechen, direkt und persönlich mit Dr. Beer, schafft es aber nicht die schrecklichen Ereignisse wiederzubeleben. Sein Weg führt immer über die Literatur, in der er fiktive Gesprächssituationen skizziert:


    "Wie kann ich über den Tod unserer Tochter schreiben?"
    "Willst du denn darüber schreiben?"
    "Das möchte ich, ja."
    "Ich denke, ich weiß, wo das Problem liegt. Du bist dir nicht sicher, ob du Literatur machen willst oder bloße Erinnerung, hab ich recht?"
    "Ich will, dass sie bei mir ist. Und ich habe die Hoffnung, dass sie näher bei mir ist, wenn ich über sie schreibe."


    Köhlmeier bewahrt bei aller Nähe zur eigenen Erinnerung, zur eigenen Historie immer wieder eine reflektierende Distanz zum Leser. Er will nicht sentimentalisieren, dramatisieren, schon gar kein Mitleid erzeugen. Seine einzige Möglichkeit der Verarbeitung der Themata sieht er in der Literatur, in der Musik, nicht in der Ruhe des Schlafes oder der Entspannung. Gefühle werden nicht oder nur selten direkt angesprochen und ausgedrückt, mehr wird über Autoren und Romane als Symbole dieser Emotionen gesprochen. So z.B. zieht er einen Vergleich zum Protagonisten des Grillparzer'schen Romans "Der Traum ein Leben" Rustan, der vom Sklaven Zanga dazu verleitet wird, in seiner Naivität, seine Träume von Abenteuer und Ferne zu verwirklichen; Köhlmeier erkennt die Aussichtslosigkeit seiner Träume, so er sich doch danach sehnt von seiner Tochter zu träumen, um ihre Nähe noch einmal genießen zu können. Die Literatur ist für ihn Lebenselixier, Mittel für Distanz und näher zum Thema zugleich. So sinniert er:


    "Ich glaube an die Literatur, (...), sonst hätte ich mein Leben verfehlt..."


    Abgesehen von den offensichtlichen literarischen Beispielen, veranschaulicht er dieses gewählte literarische Leben durch zahlreiche Metaphoriken und Symbole: Der schwarze Hund, altes mythisches Symbol für den Tod (Man denke an den Höllenhund Cerberus); Dantes Inferno, der Zöllner, der den Weg bereitet (Dante Aligheris "Commedia"), Lears Narr, als welcher sich Dr. Beer sieht (Shakespeares "König Lear").


    Köhlmeier nährt sich auf vielen Wegen dem Thema Tod, der Verarbeitung und Verdrängung dieses Themas. Natürlich könnte er den Hund loslassen, weder kann er den Tod, dem Sterben dieses Tieres zusehen noch kann er verarbeiten, warum er diesem armen, vielleicht sogar undankbar wirkenden Tier helfen. Er schafft eine reflektierende Distanz zum Leser, arbeitet nur sehr indirekt dieses Thema aus und setzt die Pointe erst kurz vor Tore Schluss. Auf mich wirkt das zu distanziert, zu unpersönlich. Mehrmals wechselt er die Perspektive, sieht sich selbst nicht im Stande klar über Paula zu sprechen und schafft so eine unüberwindbare Distanz zum Leser. Das Alltägliche nimmt stark Überhand, Unwesentliches wird nicht vom Wesentlichen getrennt. Man verliert sich in Details, in den Gedanken Köhlmeiers; sein Anliegen mit diesen Werk begründet er nicht, stellt er nicht dar, veranschaulicht er nicht. Er zieht sich am Ende zurück vom Leser, lässt ihn alleine, versteht nicht ganz worauf er hinaus will. Zu viele Fragen bleiben ungeklärt, zu viele Gedanken und Gefühle unausgesprochen.


    "Eigentlich entzieht sich dieses Buch jeder Bewertung. Doch viele Leser dürften es desinteressiert zur Seite legen, bevor sich der tragische Hintergrund enthüllt.", mit diesen Worten hat die BÜCHER in ihrer vorletzten Ausgabe die Bewertung von zwei (von fünf) Sternen begründet. Ich möchte mich zu einem gewissen Teil dieser Meinung anschließen, wenn auch mit der Einschränkung, dass der Autor sehr wohl einen Stil hat, der einen fesselt. Schnörkellos, mit vielen gedanklichen Ideen, vielen interessanten Gesprächssituationen, auch ein paar ironischen Bemerkungen hält er das Interesse des Lesers, erst ab Seite 50, spätestens 60 fragt man sich, auf was er eigentlich hinaus will.
    Sprachlich bleibt das Buch sehr ruhig, sehr flüssig, unaufdringlich und erhaben. Er belässt sehr viel (zu viel) Platz für offene Gedanken und Gefühle, nimmt sich aber sehr stark raus aus der Geschichte. Das Ganze wirkt so fast ein wenig unemotional emotional - Man spürt die starke Melancholie, die große Traurigkeit, weiß sie aber nicht einzuordnen. Man spürt sehr viel Trauer, sehr viel Anspannung im Protagonisten Köhlmeier, weiß dies aber bis zur letzten Seite nicht einzuordnen; er bezieht zu selten Stellung, zu selten sieht man den Menschen Köhlmeier, nicht das Konstrukt Köhlmeier als Protagonisten eines Romans.


    Der Roman, vielleicht sogar eher Novelle, bleibt er ruhig, unaufgeregt, im festen Rahmen.
    "Ganz nett" war mein Kommentar nach der Lektüre, dabei ist es im Zuge des Diskutierens und Rezensierens des Romans auch geblieben.

    Nicht nur der Mensch sollte manches Buch,
    auch Bücher sollten manchen Menschen öffnen.
    (Martin Gerhard Reisenberg, *1949)

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  • Köhlmeiers "Abendland" war der Roman, der mich in den letzten Jahren am meisten positiv überrascht und rundum begeistert hat. Der Kurzroman bzw. eher Novelle "Idylle mit ertrinkendem Hund" nun vermag da nicht ganz mitzuhalten, ist aber auf seinen gerade einmal 100 Seiten auch nicht unbedingt ein literarisches Leichtgewicht. In seiner klaren, unaufgeregten Sprache läßt der Autor den stark autobiographisch gefärbten Protagonisten über den unaufgearbeiteten Verlust seiner Tochter Paula nachdenken und erzählt - wie es auf dem Buchrücken so schön heißt - "in einer ganz kleinen Geschichte eine ganz große".
    Tatsächlich ist eine gewisse Distanz des Autors zum Leser und auch eine Gefühlszurückgenommenheit spürbar, wie in obenstehender Rezension angesprochen; ich sehe das aber nicht unbedingt negativ: gerade dadurch, daß Köhlmeier den überaus schwierigen, sehr intimen und privaten Verlust seiner Tochter auf diese unpathetische, "entemotionalisierte" Weise thematisiert, ergibt sich eine große Eindringlichkeit, ohne daß man sich als Leser wie ein Voyeur fühlt.