Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben - Joan Didion

  • Kurzbeschreibung (Klappentext): Joan Didion erzählt von den Leitfiguren des American Dream, wie Howard Hughes, Joan Baez oder John Wayne, vom Glanz Hollywoods und der Einsamkeit Alcatraz, von der Aufbruchsstimmung der sechziger Jahre und der Ernüchterung, die ihr folgte. Dabei gelingt es ihr immer wieder, die amerikanische Wirklichkeit, die in so vieler Hinsicht auch die unsere ist, in unvergessliche Bilder zu fangen.


    Über die Autorin: Joan Didion, Jahrgang '34, arbeitete als Journalistin für große amerik. Zeitungen und war u. a. Redakteurin der Vogue. Sie hat fünf Romane und zahlreiche Sachbücher veröffentlicht, zuletzt "Das Jahr des magischen Denkens", ihr bewegendes Buch über die Trauer um den plötzlichen Tod Ihres Mannes.


    Der vorliegende Band wurde aus Texten aus zwei ver. Werken Didions zusammengesetzt. Zum einen "The White Album" (1979) und "Slouching Towards Bethlehem" (1968). Die im Buch gewählte Auswahl wurde von der Übersetzerin eigens getroffen und neu übersetzt.


    Meine Meinung:
    Joan Didion ist hierzulande nicht sehr bekannt. Umso eindringlicher appelliert Antje Rávic Strubel für ihre Prosa, insbesondere für den vorliegenden Band „Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben”. Die Übersetzerin, welche sogleich das Vorwort schrieb, wählte die Texte eigens aus „Stunde der Bestie” (1968) und „Das weiße Album” (1979) und übersetzte diese neu. Oft gehen Teile der Identität eines Buchs, gleich ob Gedichtsammlung oder Kriminalroman, beim Transferieren in eine andere Sprache verloren. Strubel unterläuft so ein Fehler nicht, hat sie doch bereits „Im Land Gottes. Wie Amerika wurde, was es heute ist” (2006) und „Das Jahr magischen Denkens” (2006) von Didion aus dem Amerikanischen übersetzt.
    Die Auswahl der verschiedenen Texte ist bunt gemischt. Auf die Reportage „Wo die Küsse niemals enden” über Joan Baez, welche auch als „Gewissen der 1960er” bezeichnet wird, folgt das Essay „Vom Sinn ein Notizbuch zu besitzen”, in dem die Autorin aus ganz subjektiver Sicht schildert, warum sie ein Fan des Notizbuches ist, und wieso es tunlichst unterlassen werden sollte, dieses für minutiöse Schilderungen des Alltags zu verwenden. Doch auch zwischen den Zeilen kann man nicht nur heraus lesen, dass die Autorin eine Abneigung gegen Klapperschlangen hegt.


    Manch anderes bringt Didion dagegen offen zur Sprache, und zwar in einer solchen Art und Weise, dass ihr allein dafür Bewunderung gebührt. Ich möchte dies an einem Beispiel demonstrieren. So schreibt die Autorin über die Selbstachtung:


    Zitat

    „Wer ohne Selbstachtung lebt, liegt eines Nachts wach, warme Milch, Phenobarbital und eine schlafende Hand auf der Decke außer Reichweite, und rechnet die Sünden auf, die durch Unterlassen oder Begehen einer Tag entstanden sind, das Vertrauen, das man verraten, die Versprechen, die man still gebrochen hat, die Talente, die unwiderruflich verschwendet wurden durch Faulheit, Feigheit oder Achtlosigkeit. Egal, wie lange wir es hinauszögern, irgendwann liegen wir doch allein in diesem notorisch unbequemen Bett, das wir uns selbst machten. Ob wir darin schlafen können oder nicht, hängt natürlich davon ab, ob wir Selbstachtung besitzen oder nicht.”


    Und drei Seiten weiter:


    Zitat

    „Ohne Selbstachtung sind wir einerseits gezwungen, jene zu verachten, die so wenig Möglichkeiten haben, daß sie mit uns verkehren müssen, so wenig Menschenkenntnis, daß sie unseren fatalen Schwächen gegenüber blind sind. Andererseits versklaven wir uns allen gegenüber, die uns begegnen, absurd entschlossen, deren falsche Annahmen von uns zu erfüllen - da unser Selbstbild hinfällig ist.”


    So ist es zum einen die abwechslungsreiche Auswahl, welche das Buch attraktiv macht. Nach einem politischen Thema, im Zuge der Analyse dessen Didion mit scharfem Blick ein genaues Bild der Wirklichkeit und der verschiedenen Strömungen zu zeichnen weiß, folgt ein ganz subjektiver Text. Scheinbar bedeutungslos, verglichen mit dem vorangegangen Themen, mit Unterdrückung und Revolte in den sechziger Jahren, und doch zieht dieser einen genauso in seinen Bann.
    Doch es ist nicht nur die Abwechslung, die dafür sorgt, dass man während dem Lesen von Didions Texten in einen Strudel gezogen wird. Aufpassen muss man hier nur, dass dieser Sog nicht dafür sorgt, dass die Sicht der Autorin auf die behandelten Themen überhand nimmt, sondern der Leser sie als eine von verschiedenen Meinungen registriert. So leicht ist es, ihrer Sichtweise zuzustimmen, so einfach ihrer Argumentation zu folgen. Antje Strubel drückt dies in ihrem Vorwort so aus:


    „Als ich während des Übersetzens ahnungslosen Freunden Didions Essays zu lesen gab, brachten sie mir die Texte mit einem verschwörerischen Lächeln zurück, als hätten sie etwas Außergewöhnliches erfahren und seien jetzt aufgenommen in den exklusiven Kreis der Erhellten.”


    In einer mal einfachen Sprache, die sich dem Thema anpasst, und mal etwas verschachtelter daher kommt, trifft Didion meist den richtigen Ton.
    Ein weiterer Faktor, der diese Autorin so lesenswert macht, ist, neben stark subjektiv geprägten Texten ihre Fähigkeit in anderen, über lange Strecken eine neutrale Position einzunehmen, um ihre Meinung am Ende dem Leser in versteckter Form, dafür aber umso deutlicher zu präsentieren. In einem Artikel über die Drogenszene in San Francisco in den 60ern enthält sie sich einer offenen Stellungnahme. Am Schluss, nachdem in einer Art WG ein dreijähriges Kind an einem Elektrokabel kaute, dadurch ein Feuer verursachte, dass aber keinen großen Schaden anrichtete, sich jedoch den Arm verbrannte, schreibt sie folgendes:


    Zitat

    „>>Du wirst brutzeln wie Bratreis<<, schrie sie ihn an. Nur Don, einer von Sue Anns makrobiotischen Freunden und einer, der auf dem Weg in eine Kommune in den Santa Lucia Bergen war, waren an diesem Morgen noch da, aber keiner bekam mit, wie Sue Ann Michael [den dreijährigen] anschrie, weil sie gerade in der Küche waren und versuchten, ein Piece von dem guten marokkanischen Hasch zu retten, das durch eine vom Feuer zerstörte Diele gerutscht war."


    Abschließend läßt sich sagen: Ein fantastisches Buch.

  • Auch von mir vielen Dank für die wirklich tolle Rezi!


    Wie Buzzaldrin habe ich auch "Das Jahr magischen Denkens" gelesen, das mich sehr beeindruckt hat. Nun würde ich gerne noch etwas von ihr lesen, wusste bisher aber noch nicht recht was. Deine Rezi hat mir jedenfalls einen guten Eindruck von dem Buch gegeben, dessen Titel ich schon sehr verführerisch finde. Jedenfalls ist das Buch auch auf meiner Wunschliste gelandet.
    .

  • Titel: Wir erzählen uns Geschichten um zu leben

    Autorin: Joan Didion

    Übersetzt aus dem Amerikanischen von: Antje Ravic Strubel

    Verlag: List Taschenbuch

    Erschienen: April 2009

    Seitenzahl: 300

    ISBN-10: 3548608914

    ISBN-13: 9783548608914

    Preis: 13.00 EUR


    Das sagt der Klappentext:

    Joan Didion erzählt von den Leitfiguren des American Dream wie Howard Hughes, Joan Baez oder John Wayne, vom Glanz Hollywoods und der Einsamkeit von Alcatraz, von der Aufbruchsstimmung der sechziger Jahre und der Ernüchterung, die ihr folgte. Dabei gelingt es ihr, die amerikanische Wirklichkeit in unvergessliche Bilder zu fassen.


    Die Autorin:

    Joan Didion, geboren 1934 in Sacramento, Kalifornien, arbeitete als Journalistin für verschiedene amerikanische Zeitungen und war u. a. Redakteurin der Vogue. Sie hat fünf Romane und zahlreiche Sachbücher veröffentlicht, darunter Das Jahr magischen Denkens. Joan Didion lebt in New York City.


    Meine Leseeindrücke:

    Man erlaube mir einige persönliche Bemerkungen zuvorderst.

    Die Sechziger und Siebziger habe ich als unglaublich aufregenden Jahrzehnte wahrgenommen. Warem die Sechziger doch das Jahrzehnt in welchem ich die Beatles live erleben durfte, es waren in meinen Augen zudem sehr politische Jahre, als Politik noch spannend war und überwiegend frei von Idioten und Dummschwätzern war.

    Da gab es keine Hohlbirnen und Nieten wie wir sie heute leider hinnehmen müssen. In der Politik gab es gescheite Köpfe wie Schmidt, Strauß, Brandt, Wehner und auch den Geist von Adenauer. Es gab nicht diese selbsternannten und mediengemachten Heiligen wie diese Greta Thunberg, ein Mädchen, welches von ihrer egomanen Mutter gesteuert und missbraucht wird – und niemand stört sich daran.

    Joan Didion ist eine unbestechliche Beobachterin und Chronistin.

    Ihre Argumente können manchmal scharf wie Messer sein und zerschneiden dummes Gefasel.

    „Didions Anti-Illusionismus reicht zu tief , dass er dort, wo Ironie und sarkastische Zuspitzung ihn nicht mehr abfedert, tatsächlich schmerzt und es ist unwahrscheinlich, dass der Kreis der Verehrer sich bald vergrößern wird. Momentan sicher nicht.“

    Es ist ein Buch das es wert ist, von möglichst vielen Menschen gelesen zu werden – was aber wohl nicht passieren wird, denn seichtes oberflächliches Zeugs hält eben immer noch unangefochten die Spitzenposition – und gerade bei diesem Buch zeigt es sich: Lesen ist eben nicht gleich lesen.

    Warum sollte man auch seine paar noch unbelasteten Gehirnzellen mit etwas Nachdenkenswerten belasten.

    Ein großartiges Buch – 9 Eulenpunkte

    Eine Zeit wird wieder lebendig – wenigstens im Geiste – die mehr sehr viel gegeben hat und die in meinen Augen wirklich großartig war. Man redete und diskutierte miteinander – und laberte nicht pausenlos dummes und überlüssiges Zeugs in den sozialen Medien – die übrigens alles andere als sozial sind.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.