Mariaschwarz (Inspektor Lukastik 02) - Heinrich Steinfest

  • Verlag: Piper
    Seiten: 316
    Fortsetzung von: „Nervöse Fische“


    Rückentext:
    Am Anfang steht die perfekte Beziehung zwischen Vinzent Olander, dem Gast, und Job Grong, dem Wirt. Der Alkohol, unter anderem ein mirakulöser Whisky von der Insel Holyhead, der täglich in Gläsern von Grong zu Olander wandert, funktioniert dabei wie eine unbefleckte Empfängnis. Doch als Grong seinen Gast vor dem Ertrinken rettet, ist die Idylle dahin. Der See, um den sich nun alles dreht, trägt den Namen Mariaschwarz. Die Einheimischen im Ort meinen, in ihm würde sich nicht nur das Weltall spiegeln, sondern auch ein Ungeheuer beheimatet sein. Als man auch noch ein Skelett am Grund jenes Sees entdeckt, tritt der Wiener Kriminalinspektor Lukastik auf den Plan. Mit famoser Arroganz und gewohnt unkonventionellen Ermittlungsmethoden stellt er Mariaschwarz gewissermaßen auf den Kopf. Doch an manchen Beziehungen gibt es nichts zu rütteln.


    Zum Autor:
    Heinrich Steinfest wurde 1961 geboren. Albury, Wien, Stuttgart – das sind die Lebensstationen des erklärten Nesthockers Heinrich Steinfest, welcher den einarmigen Detektiv Cheng erfand und mehrfach mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet wurde. „Ein dickes Fell“ wurde für den Deutschen Buchpreis 2006 nominiert. Zuletzt erschien sein Kriminalroman „Die feine Nase der Lilli Steinbeck“ und seine „Gebrauchsanweisung für Österreich“.


    Eigene Zusammenfassung:
    Das kleine nebelverhangene Nest Hiltroff, irgendwo in einer österreichischen Karstlandschaft, ist ein verschlafenes Örtchen, das nur hin und wieder von irgendwelchen Tagungsteilnehmern heimgesucht wird. Dort existiert und trinkt seit drei Jahren Vinzent Olander in der dem Hotel „Hiltroff“ zugehörigen Kneippe „Pow!“, und konsumiert dabei immer die gleiche Kombination: 2x Portwein, 2x Fernet Branca Menta, 2x Quittenschnaps und 2x Whisky von der Insel Holyhead. Derartig berechenbar kommt es dem Wirt Job Grong seltsam vor, als sein Stammgast eines Tages nicht zur gleichen Stunde wie sonst bei ihm erscheint und er begibt sich auf die Suche nach Olander. Gerade noch rechtzeitig kann er diesen aus einem mit Wasser gefüllten Loch ziehen, bevor das steigende Wasser Olander ersäuft.


    Da solchermaßen die friedliche Symbiose der beiden eh schon durch zu große Intimität zerstört wurde, ist es jetzt auch schon egal und Olander beginnt das erste mal seit drei Jahren zu erzählen was ihn nach Hiltroff verschlagen hat. Denn er ist auf der Suche nach seiner kleinen Tochter Clara, die seit einem Verkehrsunfall vor vier Jahren in Mailand verschwunden ist. Olander, der bei dem Unfall eingeklemmt wurde, sah nur wie eine Frau das Kind aus dem brennenden Auto zog, augenscheinlich um es zu retten. Doch seitdem hat er seine Tochter nicht mehr gesehen. Eine lange Spur von merkwürdigen Entwicklungen hat ihn schließlich nach Hiltroff geführt, wo er nun auf eine Offenbarung wartet. Aber als der neugierig gewordene Job sich bei der Ex-Frau von Olander nach der Sache erkundigt, hat die eine äußerst merkwürdige Antwort für ihn parat: „Vinzent spinnt, das sind alles Hirngespinste. Wir hatten nie eine Tochter.“


    Kurz darauf wird am schwarzen Mariensee von ein paar Kindern ein angebliches Seeungeheuer gesichtet und fotografiert. Der Medienhype reicht aus um ein Team von Biologen mit einem kleinen Unterseeboot nach Hiltroff zu locken. Sie entdecken auch wirklich einzigartiges am Grund des Sees. Eine bis dahin unbekannte Schneckenart und das menschliche Skelett einer Frau die einen Prothesen-Nagel mailänder Herkunft in sich trägt. Nun tritt der Wiener Chefinspektor Richard Lukastik mit seinen selbstherrlichen und sehr unorthodoxen Methoden auf den Plan um die Sache aufzuklären. Wo sind die Zusammenhänge zwischen diesen Fällen? Gibt es überhaupt einen? Und was haben kleine, aus Kunststoff gefertigte Affen-Figuren damit zu tun?


    Meine Rezension:
    Diesen Roman hätte man eigentlich fast genau so gut unter „Zeitgenössisches“ wie unter „Krimi“ einordnen können, aber da es nun mal als Kriminalroman deklariert wird folge ich dieser Vorgabe. Ich wusste nicht, dass es einen Vorgängerroman mit dem Chefinspektor Lukastik gibt, aber dieser ist auch nicht notwendig um „Mariaschwarz“ zu verstehen.


    Das erste was einem an diesem Buch auffällt, ist der sehr ungewöhnliche Schreibstil: weitschweifig und ausführlich, sich in teils absurden Details verlierend, bizarr und skurril, nichts desto trotz auch spannend und fesselnd, wenn man erst einmal in die Geschichte hineingefunden hat und durchaus auch humorvoll (wenn man die Art Humor mag). Es ist ein wenig schwer mit Worten zu beschreiben, deshalb habe ich mich entschieden hier ein paar kurze Zitate aus dem Roman anzugeben die einen recht guten Eindruck vom Gesamtstil liefern, wie ich finde:


    S. 12: „Man sah ihn aber auch den Rest des Tages nicht essen, ohne daß er darum einen abgemagerten Eindruck machte. Er war wohl eher ein Mann, der einfach aufs Essen vergaß. Und in dieser Hinsicht unverwundbar geworden war. Zumindest schrumpfte er nicht.“


    S. 32: „Die junge Frau betrachtete Olander von der Seite her, wie man einen Baum betrachtet, dessen Dicke man einschätzt. Allerdings war ihr Blick nicht ohne Sympathie. Man kann nämlich sogar Sympathie für einen Baum haben, den man umzusägen plant.


    S. 34: „Es fehlte ihr der Wille, die Welt auszulöschen. Und das ist wirklich selten bei Kindern.“


    S. 192: „Olander zwinkerte, als bemühe er sich, mit seinem Augenlid einen vorbeifliegenden Liliputaner zu zerdrücken.“


    Gerade in Bildnissen wie dem oben erwähnten mit dem Baum, charakterisiert der Autor häufig seine Figuren und zeichnet dadurch bereits einen Umriss von deren Zukunft. Die Sprache ist sowohl poetisch als auch unsinnig. Nach der ausführlichen Einführung wird dem Leser eine komplexe und sehr verschlungene Kriminalgeschichte präsentiert bei der sich ständig die Blickwinkel und Verdächtigen ändern. Dieser Teil ist spannend und man kann das Buch kaum aus der Hand legen, da man wissen will wie sich die Sache mit dem Skelett und dem zwar nicht existierenden aber dennoch verschwundenen Kind löst.


    Leider muss ich aber sagen, dass es mir im letzten Viertel des Romans einfach zu abgehoben und abstrakt wird. Ab dem Zeitpunkt als Lukastik nach Wien zurückkehrt mündet das ganze in einen philosophisch-abergläubischen wirren Mischmasch. Viele offene Fragen bleiben ungeklärt und werden als unwichtig zur Seite geschoben, immer wieder erwähnte Merkwürdigkeiten bleiben merkwürdig ohne je eine tiefere Bedeutung erhalten zu haben. Die „Maschine“ Lukastik ergeht sich lieber in der wiederauflebenden inzestuösen Liebe zu seiner Schwester als den Fall auf Faktenbasis abzuschließen.


    Fazit: Eigentlich wollte ich mir ja den Vorgänger ebenfalls zu Gemüte führen, nach Abschluss von „Mariaschwarz“ bin ich mir da aber nun nicht mehr so sicher. Über weite Strecken des Buches vermochte mich sowohl Geschichte als auch Stil absolut zu begeistern, umso enttäuschender dann natürlich dieser Absturz zum Schluss. Deshalb von mir „nur“ 7 von 10 Punkten.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Vielen Dank Paradise, für diese schöne Rezension!


    ich habe schon viel über Steinfest gehört, unter anderem das, was Du auch hier erwähnst und auch durch Zitate anführst: der durchaus ungewöhnliche Stil und der Hang zu Wortkreationen.


    Was ich durchaus positiv finde, ich bin allerdings nicht ganz sicher, denn Steinfest soll auch sehr schräg sein.
    Wie schräg ist er denn? nur ein wenig skurril oder nervig absurd schräg (falls Du weißt, was ich meine) ich bin mir irgendwie nicht richtig sicher, ob er was für mich sein könnte.. :gruebel



    unentschlossene Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

  • Er ist schon sehr skuril, aber nicht so, dass die Geschichte absolut zusammenhanglos wäre, der Krimiteil ist über die Hälfte des Buches sogar sehr spannend aufgebaut. Leider war der Schluss dann für mich das, was Du mit "nervig absurd schräg" bezeichnet hast.


    Beispiel: Lukastik trifft sich mit einem Anwalt in einer Gemäldegallerie, und der behauptet, dass hinter jedem Gemälde ein Loch wäre und die Gemälde überhaupt nur deshalb dort hängen. Und überhaupt sind hinter jedem Gemälde oder Photo an Wänden üüüüberall immer Löcher. Das mag irgendwie pseudophilosophisch gemeint sein, aber mich hats nicht erreicht. :pille

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

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  • Vielen Dank für die umfassende Rezi und die weiteren interessanten Beiträge dazu .


    Wir hatten überlegt dieses Buch für unsere kl. Gemeindebücherei anzuschaffen, aber jetzt denke ich, wir lassen das lieber. Es scheint ein wenig zu "speziell" und wird die Leserschaft einer Kleinstadtbücherei wohl nicht ansprechen.


    Prima, dass man sich hier so umfangreich informieren kann, vor allem auch über negative Aspekte.


    :wave

  • Wen interessiert schon, wer es getan hat?


    Kriminalromane erzählen zumeist von Kriminalfällen und deren Auflösung, deshalb heißen sie so. Wenn aber "Kriminalroman" und gleichzeitig "Heinrich Steinfest" auf einem Buchcover steht, sollte man das nicht unbedingt erwarten.


    Im belanglosen, meistens nebelverhangenen österreichischen Örtchen Hiltroff gibt es nicht viel Sehenswertes. Da ist ein mysteriöser See, dessen Wasser so schwarz scheint, dass er vom Volk "Mariaschwarz" genannt wird, da gibt es ein kubistisches Konferenzzentrum am Seeufer, in dem sich die Größen der Wissenschaft die Türklinke in die Hand geben. Und ansonsten? Ein etwas abgerissenes Hotel, das den Namen des Ortes trägt, und dessen Bar "POW!" seit drei Jahren allnachmittäglich von einem ortsfremden Mann namens Vinzent Oleander aufgesucht wird, der dort exakt acht Schnäpse trinkt, um das Procedere am nächsten Tag zu wiederholen. Er und der Wirt pflegen ein distanziert-ehrliches Wirt-Gast-Verhältnis, bis der eine - der Gast - eines Tages fast im See ertrinkt, um vom anderen - dem Wirt - gerettet zu werden. Quasi zum Dank erzählt Oleander dem eher unwilligen Barmann, weshalb er seit drei Jahren in Hiltroff verweilt. Oleander sucht nach seiner verschwundenen Tochter Clara, und der einzige Hinweis auf ihren Verbleib war der Name des Ortes - die letzten Worte eines sterbenden Mailänder LKW-Fahrers.


    Als Jugendliche ein vermeintliches Seeungeheuer fotografieren, interessiert sich die Welt plötzlich für Hiltroff, darunter ein Team von Biologen, die mit einem U-Boot in den See tauchen. Dort finden sie aber kein Ungeheuer, sondern - unter anderem - ein menschliches Skelett. Das wiederum ruft den Wiener Ermittler Lukastik auf den Plan, den Steinfest in "Nervöse Fische" eingeführt hat. Seine Untersuchungen führen ihn nach Mailand, an den Comer See und wieder zurück nach Hiltroff. Dort befindet sich nämlich als dritte Sehenswürdigkeit eine kleine Fabrik, in der etwas hergestellt wird, das man als "Überraschungseier für Erwachsene" bezeichnen könnte. Spätestens hier beginnt der Roman, etwas unübersichtlich zu werden.


    Aber Lukastik deckt die Zusammenhänge auf - mehr oder weniger. Irgendwann nämlich verliert er schlicht das Interesse daran, die Täter zu überführen oder jedes Detail aufzuklären. Stattdessen lässt er die Liebesbeziehung zu seiner Schwester wieder aufleben, nach siebenundzwanzig Jahren. Das ist ihm wichtiger, als letztlich herauszufinden, was es mit dieser besonderen Sammlung Ü-Ei-Figuren auf sich hat, oder alle anderen Mysterien zu lüften, die sich inzwischen um Oleander, seine Tochter Clara, das kubistische Konferenzzentrum, die Fabrik im Hinterland und einiges andere mehr ranken. Whodunnit? lautet die Grundfrage der meisten Kriminalromane. Whothefuckcares? lautet Heinrich Steinfests gegenfragende Antwort. Manchmal muss man das alles nicht wirklich wissen, oder?


    Was übrigens keineswegs bedeutet, dass "Mariaschwarz" ein uninteressanter Roman wäre. Ganz im Gegenteil. Steinfests kommentierende Erzählweise, die pro Seite ein Dutzend zitierwürdiger Sätze bietet, zieht auch hier wieder schnell in ihren Bann. Diese Sprache, die man als literarisches Genuschel bezeichnen könnte, sprachlich Vollgas, aber immer nur im ersten Gang, als wäre es schöner, den lauten, kraftstrotzenden Motor zu hören, statt schnell voranzukommen. Da wird über Thomas Bernhard geplaudert, über die immanente österreichische Bestechlichkeit, über Tourismus, Befindlichkeiten der Mailänder Szene, Linguistik, Kunststoffproduktion und was weiß ich noch alles. Enorme Dichte bei verdünnter Handlung - Steinfest eben. Ein Genuss, wenn man nicht zuvorderst daran interessiert ist, wer bei was denn nun der Täter war. Was ja auch nicht wirklich wichtig ist, denn beide - Tat und Täter - existieren ja bestenfalls im Kopf des Autors.

  • Ich bin gerade mittendrin in diesem Roman, und auch wenn mir ob des Endes ein wenig Bange ist: die Sprache ist einfach wunderbar.
    Was Tom als literarisches Genuschel bezeichnet, scheint mir Ausdruck des niedergeschriebenen Östereichisch zu sein. Auch wenn ich das gar nicht gerne höre, lesen tu ich es umso lieber.


    So, geschafft! Und ich muss sagen: so schlimm war der Schluss doch gar nicht. Natürlich hat er mich ein kleines bisschen an die Gruselgeschichten erinnert, die mein Vater uns immer abends erzählt hat. Manchmal stach ihn da der Hafer und er verwickelte sich hoffnungslos in seinen eigenen Finten und Wendungen und kam dann nur durch einen spektakulären Showdown wieder raus.


    Steinfest tut das allerdings auf höchstem Niveau, und selbst seine philosophischen Abschweifungen und seinen Beitrag zum Thomas-Bernhard-Diskurs fand ich interessant, hat es mich doch auf den Gedanken gebracht, dass in meinem Bekanntenkreis tatsächlich diejenigen Wohnungen mit Familienbildern zugekleistert sind, in denen, wenn nicht zerrüttete so doch zumindest löchrige Familienverhältnisse herrschen. Aber da ich ja bekanntlich zur Überinterpretation neige, mag es natürlich sein, dass Steinfests Löchermetaphorik gar keine ist sondern einfach nur Unsinn :gruebel


    Aber egal, wie mein Kind sagen würde, Spaß hat dieses Buch auf jeden Fall gemacht.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

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  • Das ist das erste Buch von Steinfest, das ich abbreche. Ich komme mit Inspektor Lukastik einfach nicht zurecht, bereits in "Nervöse Fische" fand ich ihn furchtbar überzeichnet und ins Groteske verzerrt, hier ist es wieder so. Schade, bis zu seinem Auftauchen war´s eigentlich ganz amüsant, aber dann wurde es immer absurder. Außerdem fehlen mir im Vergleich zu anderen Steinfest-Büchern hier ein wenig die sprachgewaltigen Abschweifungen.