Ein gesegnetes Kind, Linn Ullmann, Orig.titel „Et velsignet barn“, Übersetz. Ina Kronenberger, Droemer Verlag, 2006, ISBN 978-3-426-19734-9
Zur Autorin: (lt. Klappentext)
Linn Ullmann, 1966 geboren, zählt zu den wichtigsten Schriftstellern Skandinaviens. 1999 erschien ihr international gefeierter Roman Die Lügnerin; 2002 folgte Wenn ich bei dir bin. Für ihren dritten Roman Gnade, erschienen 2004, hat sie mehrere Preise erhalten. Ihr neuestes Buch Ein gesegnetes Kind stand wochenlang auf der Bestsellerliste in Norwegen. Linn Ullmanns Bücher sind in 30 Sprachen übersetzt. Die Autorin ist verheiratet und lebt mit ihrer Familie in Oslo.
Meine Meinung:
Linn Ullmanns Roman „Ein gesegnetes Kind“ startet mit der winterlichen Fahrt von Erika zu ihrem Vater Isak Lövenstad. Erika ist eine von drei Halbgeschwistern. Auf der Fahrt kommen Erika Erinnerungen an die Vergangenheit ins Gedächtnis, insbesondere an jenen Sommer, der für Erika das Ende der Kindheit bedeutet und der zum letzten gemeinsamen Sommer der drei Halbschwestern mit ihrem Vater wird. Dieser Sommer begann zunächst wie alle anderen Sommer zuvor, die drei Mädchen verbringen den Sommer auf der kleinen Insel Hammersö bei ihrem Vater, buhlen um dessen Gunst, sie schließen Freundschaften und genießen den Sommer. Diesmal gibt es eine Mädchenclique, in der Erika aufgenommen werden will und ihren Platz erkämpfen muss. Erikas alter Freund Ragnar, zu dem sich Erika hingezogen fühlt, der aber ein Außenseiter ist, steht da manchmal ein wenig im Weg. Als Erikas Clique von Erikas Beziehung zu Ragnar erfährt, machen sie gnadenlos Jagd auf ihn, Ragnar flieht, stürzt ins Meer und wird, als die Jugendlichen mit Steinen nach ihm werfen, getroffen. Ragnar stirbt. Auch Laura und Molly wollen sich mit dem mittlerweile betagten Vater treffen, schließlich könnte es das letzte Mal sein, auch bei ihnen bricht die Schuld jenes Sommers wieder auf. Die Erinnerung an jenen Sommer belastet die Geschwister psychisch, schmerzt und kostet Kraft, so kommt bei der langen Anreise immer wieder der Wunsch zur Umkehr und zum Verdrängen oder Vergessen auf. Die Erinnerung verdeutlicht den Dreien, wie sehr das Schweigen Isaks zu Konflikten in der Familie sie belastet, aber auch geprägt hat und wie sehr sein Verhalten noch heute ihr Leben beeinflusst.
Linn Ullmann erzählt die Geschichte eines autoritären, dominanten und sprachlosen Vaters und dessen Kindern in einer teils nüchtern beobachtenden, teils poetischen Sprache. Das Bild jenes Sommers entsteht ähnlich einer Collage über eine Vielzahl von Vor- und Rückblenden und häufigen Perspektivenwechsel. Von Erinnerung zu Erinnerung, von Bild zu Bild verändert sich die gezeichnete Stimmung jenes Sommers und die sommerliche Leichtigkeit und das lichte Sommerglück wandeln sich zu einer dunklen, bedrohlichen Atmosphäre, die das kommende Grauen ähnlich eines herannahenden Unwetters erahnen lässt. Besonders auffallendes Stilmittel sind Kontraste, die sich in vielen der beschriebenen Szenen und Dialoge finden.
Inhaltlich steht aus meiner Sicht die Vater-Tochter-Beziehung nicht zentral im Vordergrund. Sie bildet eher den Rahmen für das Heranwachsen der Mädchen, den beginnenden Abnabelungs- und Selbstfindungsprozess, dem Druck den pubertierende Jugendliche ausgesetzt sind und sich gegenseitig aussetzen. So habe ich die langsame und von Linn Ullmann eindringlich beschrieben und aufgebaute Entwicklung zu Grausamkeit und Gewaltbereitschaft unter den Jugendlichen, die in sexuellem Missbrauch und der Tötung von Ragnar gipfelt, mit Entsetzen verfolgt und finde im Roman selbst auch keinen Ansatz dazu, wie dieses Geschehen hätte verhindert werden können, da das Umfeld der Jugendlichen dazu nicht ausreichend beleuchtet wird.
Insgesamt ist Linn Ullmanns Roman für mich eine Kombination mehrerer interessanter Themen und Elemente, bei denen ich jedoch nicht genug über die Ursachen erfahre, um ein Gesamtbild zu haben, daher lässt mich der Roman einigermaßen ratlos zurück. Der Roman endet mit der Ankunft der Geschwister vor der Tür des Vaters, die offenen Fragen, die sich im Verlauf der Geschichte zu den Ereignissen jenes Sommers, zu der Beziehung der drei Töchter zum Vater und zu dessen Beziehung zu anderen Personen stellen, bleiben unbeantwortet.
Auch wenn „Ein gesegnetes Kind“ von Linn Ullmann mich irritiert und verstört hat und mich eher ein wenig ratlos zurücklässt, halte ich dieses Buch für einen lesenswerten, interessanten und sprachlich hervorragend gemachten Roman.
Weitere Links:
Noch gefangen von der Lektüre des vierten Romans von Linn Ullmann „Ein gesegnetes Kind“ habe ich mir einige Literaturkritiken im Netz angeschaut und war doch einigermaßen erstaunt darüber, dass einige dieser Kritiker scheinbar ein anderes Buch gelesen haben wie ich.
Daher hier der Link zu Bücher.de, wo zu Rezensionen der FAZ und der SZ verzweigt wird.
http://www.buecher.de/shop/Bue…/lfa/quicksearch-1-titel/
Das Buch in der Presse laut Verlagsseite:
http://www.droemer-knaur.de/bu…tml?ansicht=pressestimmen