Anatolin – Hans-Ulrich Treichel

  • Suhrkamp, März 2008 erschienen
    Gebunden, 180 Seiten


    Kurzbeschreibung:
    Klappentext: Kein Verzeichnis körperlicher und seelischer Gebrechen kennt diese Krankheit, kein Arzt hat sie je diagnostiziert, und doch leidet manch einer darunter: "Morbus biographicus", zu deutsch: "autobiographische Entleerung". Das Symptom: fehlende Erinnerung an die eigene Kindheit. Am Ende steht der Verlust jedes biographischen Gefühls. Als Therapie bleibt nur, den fehlenden autobiographischen Faden erzählend neu zu spinnen.
    So wird für den Helden dieses heiter-melancholischen Buches eine Kindheit in der ostwestfälischen Provinz lebendig, in der der verlorene Bruder dominiert. Die Suche nach der eigenen Vergangenheit wird zu einer Suche nach den Eltern. Sie führt in den Osten, in ein abgelegenes Straßendorf in der Ukraine, dann in eine noch viel kleinere Siedlung im ehemaligen Wartheland in Polen. Was der Vergangenheitslose dort an Spuren seiner Vorfahren findet, ist nichts - und doch mehr als genug, um einen Roman daraus zu machen.
    Wer meint, in dieser Lebensgeschichte die Biographie des international erfolgreichen Autors Hans-Ulrich Treichel wiederzuerkennen, ist auf der richtigen Spur - und wird doch in die Irre geführt. In Anatolin gibt Treichel dem Thema seiner preisgekrönten Romane Der Verlorene und Menschenflug eine überraschende Wende. So entsteht ein raffiniertes, ebenso unterhaltsames wie witzig-kluges Vexierspiel mit den Voraussetzungen autobiographischen Erzählens, ein Tanz mit dem fremden Selbst auf der Suche nach der eigenen Biographie.


    Über den Autor:
    Klappentext: Der Erzähler, Lyriker und Essayist Hans-Ulrich Treichel wurde 1952 in Versmold/Westfalen geboren. Er lebt in Berlin und Leipzig. Seit 1995 ist er Professor am Deutschen Literaturinstitut der Universität Leipzig.


    Meine Rezension:
    Treichel nutzt sein Leben als Inhalt seiner Romane. In Anatolin lässt er sein bisheriges Leben und Werk (vom ersten Gedichtband über Der Verlorene und Menschenflug) ein Resümee ziehen, ohne sich dabei direkt zu wiederholen.


    Er fährt von Berlin mit dem Zug Richtung Ukraine und Polen auf den Spuren seiner Eltern, die 1945 aus Ostpreußen vertrieben wurden und dabei Treichels Bruder verloren.
    Zugfahrt, Ankunft, Kurioses und skurriles erzählt er teils humorvoll ironisch, teils auch wehmütig. Seine Gedanken schweifen auch ab an seine Kindheit und Jugend in Westfalen. Der von Rainer Moritz im Deutschland Radio Kultur aufgebrachte Vergleich zu Wilhelm Genazino finde ich sehr zutreffend.


    Bei einer Lesung in Bielefeld teilt ihm eine Zuhörerin mit, dass ihre Mutter den Tod des verlorenen Bruders 1945 bezeugen kann, doch eindeutig ist das nicht und es kommt zum DNA-test mit Findelkind 2307, ein Mann, der eventuell sein bruder sein könnte.


    Obwohl das ganze sehr erzählenswert und auch amüsant gemacht ist, vermisse ich doch Reflexionen über die eigene Nabelschau hinaus, ein gewisser Zweifel bleibt, ob das Buch wirklich für den Leser so notwendig ist wie für den Autor selbst.
    Doch wer die bisherigen Treichel-Romane mochte, wird auch an Anatolin seinen Spaß haben.