Heinrich von Kleist erzählt hier eine Episode aus dem Trojanischen Krieg auf seine ganz eigene Weise: Penthesilea, schöne Königin der Amazonen, wird nicht von Achill erschlagen, sondern umgekehrt. Allerdings geht dem ein ständiges Hin und Her voraus, das der Tatsache geschuldet ist, dass die Amazonen sich auf kriegerischem Wege ihren Bedarf an Männern verschaffen, diese also nicht einfach totschlagen können. Penthesileas Mutter Ortrere hat dieser nun auf ihrem Sterbebett gesagt, dass Achill der Mann für sie sei, und so kämpft Penthesilea bis zur Selbstaufgabe um ihn. Sie wird zunächst von Achill überwunden, der sich in sie verliebt und - auf das Bitten von Penthesileas engster Vertrauter Prothoe hin - vorspielt, er selbst sei der Besiegte. In diesem Glauben erläutert Penthesilea die Sitten der Amazonen und erklärt Achill, dass sie nie die Absicht hatte ihn zu erschlagen, sondern dass sie ihn nur besiegen musste, um ihn dann in einer feierlichen Zeremonie zu ihrem Auserwählten machen zu können.
Während diese Erklärungen statthaben wendet sich allerdings das Blatt auf dem Schlachtfeld wieder und die Amazonen befreien ihre Königin. In der allgemeinen Verwirrung erfährt Penthesilea die Wahrheit und gerät daraufhin so sehr in Zorn, dass sie Achill, der sich ihr nur zum Schein auf dem Schlachtfeld geschlagen geben will, auf grausame Weise hinmetzelt. In einer abschließenden Szene stirbt Penthesilea am Schmerz um den verlorenen Liebsten.
Heinrich von Kleist gehört zu meinen erklärten Lieblingen. "Penthesilea" ist eines seiner eher sperrigen Dramen, was vor allem an der Form liegt. Weite Teile der Handlung bestehen aus referierten Schlachtszenen und Mauerschauen. Außerdem ist die - nur als Mauerschau beschriebene - Zerfleischung Achills nichts für schwache Nerven. Die Inszenierung der "Penthesilea" gilt daher immer noch als besondere Herausforderung.
Abgesehen davon ist die Umkehr des antiken Stoffes natürlich sehr interessant. Die Subversion, die darin steckt, ist eine zweischneidige. Sicherlich werden die Amazonen als gleichwertige Gegnerinnen beschrieben, die sich zwischen zwei verfeindete Heere stellen und diese zugleich bekämpfen - eine nicht geringe kriegerische Leistung. Jedoch ist das Drama bei den Erfolgen der Frauen nicht ganz eindeutig: Geben sie sich tatsächlich mit ein paar hübschen Jünglingen zufrieden, die sie gleich mit inihre Hauptstadt Themiscyra nehmen können, oder stellen sie sich der Herausforderung, die ein Sieg über die wirklich großen Helden, wie eben Achill, darstellt?
Penthesileas Entscheidung für letzteres ist dabei als fixe Idee gekennzeichnet. Sie will nicht, wie dies wohl bei vergleichbaren männlichen Heldengestalten der Fall wäre, Ehre erlangen, indem sie Achill überwindet. Sie möchte vor allem den strahlenden Helden zum Gegenstand ihrer Leidenschaft machen. Penthesilea ist hier - und freilich auch in der Zerfleischungsszene - ganz als Instinktwesen gekennzeichnet, dass seine Emotionen nicht unter Kontrolle hat.
Doch das ist nur die eine Seite. In der Szene, als Penthesilea sich selbst siegreich wähnt, fällt sie keineswegs gleich über ihren Achill her, sondern verlangt - mit dem bemerkenswerten Satz "Hab ich, beim Styx, jetzt nichts zu tun, als plaudern?" - ihr Heer zu mustern. Und auch das Ende, in dem sie nicht durch eine Waffe, sondern durch eigenen Willen stirbt, ist dadurch Ausdruck einer außerordentlichen Fähigkeit zur Beherrschung der eigenen Gefühle.
Insofern ist Penthesilea nicht einfach eine Frau ganz nach weiblichem Klischee, sondern immer auch ernstzunehmende Partnerin und Gegnerin, auf Augenhöhe mit den Männern - und das wohlgemerkt in einem Drama von 1807! Und sind wir ehrlich, auch die männlichen Soldaten kommen bei Kleist gewöhnlich alles andere als ungebrochen heroisch weg.
"Penthesilea" ist eine Pflichtlektüre nicht nur für Kleist-Fans, sondern für alle Liebhaber ausgefeilter psychologischer Literatur.
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