Das Buch habe ich jetzt als erstes, läßt man mal „A Christmas Carol“ außen vor, von Charles Dickens gelesen. Gegenüber Dickens habe ich seit meiner Kindheit starke Vorbehalte, weil seine Bücher bei uns als „deprimierend“ angesehen wurden.
Die Frage, ob mein Vorurteil bestätigt wurde, kann ich nur mit einem klaren „Jein“ beantworten. Die Verhältnisse, die Dickens beschreibt, sind über weite Strecken mehr als deprimierend. Insofern stimmt das Vorurteil. Jedoch kam all das Schlimme mental und emotional bei mir überhaupt nicht an. Durch seine bewundernswerte Sprachgewalt wird nämlich alles in herrlich leuchtenden Farben, die friedlich glänzen, geschildert. Zwischen Form und Inhalt besteht (für mich) eine unüberbrückbare Differenz. Ich habe durchaus verstanden, daß Dickens hier Ironie und Sarkasmus als Stilmittel verwendet, um auf die Mißstände hinzuweisen. Möglicherweise hat das bei seinen Zeitgenossen funktioniert, bei mir jedoch nicht.
So sehr mir die Sprache gefiel (und ich habe ein Faible für die des 19. Jahrhunderts), wenn Form und Inhalt dermaßen auseinanderklaffen wie hier, wenn ich mich - um das mal so auszudrücken - stilistisch in Pemberley, inhaltlich aber in der Gosse fühle, ist das nichts, womit man mich ansprechen könnte.
[sp]Zumal mir dann völlig schleierhaft blieb, weshalb Dickens kurz vor Ende seinen Stil durchbricht, wenn er am Ende des 52. Kapitels lapidar schreibt: „(...) ein Gerüst, ein Strick - der ganze schreckliche Apparat des Todes.“[/sp]
Alles in allem habe ich - ob der wirklich schönen Sprache - das Lesen nicht bereut, jedoch kann ich mir derzeit nicht vorstellen, nochmals ein Buch von Charles Dickens zu lesen.