Die Nacht der gefangenen Träume - Antonia Michaelis [ab 10 Jahre]

  • Die Nacht der gefangenen Träume
    Antonia Michaelis
    ISBN: 9783789142611
    Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg
    Ab 10 Jahren
    336 Seiten, 14,90 Euro


    Die Autorin: Antonia Michaelis, Jahrgang 1979 in Norddeutschland geboren, in Süddeutschland aufgewachsen, zog es nach dem Abitur in die weite Welt. Sie arbeitete u.a. in Südindien, Nepal und Peru. In Greifswald studierte sie Medizin und begann parallel dazu, Geschichten für Kinder und Jugendliche zu veröffentlichen. Heute lebt sie als freie Autorin mit einer Katze, ihrem Mann und 3000 Quadratmetern Brenneseln in der Nähe der Insel Usedom.


    Was verrät uns der Klappentext? Irgendetwas stimmt nicht mit Frederics neuer Schule. All die ideelosen Musterschüler in St. Isaac sind ihm unheimlich. Und ist der Schatten des Schulleiters Bruns nicht etwas zu dunkel für einen gewöhnlichen Schatten? Doch niemand scheint Frederic verstehen zu wollen, niemand außer Änna. Gemeinsam machen die beiden schließlich eine unglaubliche Entdeckung. Und es bleiben nur noch wenige Tage, die schrecklichen Pläne Bruhns´ zu durchkreuzen. Denn draußen vor der Stadt lauert etwas in einer alten Fabrikhalle. Etwas, das zu den Kindern von St. Isaac will…


    Meine Rezension: Frederic fühlt sich so gar nicht wohl in der neuen Schule. Seine Mitschüler sind alle etwas merkwürdig. Perfekt und langweilig und irgendwie wirken sie auf ihn, als wären sie programmiert. Nur Änna, die in der letzten Reihe in seiner Klasse sitzt, ist anders, sie hat Ideen und schenkt ihm ab und zu ein Lächeln. Als Frederic im Keller seines Hauses seine 90jährige Nachbarin aus einer Rattenfalle befreit, drängt sie ihm Vitamintropfen auf, mit denen er bald sieht, was wirklich in der Welt geschieht. So kann er plötzlich sehen, dass Änna, die kein Arzt von ihrem Hinken heilen kann, eine Eisenkugel aus Angst um ihren Fuß trägt und dass sein Lateinlehrer auf einmal statt zu reden, blubbert, wie ein Karpfen und auch die große, immer noch offene Wunde über dem Herzen seines Vaters sieht er, die entstanden sein muss, als die Mutter plötzlich bei einem Fahrradunfall starb.


    Eines Nachts entdeckt er den Schulleiter Bruhns und 2 Lehrer, wie sie mit einer geheimnisvollen Maschine durch die Stadt ziehen – einer Maschine, deren Schläuche auch in Ännas Zimmer geschoben werden und mit denen etwas gesammelt wird, dass in einer alten Fabrik eingesperrt werden muss...


    Der Oetinger Verlag, der Verleger berühmter Kinderbuchautoren wie Astrid Lindgren oder Erhard Dietl und Paul Maar ist, hat auch hier wieder einmal ein gutes Gespür für eine außergewöhnliche Begabung gehabt. Antonia Michaelis schreibt so feinfühlig, so erfrischend und gleichzeitig so spannend, dass man das Buch kaum aus den Händen legen mag. Bei allen ihren Figuren spürt man, wie liebevoll sie entworfen wurden, die Bösewichte und die Guten - alle entstehen als farbenfrohes Bild vor unseren Augen. Dass Frau Michaelis eine Vorliebe für Wortspiele hat, wird schon auf der ersten Seite offensichtlich und so wird die Geschichte oft auch etwas tiefgründiger, als man es von einem üblichen Kinderbuch für diese Altersgruppe gewohnt ist.


    Mich hat es jedenfalls beim Lesen mehr als einmal an die warmherzig geschriebenen Geschichten von Astrid Lindgren erinnert, die wie keine andere Autorin in meiner Kindheit meine Liebe zu Büchern geprägt hat und daher meine ich: Ein super Lesetipp für die Ferien, für einen lauen Sommerabend, für ein heimliches Lesevergnügen unter der Bettdecke, für einen kalten Wintertag oder einen warmen Nachmittag auf dem Kuschelsofa oder überhaupt…

  • Eskalinas Rezi ist eigentlich nur wenig hinzuzufügen.


    Eine mit viel Liebe erzählte Geschichte um Freundschaft und Vertrauen und den ewigen Kampf Gut gegen Böse serviert uns hier die Autorin, von der ich vorher noch nie etwas gehört habe, was sich nun aber sicher ändern wird. Mit vielen leicht versponnenen Details gespickt erfahren wir alles über die unheimlichen Geschehnisse auf St. Isaacs und deren Auflösung.


    Dabei hat mich allein schon die Optik mit dem wunderschönen Cover und den Einleitungen in die einzelnen Kapiteln für sich eingenommen. An Astrid Lindgren hat mich das Buch zwar überhaupt nicht erinnert, aber es ist auf jeden Fall eine klasse Lektüre für die eigentliche Zielgruppe – und auch für die *hüstel* etwas betagteren Jugendlichen unter uns.


    Die Autorin schreibt in einer ganz wunderbar farbigen und bildhaften Sprache, so dass man alles wirklich förmlich vor sich sehen kann. Das hat mir sehr gut gefallen.


    Klasse Buch!

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Antonia Michaelis zählt zu meinen Lieblingsautorinnen (ganz schön ist auch "Die wunderliche Reise von Oliver und Twist").


    Dieses Buch liegt hier schon und wartet aufs Gelesenwerden.
    Nach euren Rezis bin ich versucht, bald dieses oder ein anderes ungelesenes Buch von ihr in die Hand zunehmen, ihr habt mich total hibbelig gemacht :lache

  • Ab und an werden gebundene Kinderbücher von ihr zu Sonderpreisen verschleudert - momentan "Die wunderliche Reise von Oliver und Twist" (bol.de) "Das Adoptivzimmer", "Mike und ich und Max Ernst"und "Morgenstern" - ich hab sie bestellt und hier stehen, allerdings bisher aufgrund Zeitmangels (und wegen der Vorfreude) bis auf ersteres nur angelesen :-]


    Ich finde es schade, dass diese schönen, sprachlich feinen Kinderbücher anscheinend nicht so viele Käufer finden, dass sie heruntergesetzt werden :-(
    Besonders freue ich mich über die Verknüpfung von Kunst und Fantasie (Dickens und andere in ersterem, Max Ernst bzw. Morgenstern in den gleichnamigen)


    Und da ich schon dabei bin, hemmungslos Werbung zu machen - hier ihr amüsantes Blog: klick

  • Danke barti für den Tipp! Ich lach mich grad weg über ihren Artikel zu Ambrosia. Zitat: Noch eine schlechte Nachricht: Ambrosia-Allergiker haben gewöhnlich Kreuzreaktionen mit Gurken, Bananen und Melonen. Kommt so ein Allergiker mit Bananenpollen in Kontakt oder atmet eine Melone ein, kann das tödlich ausgehen!
    :lacht Die Frau wird mir immer sympathischer...

  • Ich habe "Die Nacht der gefangenen Träume" vor ein paar Tagen beendet und bin schwer begeistert.
    Antonia Michaelis schafft es, Charaktere vorzustellen, die man fast vor sich sieht und die alle gängigen Klischees sprengen.
    Nur ein Beispiel: Die ziemlich exzentrische junge Nachbarin, die ihre Tür nie benutzt und lieber durchs Fenster klettert, entpuppt sich nicht etwa als verkappte Künstlerin, sondern als Physiklehrerin!
    Normalerweise mag ich es nicht besonders, wenn sich eine allwissende Erzählerstimme ständig in die Geschichte einmischt, aber in diesem Fall fand ich die Kommentare von Hauptperson und der geheimnisvollen Erzählfigur sehr gelungen:
    Erstens machen sie deutlich, dass trotz aller Schrecken am Ende alles gut ausgeht, was gerade jüngeren Kindern helfen kann, da die Handlung teilweise sehr aufregend wird.
    Zweitens hat die Autorin hier einen Clou eingebaut, mit dem ich während des gesamten Buches nicht gerechnet habe. Ich war auf einer völlig falschen Fährte! :chen
    Besonders gut gefallen hat mir, dass am Ende auch die Handlungsmotivationen der "Bösen" deutlich werden und dass


    Weiterer Pluspunkt: Das Ende ist positiv, ohne in Kitsch und Verkupplungswahn auszuarten. Wer mit wem zusammenkommt oder ob so etwas überhaupt passiert, bleibt ganz allein der Vorstellung der Leser überlassen.
    "Die Nacht der gefangenen Träume" erscheint mir als guter Aufhänger, um mit (älteren) Kindern tierfehende Gespräche führen zu können, z.B. über Mobbing in Schulklassen, Außenseiter, Leistungsdruck, Gruppenzwang oder warum es so wichtig ist, eigene Ideen und Vorstellungen zu entwickeln, auch wenn andere damit vielleicht nichts anfangen können.

    Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte "Wo kämen wir hin" und niemand ginge, um zu sehen, wo wir hinkämen, wenn wir gingen.
    :fechten

  • Zitat

    Original von Regenbogenratte
    "Die Nacht der gefangenen Träume" erscheint mir als guter Aufhänger, um mit (älteren) Kindern tierfehende Gespräche führen zu können, z.B. über Mobbing in Schulklassen, Außenseiter, Leistungsdruck, Gruppenzwang oder warum es so wichtig ist, eigene Ideen und Vorstellungen zu entwickeln, auch wenn andere damit vielleicht nichts anfangen können.



    Mir hat das Buch auch gut gefallen und ich stimme Dir zu. Die Geschichte kommt ohne Zeigefinger daher, dafür aber mit viel Tiefe und gelungenem Sprachwitz. Das Ende ist überraschend und mal etwas wirklich Positives. Allerdings haben mich die Kapiteleinleitungen ziemlich gestört, weil sie mich aus der eigentlichen Story komplett herausgeworfen haben. Im Nachhinein wurde mir dann klar, dass diese Einleitungen wegen der Erzählstruktur sein müssen, da sonst ja die Auflösung nicht funktionieren würde. Sei's drum - soooo schlim war's auch wieder nicht. Über zwei Dinge bin ich dann allerdings wirklich gestolpert. Ich verstecke es mal als Spoiler:



    2.) Als die Kiste Sprengstoff explodiert, da fliegen die beiden "Helden" nur ein bisschen durch die Luft, stehen auf und gut. In Wirklichkeit würde man von denen bei einer ganzen Kiste explodierenden Sprengstoffs nichts mehr finden. Das halte ich in einem Kinder-/Jugendbuch schon für bedenklich.


    Aber das sind nur Kleinigkeiten in einer ansonsten wirklich schön erdachten Geschichte, die ich mit viel Freude an einem Tag auf einer Bahnfahrt gelesen habe.


    Liebe Grüße,


    Dieter Ziegler.

  • Frederic lebt bei Hendrik. So einsilbig der Satz hier steht, so einsilbig ist auch die Kommunikation zwischen den beiden. Hendrik hat vor ein paar Jahren seine Frau durch einen Unfall verloren und Frederic somit seine Mutter. Beide haben sich ab diesem Zeitpunkt in ihr Schneckenhaus zurückgezogen und leben nebeneinander her, statt zusammen.
    Frederic geht seit neuestem auf die St. Isaak Schule, eine Lehranstalt, die Banker, Geschäftsführer, Aufsichtsräte und lauter karrierelüsterne Menschen in die Welt spuckt. Alle bemühen sich viel zu lernen, gute Noten zu schreiben und sich viel Wissen anzueignen. Außer Frederic. Der scheint ein vollkommen normaler Schüler zu sein, der auch mal nicht vor einer Arbeit gelernt hat, der auch mal schlechte Noten schreibt.
    Ihn verwundert es schon, dass die Schüler auf St. Isaak so scharf darauf sind immer die besten zu sein, aber ihm werden die Augen erst durch ein spezielles Vitamin A geöffnet, das ihn in die Seele der Menschen sehen lässt. So wird ihm klar, dass der Herrdirektor Bruhns (eigentlich Bork mit Vornamen) die Fäden in der Hand hält und für die Zustände der Schüler verantwortlich ist. Denn der Herrdirektor (HD) hat die Träume der Schüler abgepumpt, denn sie stellen den Nährboden für Ideen dar. Und Ideen animieren zum Selbstdenken. Das geht ja nun mal gar nicht. Also versucht Frederic den Herrndirektor zu stoppen, was ihm allein aber nicht so recht gelingen mag. Er bekommt Hilfe von Änna, einer Schülerin, die wieder eigene Ideen entwickelt, von Lisa, der Seifenblasen aus den Haaren schweben und die selbst einige Zentimeter über dem Boden schwebt, von Kahlhorst, der irgendwie überhaupt keinen Vornamen hat und auch von Hendrik, denn zum Helfen kann man nicht zu spät kommen.
    Die Nacht der gefangenen Träume ist eine mit Liebe erzählte Geschichte, deren Hauptfiguren sich ganz heimlich in das Herz des Lesers schleichen. Eine sehr, sehr bildhafte Sprache versetzen den Leser direkt in das Geschehen hinein. Dadurch bleibt die Geschichte im Fluss, wird nicht langweilig oder -atmig und wirkt durchweg spannend.
    Alle Figuren, so unterschiedlich sie auch sein mögen, waren mir durchweg sympathisch. Selbst Josephine, die beißende Finger hat und auch der HD Bruhns, was ich mir damit erklären könnte, dass alle Gedankengänge nachvollziehbar erscheinen und logisch in die Handlung integriert sind. Jede Figur ist liebevoll charakterisert, selbst der alte Baum vor der Schule, dessen Blätter im Wind knispern.
    Ansonsten kann ich mich meinen Vorschreibern nur anschließen. Leider hat sich ein logischer Fehler eingeschlichen (Frederic ist stehengeblieben. ... Und plötzlich bleibt er wieder stehen. Seite 54) und auch einige Kommata sind wohl im Text an die falsche Stelle gerutscht, was dem Buch seine eigentlichen inhaltlichen und erzählerischen 10 Punkte kostet.
    Ein Leseerlebnis. Ganz klar. 9 Punkte.

  • Das ist jetzt mittlerweile das 4. Buch, welches ich von der Autorin lese. Bislang haben mich alle überzeugt und so auch dieses. Ich kann es jedenfalls nur empfehlen!


    Sie hat ein ganz besonderes Sprachgefühl. Ich mag insbesondere die Art, wie sie neue Wörter erfindet z.B. Abgras oder altbekannte Wörter neu kombiniert. Dieser tolle Erzählstil verbindet sich hier mit einer wirklich hervorragenden Geschichte. Auf deren Inhalt möchte ich allerdings nicht mehr näher eingehen.


    Für mich als erwachsener Leser ist die Geschichte ein Bild (oder im weiteren Wortsinn eine Metapher) dafür, daß der Druck, den Erwachsene manchmal auf Kinder ausüben im Bezug auf schulische Leistungen oder "Freizeitaktivitäten" so groß sein kann, daß den Kindern gar keine Zeit mehr bleibt Kinder zu sein- sie verlieren ihre Träume und Ideen. Alles mit der besten Absicht das Kind zu fördern- und doch können im Alltag so einfache und grundlegende Dinge wie dem Kind zu zu hören und es in seinen Sorgen ernst zu nehmen einfach untergehen.


    Zitat

    Original von Eskalina:
    Mich hat es jedenfalls beim Lesen mehr als einmal an die warmherzig geschriebenen Geschichten von Astrid Lindgren erinnert, die wie keine andere Autorin in meiner Kindheit meine Liebe zu Büchern geprägt hat (...)


    Das liegt vielleicht daran, daß Astrid Lindgren ihre kindlichen Leser (ebenso wie Antonia Michaelis) immer ernst genommen und mit Respekt behandelt hat. Auch thematisch klammerte sie nie die Sorgen der Kinder, die dunklen Seiten aus, sondern ging genau so darauf ein wie auf die fröhlichen Dinge. Zu einem Kinderleben gehört nun mal beides.
    Mich hat das Buch übrigens ein bißchen an "Momo" von Michael Ende erinnert, nur daß ich eher ein Herbstlesegefühl als ein Sommerlesegefühl hatte.


    Auch wenn mich thematisch nicht alle ihrer Bücher interessieren, behalte ich Antonia Michaelis sicherlich im Blick. Ihr "letzter Regen" steht jedenfalls schon bereit :-]

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • So, und nachdem ich die Rezis hier gelesen habe, habt ihr mich auch. Ich weiß schon, warum ich in Threads von manchen hier so ungerne reinschaue :bonk
    Ich fahre nachher mal in die Buchhandlung und schaue, ob sie es da haben :grin

    Ein Haus ohne Bücher ist arm, auch wenn schöne Teppiche seinen Boden und kostbare Tapeten und Bilder die Wände bedecken.
    (Hermann Hesse)

  • Huhu,
    ich habe das Buch auch erst gestern zu Ende gelesen und war echt begeistert!
    Die ganzen Bilder, Szenen und Figuren sieht man bildlich und ich war tief versunken in das Buch und konnte nicht abwarten, endlich wieder ans Lesen zu kommen.