Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist vor allem eines: unheimlich. Es geht nämlich um etwas ganz wesentlich Menschliches, die Träume.
Frederic hat das Glück auf eine Privatschule zu gehen, Glück deswegen, weil sein Vater sich die Schulgebühren nur leisten kann, weil er als Softwareexperte auch die Computer der Schule wartet. Frederic hält die Schule nicht für einen Glücksfall, seine Mitschülerinnen und Mitschüler sind alles andere als lustig. Eine Streberin oder auch zwei Streber hätte er ja ertragen, aber daß fast alle Kinder nur auf gute Noten aus sind und den Lehrerinnen und Lehrern deswegen geradezu an den Lippen hängen, ist des Guten zuviel. Nur ein Mädchen in seiner Klasse scheint anders zu sein, Änna. Die aber mag er nicht, sie wirkt verdruckst und nicht gerade sympathisch.
Es ist aber ausgerechnet Änna, die erklären kann, was passiert ist an dem Tag, an dem Frederic gebissen wird. Mitten im Unterricht. Und ohne daß etwas zu sehen wäre, das so scharfe Zähne hat.
Eigentlich glaubt Frederic Ännas Erklärung nicht, es klingt zu schräg. Außerdem hat er genug Eigenes zu bedenken. Frederic ist Erfinder, er denkt sich zu gern Apparate aus, die alles mögliche bewirken können, etwa den gründlich gehaßten Schuldirektor zum Fenster hinausbefördern. Überhaupt bleibt er lieber für sich in der Schule. Zuhause auch, mit seinem Vater redet er kaum, der spricht ja auch kaum mit ihm. Die beiden wurschteln sich allein durch den Alltag, seit Frederics Mutter bei einem Unfall ums Leben gekommen ist.
Die Bißwunde und ein paar merkwürdige Vorkommnisse in der Schule aber fangen an Frederic zu beunruhigen. Als ihm dann noch eine alte Nachbarin Tropfen gibt, damit er besser sehen kann, wird Frederic endgültig neugierig. Das erweist sich als fatal. Denn nun sieht er, was Änna gesehen hat. Die aber scheint sich auf einmal an nichts zu erinnern. Bei einem illegalen nächtlichen Ausflug macht Frederic eine Entdeckung, die ihm klar werden läßt, daß hier Bitterböses am Werk ist. Und daß es nur einen Weg gibt, die Katastrophe zu verhindern: er muß eingreifen.
Die Geschichte ist schauerlich, streckenweise purer Horror, nicht nur für das junge Zielpublikum. Michaelis nimmt das Thema sehr ernst. Entsprechend viel Raum ist denen gewidmet, denen der Anschlag zuerst gilt: den Träumen. In ihrer Beschreibung ist überbordende Phantasie am Werk, hinter der eine geradezu geniale Logik steckt. So hat man Träume nie zuvor wahrgenommen.
Ernst und mit der von ihr gewohnten Zuneigung zeichnet sie ihre Kinderfiguren. Die Veränderungen, denen diese ausgesetzt sind, ihre Charakterisierung, die Unterschiede vor und nach dem Diebstahl der Träume, sind einfallsreich, durchaus kindgerecht, zugleich aber enorm unheimlich. Die Vorstellung eines Mädchens mit Josephines ‚Eigenheit‘ etwa ist beängstigend, ebenso das Bild, das Michaelis für Ännas Problem oder auch für Ännas Eltern findet. Das ist rundum beängstigend und verdeutlicht das Unglück der Kinder eindrucksvoll.
Skurrile Verhaltensweisen einiger Erwachsener lassen bald auch auch in Frederics ansonsten normalem Alltag Gegebenes zunehmend nicht mehr verläßlich wirken. Zugleich erkennt er mit seinem neuen scharfen Blick, worin die Schwierigkeiten der Erwachsenen um ihn herum liegen. Das ist ebenso erschreckend, wie der Diebstahl der Träume. Dabei gibt es Erkenntnisse, die auch die Leserin erst einmal verdauen muß. Zugleich ist das ein tolles Bild für die erste Erkenntnis sehr junger Teenager, daß die Welt der Großen kein Paradies ist, sondern sie ebenso leiden läßt.
Das Ganze ist keine Geschichte für empfindsame Seelen, auch wenn sie gut ausgeht.
Da es mehrere Rätsel gibt, gibt es auch mehrere Lösungen, jede überzeugt, die letzte, das Verhältnis zwischen Erzählerfigur und Held, Frederic, ist die verblüffendste. Sie ist der letzte Beleg dafür, wie gut der Plot durchdacht und die Handlung konstruiert wurde. Michaels weicht Klischees aus und bricht die Erwartungen. Vor allem folgt keine Verdammung des Bösen. Da die Handlung so spannend ist, verlockt sie zu immer schnellerem Lesen. Dabei überliest man leicht einige wichtige Erkenntnisse über die Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern, Eltern und Kindern und Kindern untereinander. Es gibt eine Menge Kritik an falscher Autorität, Anpassung, Phantasielosigkeit und Ehrgeiz, der nur auf Materielles gerichtet ist. Diese Geschichte ist also keineswegs nur ein aufregendes Kinderabenteuer mit Fantasy-Elementen, sondern eine ernstzunehmende Erinnerung daran, wie wichtig Träume für Menschen jeden Alters sind.