Das Wittgensteinprogramm - Philip Kerr

  • Hallo Zusammen,


    heute möchte ich Euch eine etwas ältere Perle vorstellen, die ich vor einiger Zeit gelesen habe:


    Philip Kerr - Das Wittgensteinprogramm



    Inhalt:


    Die Story spielt in London im Jahre 2013 (haben wir ja bald, das Buch ist aber von 1994). Die Gehirnforschung ist weit fortgeschritten und Wissenschaftler haben entdeckt, dass es Parallelen zwischen dem Fehlen eines bestimmten Nervenstrangs und einer latenten Gewaltbereitschaft gibt. Eine geniale Entdeckung zum gezielten Aufbau einer Verbrechensprävention, wie die britische Regierung findet. Also wird kurzerhand das „Lombroso- Programm“ gegründet, im Rahmen dessen die Gewaltverbrecher in Wartestellung katalogisiert und mit Codenamen berühmter Persönlichkeiten versehen werden. Doch plötzlich verschwindet ein Name aus der Liste und ein Serienmörder macht es sich zur Aufgabe, die im Lombroso- Programm befindlichen Menschen zu töten.



    Die Protagonistin:


    Isidora „Jake“ Jankowicz, Kommissarin im Morddezernat, Abteilung Frauenmord, ist eine hochintelligente, aber harte und zielstrebige Person, die zudem eine massive Abneigung gegen Männer hat, begründet durch ihre Vergangenheit und gepflegt in ihrem Job.



    Der Antagonist:


    Der Killer ist ebenfalls hochintelligent und philosophisch bewandert. Oh Gott – Philosophie! Wie kann man so was dem Leser antun? Nun, es funktioniert. Der Killer rechtfertigt seine Taten durch philosophische Thesen, die er dem Leser Häppchen weise näher bringt. Dabei ist seine Argumentation in sich so schlüssig, dass es dem Leser schwer fällt, diese charismatische Person zu hassen.



    Die Erzählperspektive:

    … ist zweigeteilt. Der Killer spricht aus der Ego- Perspektive zum Leser, der Rest ist aus der dritten Person. Diese Zweiteilung hat den Effekt, dass man dem Killer und seinen Gedanken sehr nahe kommt und geradezu in seinen Bann gezogen wird.



    Der Schreibstil:


    Kerr verlangt viel von seinen Lesern. Das Buch liest sich zeitweise sehr schwierig, weil Kerr offensichtlich sehr tief in das Thema der Philosophie eingestiegen ist und sich die Dispute zwischen Protagonist und Antagonist auf einer Ebene bewegen, die das Buch fast schon zur Pflichtlektüre für Philosophie- Studenten macht. Gleichzeitig strickt der Autor aber einen so genialen Plot, dass der Leser dennoch am Ball bleibt.



    Meine Meinung:


    Serientäter gibt es viele. Intelligent sind sie alle. Auch Helden haben wir schon interessante gesehen. „Das Schweigen der Lämmer“ mag da ein hervorragendes Beispiel sein. Doch ich finde, diese beiden Figuren stehen Clarice Starling und Hannibal Lecter in nichts nach. Wenn es auch nicht so blutrünstig von Statten geht, so sind die Hauptfiguren in diesem Buch dennoch voller Leben, Charisma und Tiefe. Besser kann man Charaktere kaum entwerfen. Es macht Spaß, diesem Katz und Maus Spiel zu folgen und es ist schwierig, das Buch wieder loszulassen. Für mich gehört dieses Buch zu den Besten in diesem Genre, daher fast Höchstwertung.



    Auszeichnung:


    Das Buch wurde 1995 mit dem „Deutschen Krimipreis – Bester internationaler Krimi“ ausgezeichnet. Kerr gelang dieses Kunststück 1997 mit dem Buch „Game Over“ erneut.



    Kauftipp:


    Für Alle Fans der Happy- Hour gibt es das Buch im Doppelpack mit „Game Over“. Zwei „ausgezeichnete“ Bücher!!!

    Enttäuscht vom Affen, schuf Gott den Menschen.
    Danach verzichtete er auf weitere Experimente.

    - Mark Twain -

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von crycorner ()

  • Denke für diese ausführliche Rezi! Du hast ja wirklich nichts ausgelassen! :wow Das könnte ein Buch für mich sein, ich hatte es schon häufiger in der Hand, habe mich dann aber nie getraut. :rolleyes
    „Game Over“ wollte ich mir auch besorgen, wegen der Thematik.

  • Hallo Wiggli,


    schön, wenn Dein Interesse durch die Rezi geweckt wurde. Mir ging es bei dem Buch so, dass ich mich erstmal einlesen musste. Kerr ist für mich einer der fleissigsten Recherche- Fetischisten und er will sein umfangreiches Wissen auch präsentieren. Dabei hat er von Haus aus schon einen recht komplexen, dichten Schreibstil.


    Game Over hat als Wissensbackground Informatik und Architektur. Auch da hat sich Kerr intensiv eingelesen und zeigt es auch.
    Wenn man sich in Kerrs Schreibfluss eingefunden hat, wäre es vielleicht sogar ratsam, beide Bücher hintereinander weg zu lesen, um sich nicht wieder erneut einfinden zu müssen.


    Und am Rande, bevor Dich das Kerr- Fieber zum ungefilterten Kaufrausch verleiten sollte: "Der Tag X" war für mich persönlich ein Flop, und zwar gerade weil er sich auch dort intensiv in Wissensgebieten austobt: Amerikanische Geschichte kurz vor dem Anschlag auf Kennedy und Amerikanische Medien- Berühmtheiten zur Zeit von Kennedy. Ersteres war okay. Letzteres für einen Nicht- Amerikaner regelrecht nervtötend, weil man damit so gar nix anfangen kann.


    Grüße,
    crycorner

    Enttäuscht vom Affen, schuf Gott den Menschen.
    Danach verzichtete er auf weitere Experimente.

    - Mark Twain -

  • Hallo Eskalina,


    doch, es wird sehr viel philosophiert. Einer der Höhepunkte in diesem Buch ist z.B. eine Szene, in der ein von der Polizei hinzugezogener Philosophie- Experte dem Mörder seine Thesen, auf deren Grundlage er die Morde verübt, widerlegen soll. Also eine philosophische Debatte, gewissermaßen.


    Und wer so gar nix mit Philosphie anfangen kann, der kann durchaus vom Plot gefesselt werden, aber dafür mag ich dann nicht die Hand ins Feuer legen...


    Immerhin wurde das Buch ja ausgezeichnet, da kann es so abgefahren ja eigentlich doch nicht sein.


    Grüße,
    crycorner

    Enttäuscht vom Affen, schuf Gott den Menschen.
    Danach verzichtete er auf weitere Experimente.

    - Mark Twain -

  • @ crycorner


    Vor Jahren habe ich von Philip Kerr "Der Coup" gelesen, das habe ich sowohl von der Geschichte als auch vom Schreibstil sehr gut in Erinnerung. Leider reicht es nicht mehr für eine Rezi, einfach zu lange her.


    Zitat

    Original von crycorner
    Und am Rande, bevor Dich das Kerr- Fieber zum ungefilterten Kaufrausch verleiten sollte: "Der Tag X" war für mich persönlich ein Flop, und zwar gerade weil er sich auch dort intensiv in Wissensgebieten austobt: Amerikanische Geschichte kurz vor dem Anschlag auf Kennedy und Amerikanische Medien- Berühmtheiten zur Zeit von Kennedy. Ersteres war okay. Letzteres für einen Nicht- Amerikaner regelrecht nervtötend, weil man damit so gar nix anfangen kann.


    "Der Tag X" habe ich letztes Jahr gelesen, mir ging es wie dir. Ich fand es ganz nett, aber nicht ganz nachvollziehbar in speziellen Sachen. :rolleyes Zum Glück war das Buch nur aus der Bücherei, sonst hätte ich mich sehr geärgert.


    "Game over" will ich mir seit gut einen halben Jahr anschaffen, bisher waren immer andere Bücher wichtiger. Aber irgendwann wird es soweit sein! :lache

  • Hallo Wiggli,


    Seit dem Buch "Der Tag X" habe ich mir auch kein Buch mehr von Kerr gekauft, obwohl es ja in meiner persönlichen Tabelle noch 2:1 für Kerr steht.


    Was wohl noch ganz gut sein soll - wurde mir zumindest mehrfach empfohlen - ist die Berlin- Trilogie von ihm. Sind wohl auch seine ersten Werke.


    Na, mal schauen. Der Coup klingt jedenfalls recht interessant. Aber erstmal muss meine Wunschliste abgearbeitet werden und inkl. meinen SUB´s werde ich bei meinem Lesetempo für die nächsten 2 Jahre versorgt sein. Vielleicht dann ein weiterer Anlauf...


    Grüße,
    crycorner

    Enttäuscht vom Affen, schuf Gott den Menschen.
    Danach verzichtete er auf weitere Experimente.

    - Mark Twain -