Die Sehnsucht der Cheyenne - Thomas Jeier (ab ca. 12 Jahren)

  • “Das ist hohe Politik, meine Freundin. Die verstehen wir beide nicht. Ich glaube, für uns ist kein Platz mehr auf dieser Welt... (Seite 201)


    252 Seiten, gebunden
    Mit einem Nachwort über Erfundenes und geschichtliche Wahrheit im Buch sowie einem Beitrag „Das Massaker am Sand Creek“
    Verlag: Verlag Carl Ueberreuter, Wien, 2004
    ISBN-10: 3-8000-5101-X
    ISBN-13: 978-3-8000-5101-4



    Kurzinhalt / Klappentext


    Amerika, 1863: Der Stamm der Crows hat ein heiliges Lederband der Cheyenne-Indianer geraubt. Es liegt an Eulenfrau, einer Cheyenne, die als Kind von den Crows entführt wurde, dieses Symbol der Tapferkeit zu ihrem Volk und dem Mann, den sie liebt, zurückzubringen. Ihr entbehrungsreicher Marsch über die weiten Ebenen führt sie zu den südlichen Cheyenne in Colorado und in das historische Massaker am Sand Creek, das zum Symbol des verzweifelten Kampfes der Indianer gegen die Weißen wurde. Vor dem historischen Hintergrund der Indianerkriege kämpft Eulenfrau um Liebe, Ehre und Existenz ihres Volkes.



    Über den Autor


    Thomas Jeier wurde am 24. April 1947 in Minden/Westfalen geboren und wuchs in Frankfurt/Main auf. Bereits in seiner Jugend begann er, für Zeitschriften zu schreiben. Er absolvierte eine Buchhändlerlehre und wurde Chefredakteur einer Jugendzeitschrift. Manche kennen ihn vielleicht vom Radio - er hat rund zwanzig Jahre lang den „Country Club“ beim Bayerischen Rundfunk moderiert; eine Sendung, an die ich ausnehmend angenehme und gute Erinnerungen habe. Er lebt heute bei München sowie „on the road“ in den USA. Während seiner Amerikaaufenthalte hat er auch eine zeitlang bei den Cheyenne gelebt, an ihren Festen (Pow-wows) teilgenommen sowie ihren Geschichten und Erzählungen gelauscht. Als erstem deutschen Autor gelang es ihm, zwei Romane über den amerikanischen Westen in den USA zu plazieren. Er hat etliche Auszeichnungen bekommen, darunter den Friedrich-Gerstäcker-Preis für das beste Abenteuerbuch des Jahres und eine Auszeichnung der texanischen Regierung.


    Seine weiteren Bücher findet man auf der verlinkten Verlagsübersicht sowie auf seiner Homepage.


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    Historische Anmerkung


    Am 29. November 1864 geschah eines der brutalsten Massaker, das durch die US-Armee an Indianern verübt wurde; es war der Beginn der planmäßigen Ausrottung der Indianer, um an deren Land zu kommen. Die Beschreibung im Buch ist sehr vorsichtig; ich habe vor einigen Jahren Augenzeugenberichte gelesen - man sollte das nur mit sehr starken Nerven, vielleicht einem Brecheimer in greifbarer Nähe, tun. Das Wort „Endlösung“ darf man ja nicht benutzen, dennoch kommt es mir immer wieder in den Sinn. Wie sonst soll man das Abschlachten von Frauen und Kindern, das Verstümmeln bei lebendigem Leib und dann einfach liegenlassen, mit dem Ziel, die Indianer auszurotten, sonst nennen?
    Im Buch ist ein fünfseitiger Sachartikel über das Massaker enthalten. Wer im Netz Informationen sucht, wird u. a. auf diesen Seiten fündig:
    - < Klick> der deutsche Wikipedia-Eintrag (mit Landkarte)
    - < Klick >der sehr ausführliche englische Wikipedia Eintrag
    - < Klick > Artikel „Das Massaker am Sand Creek“ im Indianer-Web (in deutscher Sprache)
    - < Klick > Artikel „Sand Creek - 28.[oder 29.] November 1864“ im Indianerwww (in deutscher Sprache)
    - < Klick > Hier noch die Website des „National Park Service, U.S. Department of the Interior“ zum inzwischen geschaffenen Nationalpark




    Meine Meinung


    “Major Wynkoop wird uns beschützen“, vertraute Schwarzer Kessel dem Befehlshaber des Forts. „Er hat uns eine amerikanische und eine weiße Flagge gegeben. Wir sollen am Sand Creek lagern und sie dort an einen Pfahl binden, damit jeder weiße Mann erkennt, dass wir seine Freunde sind. Uns wird nichts passieren, mein Freund. Nur die Indianer, die Krieg führen, werden sterben.“ (Seite 204)


    Ein Buch, das mir die Vorstellung nicht leicht macht. Das fängt schon mit der Einsortierung in ein Genre an. „Historischer Roman“ paßt genauso wie „Jugendbuch“. Da es in einem Jugendbuchverlag erschienen ist, habe ich mich für letzteren Bereich entschieden.


    Allerdings ist die Beschreibung z. B. des Sand Creek Massakers „jugendtauglich“. Ohne jedoch die fürchterliche Grausamkeit, mit der die Cheyenne hingemetzelt wurden, zu verschweigen. Man hört förmlich die Schüsse der Gewehre, die verzweifelten Schreie der Getroffenen, das höhnische Gelächter der Soldaten.


    Doch bis es dahin kommt, ist ein weiter Weg zurückzulegen. Ein Weg, der zunächst von den Tsis-Tsis-Tas (wie sich die Cheyenne selbst nennen) zu den Apsaroke (Crow, die sie entführen) führt. Diese verläßt Eulenfrau nach etlichen Monaten, in denen sie sich zusehends fragt, weshalb eigentlich die Stämme gegeneinander Krieg führen (denn rechtschaffene Menschen gibt es überall), um auf eine lange Wanderung zurück zu ihrem Stamm aufzubrechen. War sie als gefangenes Mädchen zu den Crows gekommen, so geht sie als geachtete Frau in Frieden.


    Es ist ein langer Weg, der zu verschiedenen Begegnungen führen wird. Von Lakota-Kriegern (Oglala-Sioux) über den weißen Mann, gut wie böse, bis hin zu Elster, einer weisen alten Lakota, die alleine in der Prärie lebt.


    Bisweilen muß man etwas aufpassen, die Traum- bzw. Visionsphasen zu erkennen; am Anfang habe ich das nicht gleich gemerkt, doch dann war klar, wann Eulenfrau träumt bzw. eine Vision hat, da es sehr eindeutige Anzeichen dafür gibt. Das Einbeziehen dieses Elementes ins Buch hat mir sehr gut gefallen, da es - soweit ich das beurteilen kann - der Lebens- und Sichtweise der Indianer damals entspricht (auch wenn wir heutige damit möglicherweise unsere Probleme haben sollten).


    Das Buch ist aus Sicht der Indianer, genauer gesagt Eulenfrau, geschrieben, und wir erfahren vieles über deren Denkweise und Weltsicht. (Nur an einigen wenigen Stellen wechselt die Sichtweise, womit der Kontrast um so schärfer zutage tritt.) Thomas Jeier hat in der Tat gut recherchiert; viele Details habe ich schon in anderen (Sach-) Büchern gefunden. Hier erwacht die indianische Lebens- und Sichtweise zum Leben, immer wieder bin ich über die tiefe Weisheit, die sich darin verbirgt, erstaunt.


    Ach so: die Vorstellungen der Indianer über das Leben nach dem Tod haben mich entfernt an die erinnert, wie ich sie in den letzten Wochen in den Büchern über die Kelten gelesen habe. Wer weiß, vielleicht waren diese Völker, die näher an und mit der Natur gelebt haben, dichter an der Wahrheit als wir Meßgerätesüchtige und Materiegläubige heute es je sein werden.


    Die verwendeten indianischen Worte sind übrigens authentisch aus der Cheyenne-Sprache, womit ich bei ein paar Kritikpunkten wäre. Ich habe mich früher schon mal näher mit den Cheyenne beschäftigt, weswegen mir vieles vertraut war. „Hundekrieger“ ließ mich stutzen, aber es ist die wörtliche Übersetzung für diesen Kriegerbund; mir ist halt das englische Wort „Dogmen“ in Fleisch und Blut übergegangen (nicht zuletzt durch den Film „Last of the Dogmen“, in dem man sich solche Krieger ansehen kann, genau so wie sie im Buch beschrieben sind). Bisweilen hatte ich Schwierigkeiten, die Personen auseinanderzuhalten, denn sie haben alle konsequent indianische Namen - und die sind für uns Bleichgesichter bisweilen etwas seltsam.


    Thomas Jeier schreibt meist in kurzen, nicht verschachtelten Sätzen. Aus untengenanntem Grund glaube ich nicht, daß das dem Genre „Jugendbuch“ geschuldet ist, sondern bewußt als Stilmittel eingesetzt wurde. Zumindest bei mir entstand eine seltsame Stimmung, die Personen und Geschehnisse erwachten auch ohne viel Worte zum Leben; ich habe den Wind durchs Büffelgras streichen gehört, den Donnervogel übers Land fliegen gesehen. Gerade so, als ob ein Geschichtenerzähler vor mir säße und alles in seinen eigenen Worten erzählen würde. Vielleicht nicht jedermanns Geschmack; ich hätte noch stundenlang weiterlesen können (und konnte das Buch kaum aus der Hand legen). Manches kam etwas zu kurz, doch ganz so vorhersehbar (wie der Klappentext vermuten lassen würde), ist das Buch denn doch nicht. Mehrere Male war ich überrascht, daß etwas eben nicht gut ging, und zwar auf sehr glaubwürdige und realistische Weise. Wer unbedingt nach Klischees suchen will, zumindest eines gibt es: die Westernstadt und das Verhalten seiner weißen Bewohner könnte geradewegs einem Hollywood-Western entsprungen sein. Genau so, wie „man“ sich das halt so vorstellt. Was mir den Lesegenuß jedoch nicht trüben konnte, so ein, zwei „Aha, wußte ichs doch“ - Erlebnisse dürfen schon sein. ;-)


    Das war zwar mein erstes, aber mit Sicherheit nicht das letztes Buch, das ich von Thomas Jeier gelesen habe.


    Wenn wir an einem Lagerfeuer sitzen würden, und einer der alten weisen Männer die Geschichte von Eulenfrau und Wolfsgesicht erzählen würde - sie würde genauso klingen, wie hier im Buch.


    Manchmal, wenn ich dem Wind und seiner Stimme lausche, die noch immer die Geschichte von Oconeechee und Whippoorwill flüstert, so fällt mir auf, daß es hier wie dort die gleiche Sprache, eine sehr ähnliche Erzählweise ist.* Und wenn man ganz genau hinhört - wer weiß, ob der Wind nicht längst auch die Geschichte von Eulenfrau und Wolfsgesicht mit sich trägt hin zu denen, die sie hören wollen.


    “Ei-e-ya, so hat es sich zugetragen.“



    Kurzfassung:


    Vor dem historischen Hintergrund der beginnenden Indianerkriege muß Eulenfrau ihren Weg finden, zu ihrer und ihres Stammes Heil. Bisweilen traurig, bisweilen tragisch, bisweilen einfach schön.



    * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * *


    * = Anm.: Robert J. Conley ist Indianer vom Stamm der Cherokee.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")