Die Namen geistern durch die Literatur - und Kulturgeschichte der ersten vierzig Jahre des 20. Jahrhunderts, Nancy Cunard, Mina Loy, Claire Goll. Es gibt kein New York der zwanziger Jahre ohne Dorothy Parker, kein Paris der Dreißiger und Vierziger ohne Elsa Triolet und wer Klaus und Erika Mann sagt, denkt kurz darauf auch Annemarie Schwarzenbach. Helen Hessel gehört wohl zu den weniger bekannten, Katherine Mansfield dafür zu den bis heute berühmten.
Die Publizistin Susanne Nadolny hat in diesem sehr schönen Text - und Bildband acht Biographien von Frauen zusammengestellt, die in jener Zeit alles Mögliche taten, nur eines nicht: ein angepaßtes Leben führen. Ihre Geburtsjahre reichen von 1882 (Mina Loy) bis 1908 (Schwarzenbach). Starben sie nicht an einer schweren Krankheit (Mansfield, mit 34) oder wurden Opfer ihrer Drogensucht (Schwarzenbach, mit 36), erreichten sie ungehindert mindestens das biblische Alter von siebzig Jahren. Was so ziemlich das einzige ‚biblische’ an ihrem Leben war.
Sie stammten aus wohlhabenden bis sehr reichen Familien (Cunards Vater war z.B. der Besitzer der Schiffahrtslinie Cunard), verfügten über eine ziemlich gute, wenn auch meist privat gelehrte, Bildung, sie waren intelligent, kreativ, hoch begabt. Sie waren Ehefrauen und Mütter, Geliebte und Ehebrecherinnen, Verlegerinnen, Models, Modeschöpferinnen, Reisende, Journalistinnen, Schriftstellerinnen, Musen. Sie waren Mäzeninnen und eine Woche später bankrott, rasend verliebt und todunglücklich, politisch glühend engagiert oder an Politik nicht für einen Cent interessiert, ekstatisch, exzentrisch im Wortsinn, nämlich weit weg von allem, was nach Mitte roch.
Sie wollten einen eigenen Weg, ihren Weg. Nichts sonst. Absolut und kompromißlos sind ihre Forderungen und ihr Handeln.
Die einzelnen Beiträge von Susanne Nadolny, Andrea Barnet, Alexandra Lavizzari, Jutta Rosenkranz und Unda Görner, allesamt Publizistinnen, die sich seit einigen Jahren intensiv der Kultur und vor allem dem Leben von Frauen zwischen 1900 und 1945 widmen, sind gleichartig aufgebaut. Zuerst wird man mitten hineingeworfen in eine völlig fremde Welt, vor die Füße der jeweiligen Protagonistin, und da bleibt man zunächst sitzen, ziemlich atemlos, angesichts dessen, was um eine herumtobt. Zum Beruhigen folgen biographische Abrisse, mit den nötigen Daten zur Orientierung. Solchermaßen ausgerüstet, geht es Schlag auf Schlag weiter mit allen Stationen des jeweiligen Lebens. In Zitaten kommen die Frauen auch selbst zu Wort, beeindruckende Photos verstärken die Wirkung der Worte.
Das Leitthema ‚Sehnsucht’ wird dabei keinen Moment außer acht gelassen, tatsächlich kommt dieses Gefühl des Suchens nach einem Leben, das bis zum Äußersten gelebt sein soll, deutlich zum Ausdruck. Eben so deutlich werden die immensen Probleme, die der absolute Anspruch mit sich bringt. Es ist ein Scheitern an sich selbst, wie an gesellschaftlich gegebenen Bedingungen. Es sind oft genug Versuche, sich selbst der Welt aufzuzwingen, ohne zu beachten, daß die Welt, wenn schon, das gleiche Recht dazu hat. Es sind vielfach Leben auf Kollisionskurs, Probleme mit Alkohol und dem zeitüblichen Morphium bleiben nicht aus, Annemarie Schwarzenbach stirbt daran, Dorothy Parker ruiniert ihr Talent mit ihrem Alkoholismus.
Sehnsucht hat immer auch mit Liebe zu tun. Das Überraschende bei der Lektüre ist wohl die Entdeckung, wie sehr die meisten dieser Frauen die Liebe überhöhen und zum Ideal erheben. Daran scheitern nicht nur sie, wieder und wieder, sie reißen durchaus auch andere in den Abgrund. Keine der Autorinnen allerdings wertet, hier werden Lebensbilder gegeben.
Es klingt oft recht fremdartig, wenn man sich gar nicht auskennt, da Personen aus dem Umfeld der Frauen meist nicht weiter vorgestellt werden, man muß also mit den fremden Namen leben. Da die Frauen recht extrovertiert waren, können das viele fremde Namen aufs Mal sein. Das macht die Lektüre zunächst etwas holprig. Die einzelnen Biographien sind aber so spannend und gut geschrieben, daß man einfach dabei bleibt.
Ich habe die einzelnen Kapitel mit beträchtlicher Faszination gelesen und wurde mit vielem Neuen belohnt. Helen Hessel war mir ganz unbekannt, auch wenn ich den Film Jules und Jim kenne, dessen Frauenfigur nach ihrem Leben modelliert ist. Elsa Triolet, die ich bislang nur im Umkreis von Sarte und Beauvoir wahrgenommen hatte, wurde endlich lebendig für mich, ein tolles Porträt. Ähnliches gilt für Nancy Cunard, von der ich auch kaum mehr kannte, als den Namen.
Annemarie Schwarzenbachs Leben werde ich immer verquer (und tragisch) finden, gleich, wie oft ich es lese, Mansfield bewundere ich mit jeder Biographie mehr, so wie ich mich jedes mal mehr über Parker und Goll ärgere oder Mina Loy aus der Ferne tief bewundere, aber nie verstehen werde.
Jede Biographie für sich ist ein Fundgrube an Ansichten und Einsichten, auch über die Leserin selbst, denn keiner dieser Lebensentwürfe läßt eine unberührt.
Anmerkungen sind sparsam gesetzt, sie dienen vor allem dem Nachweis der Originalzitate. Im Anhang finden sich unter den Nachweisen zu jedem Einzelkapitel auch weiterführende Literatur, wobei darauf geachtet wurde - das muß man besonders hervorheben - daß die Mehrheit der genannten Titel auf deutsch erhältlich ist.
Informationen über die Autorinnen finden sich im Anhang auch, unerklärlicherweise fehlt Andrea Barnet.
Erschienen ist das Buch bei der wunderbaren edition ebersbach, in gewohnter Güte und mit der gewohnten Großzügigkeit beim Abdruck von Photos, was das Buch allerdings des Papiers wegen recht schwer macht und sich auch im Preis niederschlägt.
Natürlich kann man es sich schenken lassen. Das habe ich auch gemacht.