Schreibwettbewerb August 2008 - Thema: "Magie"

  • Thema August 2008:


    "Magie"


    Vom 01. bis 20. August 2008 könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb August 2008 zu o.g. Thema per Email an webmistress@buechereule.de zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym eingestellt.
    Da Wolke derzeit im Urlaub ist, können nur die Beiträge eingestellt werden, die an die o.g. Adresse geschickt wurden, bitte denkt deshalb daran, keine andere Adresse zu benutzen!


    Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörtern wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!


    Nur für registrierte Mitglieder mit mindestens 50 Beiträgen!

  • von Melindora


    Ich weiß nicht, warum, aber heute ist mir danach, auf den Rummelplatz zu gehen. Eigentlich habe ich dafür ja gar nichts übrig: zuviele Menschen, zuviel Lärm, zuviel Alkohol - nichts für mich.


    Heute aber mache ich mich gleich nach der Arbeit auf den Weg. Schon von weitem höre ich die Musik, im Näherkommen höre ich die Fahrkartenverkäufer und Losbudenbesitzer ihre Waren anpreisen. Langsam schlendere ich auf dem Platz herum und will schon wieder nach Hause, als ich plötzlich einen ganz unscheinbaren Mann in einiger Entfernung sehe: vor ihm steht ein Tisch, aber nichts weist darauf hin, was für Attraktionen er zu bieten hat: kein Ausrufen seiner Waren, kein Schild, nur dieser Mann, der schweigend und geduldig hinter seinem Tisch steht. Er macht den Eindruck, als stünde er schon immr dort und wird auch noch in alle Ewigkeit dort stehen.


    Magisch zieht er mich an. So unscheinbar ist er gar nicht, denke ich beim Herantreten. Auf dem Tisch liegen interessante Gegenstände: ein kunstvoll geschmiedetes Schwert, ein reich verzierter Kelch, eine übergroße glänzende Münze und ein kräftiger Ast. "Du kannst die Dinge ruhig selbst in die Hand nehmen" fordert er mich mit angenehmer, doch sehr bestimmter Stimme auf.


    Ich würde ja gerne, aber was ist, wenn ich was falsch mache? Wenn etwas kaputt geht? Ich das Schwert beschädige, den Kelch fallenlasse??? Nein, lieber nicht!!!


    Als ob er meine Gedanken gelesen hätte, wiederholt er: "Du kannst die Dinge ruhig selbst in die Hand nehmen". Gut, dreimal lasse ich es mir nicht sagen...


    Ich greife zum Ast - ein wunderbares, warmes, starkes Gefühl wie Feuer durchströmt mich. Er fühlt sich unglaublich stark und energiegeladen an - es ist, als ob seine Energie in mich hineinfließt! Plötzlich kann ich gar nicht schnell genug die anderen Gegenstände berühren! Die Münze - so schwer hätte ich sie mir nicht vorgestellt. Welch sicheres Gefühl sie vermittelt - eine gute Basis! Der wundervolle Kelch - ich könnte regelrecht überfließen vor Glück, Freude, Trauer, alles auf einmal! Das Schwert - wie klar ich mich auf einmal fühle, ich glaube, jetzt weiß ich, was zu tun ist!


    Der Magier - so nenne ich ihn jetzt für mich - steht hinter seinem Tisch, einen Arm nach oben, den anderen nach unten gerichtet. Ich fühle die Energie, die ihn durchströmt, es ist, als ob ich ebenfalls von dieser Energie durchflossen werde! Alles vibriert, alles ist im Einklang, wie oben - so unten, und ich mittendrin, Mittler zwischen den Polen!


    Ich sehe den Magier an und weiß: von jetzt an wird er mich immer begleiten, gerade, wenn ich in schwierigen Situationen bin, werde ich an seine Worte denken und bin gewiß: ich kann mein Leben selbst in die Hand nehmen

  • von Leserättin


    „Magie“, so sagte Don Albertio stets gern, „Magie, das ist einzig eine Frage der Fingerfertigkeit.“
    Natürlich sagte er diese Worte nicht zu dem Publikum, das ihn bei seinen Shows bejubelte, wenn er wieder einmal in letzter Sekunde aus einem brennenden Haus entkam, in das man ihn vorher mit Eisenketten gefesselt gelegt hatte. Oder wenn er einen Eisenbahnwaggon verschwinden ließ, der mehrere Tonnen wog und zehn Meter in der Länge maß.
    Don Albertio, der vor 54 Jahren als Hans Müller in Osnabrück geboren worden war, hatte seine Erfüllung in der Zauberei gefunden. Schon als Kind hatten ihn die Taschenspielertricks seines Onkels fasziniert. Da änderte auch nichts daran, dass Onkel Eduard die meiste Zeit wegen Betrug entweder im Knast saß oder ein Veilchen im Gesicht spazieren führte.
    Statt wie seine Klassenkameraden eine Lehre als Schlosser, Mechaniker oder Bäcker zu beginnen, kratzte Hans sein Geld zusammen, pumpte Onkel Eduard für den Rest an und kaufte sich ein Onewayticket nach Amerika. Er schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, änderte seinen Namen und lernte das Zaubern.
    Nun war er selbst ein Lehrer und ein Dutzend Schüleraugenpaare aufstrebender Jungzauberer verfolgte jede seiner Bewegungen. Nur eines, das einem leicht pummeligen Jungen gehörte, blickte gelangweilt.
    Hans trat zu ihm. „Interessiert dich das nicht, mein Junge?“
    „Ach das“, er machte eine wegwerfende Handbewegung, bei der ein Siegelring an seinem Finger aufblitzte, „das ist doch Babykram.“
    „Nun, wir lernen natürlich von der Pike auf, so wie ich einst auch. Und es war ein langer Weg, das kann ich dir versichern. Aber du siehst ja, es hat sich gelohnt.“
    „Mein Vater kann weit mehr.“
    „So?“ Hans ließ eine Augenbraue die Stirn besuchen. „Wie heißt dein Vater denn?“
    „Rudolpho.“
    „Bedaure, kenne ich nicht.“
    Hans machte im Unterricht weiter und hatte den Vorfall schon vergessen, als am Abend plötzlich ein Mann in seinem Wohnzimmer erschien.
    Hans verbarg sein Erschrecken und die Frucht, dass es sich bei dem Schwarzgekleideten möglicherweise um einen Einbrecher handelte. „He, was wollen Sie?“
    „Mein Sohn sagte mir, dass du dich für einen großen Zauberer hältst.“ Ein spöttischer Blick traf Hans. „Aber nun sehe ich ja selbst, dass du keiner bist.“
    In Kochtemperatur stieg Hans das Blut in den Kopf. So ein Idiot, dem würde er es schon zeigen. Immerhin war er Don Albertio. „Sie …“
    Doch weiter kam er nicht, mit einer Handbewegung verschwand der Mann im Nichts – um einen Wimpernschlag später direkt vor Hans´ Nase aufzutauchen. „Na, kannst du das auch?“
    „Wie …“
    Eine lässige Handbewegung und Hans verstummte. „Ich habe dir deine Stimme genommen. Mit Magie spielt man nicht.“
    Hans konnte nur hilflos dem Schwarzgekleideten hinterher schauen.
    Seine Stimme blieb verschwunden, keiner der Spezialisten, die er aufsuchte, hatte eine Erklärung. Einmal versuchte Hans als stummer Magier aufzutreten, doch bei der Generalprobe krachte eine Wand herab und auf seinem Schreibtisch fand er einen Zettel: Mit Magie spielt man nicht.
    Hans entschied, dass es noch andere Berufe gab. Und nach zwei Wochen als Kellner war wie von Zauberhand seine Stimme wieder da.

  • von Bell


    Immer öfter, seit ich versuche, mich an die Ereignisse von damals zu erinnern, sieht ein fremder Mensch mich so an, auf der Straße oder in der Bahn, auf diese wissende Art und Weise, dass mir ein Schauer über den Rücken läuft. Was soll er schon wissen, es gibt nichts zu wissen, denke ich dann, er braucht nicht so zu schauen, als wisse er etwas.


    Was weiß er?


    Die Tage werden immer seltener, an denen es mich nicht schüttelt vor Unbehagen, weil mich wieder so ein Blick trifft. Jetzt überfährt dich einer! – Jetzt fällt eine Gerüststange herunter und erschlägt dich! – Jetzt wirst du von den Türen zerquetscht! flüstert es in meinem Kopf.


    Aber es passiert nichts.


    Vor einer Woche habe ich die Fotoalben meiner Mutter aus der Truhe geholt. Auf einigen ist auch sie. Tante Klara? sage ich. Tante Klara, hörst du auf damit? Auf den Fotos sieht sie meistens freundlich aus, manchmal müde, selten verärgert, aber nie so, wie an jenem Tag vor fünf Jahren, als ich beinahe ertrunken wäre.


    Was kann ein zwölfjähriges Kind zu seiner Tante sagen, dass sie ihm den Tod wünscht? Was habe ich gesagt, Tante Klara, dass du mich mit diesem Blick bedacht hast?


    Zehn Sekunden Erinnerung: Tante Klara und ich stehen uns in ihrer Küche gegenüber, ich schließe die Lippen, dann Tante Klaras Gesichtsausdruck: von erschrocken über wütend zu beherrscht und – wissend.


    Was weiß sie?


    Die nächste Erinnerung ist die, wie ich im See schwimme und mich plötzlich etwas von unten an den Beinen zu ziehen scheint, wie ich mit den Armen um mich schlage, nach Luft schnappe, Wasser schlucke, wie überall um mich nur Wasser ist und hier und da ein Blinken von Sonnenstrahlen, wie ich dann unter den Armen gepackt und ans Ufer geschleppt werde, von meinem Onkel Thomas, wie ich die Familienmitglieder einen nach dem anderen erkenne, alle besorgt und um mich herum; aber nicht Tante Klara, Tante Klara nur von hinten, wie sie Richtung Haus geht – Tante Klara nur von hinten, und doch sehe ich ihr Gesicht und sie sieht mich an, voller Wut.


    Wieder die Fotos: was übersehe ich? Wenn es mir nur endlich wieder einfällt, dann kann ich zu Tante Klara gehen und ihr sagen, dass es mir leid tut, dass ich mich geirrt habe oder was auch immer in dieser Situation angebracht sein wird. Dann kann sie endlich aufhören, mich zu verfolgen. Ich werde hingehen und zum Beispiel sagen, Tante Klara, es war nicht so gemeint, was ich da in der Küche gesagt habe. Dann umarmen wir uns und ich werde keine Angst mehr haben, es wird keine Blicke mehr geben.


    Dann ist es da, dieses Foto, das ich bisher übersehen habe, in dicke Decken gepackt, auf Tante Klaras Sofa liege ich, das Haar nass, etwas perlt auf meinen Lippen, und Tante Klara im Türrahmen, von hinten, wieder von hinten, wie sie das Zimmer verlässt und in ihrer Hand ein kleines braunes Fläschchen:


    Ich darf nicht versuchen, mich zu erinnern – ich darf nicht wissen!

  • von Sinela


    „Ich habe Angst. Es ist so dunkel hier.“
    „Warte, ich spreche mal mit dem Chef.“
    „Gut, aber lass dich nicht wieder abwimmeln.“
    Mit einem Seufzer drehte sich Adam um und wandte sein Gesicht nach oben.
    „Herr, du sagst, hier sei das Paradies, aber es ist stockdunkel und wir sehen nichts von deinen Wundern.“
    Und der Herr hatte ein Einsehen mit Adam und Eva und sprach „es werde Licht“ und es ward Licht. Voller Ehrfurcht flüsterte das Paar „das war Magie“, doch der Herr lächelte nur cool und antwortete: „Nein, ein Lichtschalter.“

  • von TheAlice


    Immer öfter loben Pädagogen Fantasyfilme und Zaubertricks zum Himmel. Bei ihren Gegnern sind diese aber umstritten und werden als Grund für die "Verblödung deutscher Kinder" gesehen. Ist es wirklich wahr, dass "Magie" den Kindern schadet?


    Letztens schockierte die Nachricht, dass ein 7 Jahre alter Bub aus dem Fenster sprang, weil er sich für Spiderman hielt, ganz Deutschland.
    Laut Kinderpsychologen wird auch Schizophrenie und andere psychische Erkrankungen im Kindesalter durch Filme wie Spiderman, Electra und Badman gefördert. Bei Problemen mit ihrer Umwelt flüchten Kinder immer öfter zu imaginärern Freunden oder in eine eigene Traumwelt, in der sie Superkräfte haben und endlich die Beachtung finden, die sie im realen Leben nicht erhalten.
    Auch Zaubertricks wie man sie aus dem Zirkus oder Fernsehen kennt, schaden den Kindern ungemein. Durch diese wird es für die Kinder immer schwerer Illusion und Realität zu unterscheiden. Die Logik und der gesunde Menschenverstand rückt immer mehr in den Hintegrund und die Kinder halten alles für die Realität, ob das nun Filme, Tricks, oder realistische Erlebnisse sind, spielt keine Rolle mehr.


    Wie oben erläutert sind magische Filme und Kartentricks nicht förderlich für die Psyche von Kindern - Im Gegenteil: Sie schaden ihr.Eltern sollten es sich also gründlich überlegen, ihrem Kind solche Filme zu zeigen oder sie im Zirkus solchen Tricks auszusetzen.

  • von churchill


    „Hast du das gesehen, Papa, hast du das gesehen???“


    Natürlich habe ich es gesehen. Gesehen, wie der muskulöse Mann in gelbgrüner Sportkleidung gerannt ist, zu Beginn des Rennens noch neben sieben anderen, dann sich von diesen lösend, irgendwie schwebend, sich nach allen Seiten umsehend, mit den Gegnern spielend, locker auslaufend, sich siegend an die Brust schlagend, den neuen Weltrekord nebenbei einsteckend, im Ziel durchstartend, nach 300 Metern die Fahne und einen überdimensionalen goldenen Schuh empfangend.


    Natürlich habe ich es gesehen und weiß, dass so etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein kann. Eine selten dreiste Art, Milliarden Menschen in aller Welt zu narren, ihnen eine ehrliche sportliche Leistung vorzugaukeln. Die Schwimmer haben es in den letzten Tagen reihenweise vorgemacht, jetzt ist es der jamaikanische Sprinter, der den Medizinspielen die Krone aufsetzt. Aufklärung ist angesagt. Ich drehe mich zu Jonas um.


    „Papa, hast du das gesehen?!“ Seine Augen strahlen. „ Hast du gesehen, Papa, was der für einen Vorsprung hatte? Der hätte noch schneller laufen können! 9,69 Sekunden. Wahnsinn!“
    Ich sage nichts. Bin auf einmal 36 Jahre jünger. Sehe mich vor dem Schwarz-Weiß-Fernseher im kleinen Wohnzimmer sitzen. Betrachte die 16jährige Hochspringerin, die der Weltelite ein Schnäppchen schlug. Den bärtigen Speerwerfer, der mit zwei Zentimetern Abstand Gold holte. Die Siegerin im Weitsprung, die noch Silber im Fünfkampf holte und sich als Schlussläuferin der Staffel sensationell gegen die Weltrekordhalterin aus der DDR durchsetzte. Und natürlich den amerikanischen schnauzbärtigen Schwimmer, der mit sieben Goldmedaillen einen Rekord für die Ewigkeit aufstellte. Ich spüre meinen kindlichen Frust, als wegen des Attentats auf die israelische Mannschaft die Spiele unterbrochen wurden und meine Freude, als der IOC-Präsident feststellte: „The Games must go on!“.


    „Papa, hast du das gesehen?!“ Bin wieder zurück in meinem großen Wohnzimmer. Die Ewigkeit ist beendet, Mark Spitz heißt heute Michael Phelbs. Es war für mich vor 36 Jahren nicht interessant gewesen, wie Spitz das geschafft hatte, woher Wolfermann seine Muskeln und Heide Rosendahl ihre Power hatte. Es war kein Thema. Olympia 1972 hat mich begeistert, hat mich zum Anhänger des Sports gemacht. Sonst fällt mir aus dieser Zeit nichts ein, wofür ich mich besonders begeistert hätte.


    Jetzt bin ich erwachsen, weiß Bescheid, zweifle professionell, belehre die ahnungslose oder uninformierte Umwelt. Aufklärung ist ja wichtig. Selbst Brittas Gold ist doch mit Vorsicht zu genießen, Psychologie allein kann das doch nicht schaffen, und die Akne kommt doch in ihrem Alter auch nicht von ungefähr …


    „Papa, hast du das gesehen?!“ Seine Augen strahlen immer noch. Wie so oft in diesen Tagen. Meine werden ein bisschen feucht. Ich drehe mich zur Seite.


    „Ja, ich hab’s gesehen. Das war echt super.“

  • von Ravannah


    Geschichten wie meine sollten mit den Worten „Es regnete“ anfangen. Das wäre aber gelogen, denn die Sonne schien. Nein, eigentlich schien sie nicht, sie brannte von Himmel hinab und trieb mir den Schweiß auf die Stirn.
    Also: Die Sonne brannte vom Himmel herab. Mein schwarzes T-Shirt war durchgeschwitzt. Wo war Sibirien, wenn man es mal brauchte?
    Im Klassenraum war es nicht besser als draußen. Und dass meine Mitschüler genauso sehr schwitzten wie ich, machte die Sache auch nicht angenehmer und schon gar nicht nasenfreundlicher.
    Das Handy in der Tasche meiner schwarzen Hose... Ach, kleine Anmerkung: Ich liebe diese Farbe, aber an solchen Tagen verfluchte ich sie auch schon mal gerne... Und dennoch trage ich die schwarzen Klamotten. Naja, zurück zum Handy. Es vibrierte.
    Der Lehrer war grade wieder einmal in Selbstgespräche versunken und bemerkte nicht, wie ich es aus der Tasche fischte und aufklappte.
    Huhu mein Schatz, wir machen heute noch mal die HiBa und sind dann ab heute Abend auf BIWAK. Ich meld mich Überüberübermorgen wieder.
    Ich liebe ihn. Nicht. Den BWAKüFi. Den BundesWehrAbKürzungsFimmel. Manchmal könnte ich meinen Freund für seine HiBas (HindernisBahnen) und seine BIWAKS umbringen. Dabei weiß er selber nicht, was BIWAK heißt. (Er und seine Kameraden sagen dazu immer „Bundeswehr im Wald außer Kontrolle“, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er Erfinder sich DAS dabei gedacht haben soll.) Er klärt hat er es mir so: „Stell dir vor du gehst Zelten, und das nur mit Schlafsack, ohne Spaß, ohne Lagerfeuer, ohne Musik und ohne Schlaf. Dann bist du auf BIWAK.“
    Ganz toll. Meine Laune sank unter den Gefrierpunkt. Warum eigentlich die Raumtemperatur nicht auch? Mein Blick wanderte ins Leere und mein Gewissen (wenn man die Stimme da so nennen kann) meldete sich.


    Na, musst du wieder mal flüchten?
    Jap.
    Warum?
    Er ist wieder weg.
    Schon wieder?
    Jap.
    Du träumst dich gerne weg, nicht wahr?
    Jap.
    Warum?
    Weil es sonst zu weh tut. Ohne Träume kann doch echt keiner die Realität ertragen. Schon
    gar nicht ich und schon gar nicht meine Realität.
    Das klingt etwas selbstsüchtig, wenn ich das anmerken darf.
    Darfst du nicht.
    Oh, na gut. Aber du bist sicher, dass du hier und jetzt träumen willst? Mitten im Unterricht?
    Weißt du, wo ich ohne meine Träume wäre? In der Klapse. Ich wäre schon längst geistig
    krepiert, wenn ich nicht träumen würde.
    Hach ja, die Magie der Träume ist schon was Einzigartiges.
    Jetzt werd bloß nicht sentimental, lass mich lieber endlich träumen.
    Ist ja gut...


    Das Klassenzimmer, die Hitze, den Gestank ihrer Mitschüler, ihre Gedanken, die Wut, die Einsamkeit, all das kann ich ausblenden. Der Lehrer verschwindet und vor mir tut sich etwas auf, das man wirklich nur noch als Magie bezeichnen kann: meine Welt, meine ganz eigene. Hier bin ich unsterblich, unverwundbar und habe meine Ruhe. Hier bestimme ich, was passiert, hier kann mir niemand sagen, was ich zu tun oder zu lassen habe oder über mein Schicksal bestimmen.
    Vielleicht werde ich meine Welt irgendwann zu Papier bringen. Vielleicht entstehen so Bücher.

  • von Quetzalcoatlus


    Paul Blitz erwartete nicht, an jenem Sonntag mit etwas Außergewöhnlichem konfrontiert zu werden. Ganz besonders erwartete er nicht, mit einer leibhaftigen, goldgelockten Fee gekleidet in rosa Spitzenkleid, Schleierhut und schimmernden Diamantschühchen konfrontiert zu werden.
    Doch genau dies geschah, als Paul – wie jeden Sonntag – durch sein Lieblingswäldchen joggte. Die strahlende Frauengestalt schwebte hinter einer stattlichen Eiche hervor und zwang ihn zu einem abrupten Halt, indem sie unmittelbar vor ihm in der Luft auf und ab wippte.
    Mit einer merkwürdig heiseren Raspelstimme sagte sie: „Guten Tag, ich bin eine gute Fee und werde Ihnen heute einen Wunsch erfüllen. Was möchten Sie haben, bitte?“
    Paul bot einen ehrlich überrumpelten Anblick. „Tja, also … ich weiß nicht so recht …“
    Die Fee verdrehte ihre großen Kulleraugen und klopfte auf ihr rechtes Handgelenk, als säße dort eine imaginäre Armbanduhr.
    Paul versuchte sich zusammenzureißen. „Also, genau genommen gibt es nichts, das ich benötige.“
    „Von benötigen hat ja auch niemand etwas gesagt, Sie Pragmatiker! Hier geht es um eine zusätzliche Verschönerung ihres Lebens.“
    „Aber mir geht es doch bereits gut. Ich würde vorschlagen, Sie bieten Ihre Hilfe jemanden an, der es nötiger hat, zum Beispiel hungernden Menschen in Afrika.“ Paul kam sich in diesem Moment sehr nobel vor.
    Die Fee zog ihre goldenen Augenbrauen zusammen. „Wollen Sie sich über mich lustig machen? Sehe ich etwa so aus, als spräche ich Afrikanisch?“
    „Äh, nein.“ Paul schaute verwirrt. Dieses Argument hatte ihn so unvorbereitet getroffen wie ein Regentropfen in der Sahara. „Soll das etwa bedeuten, dass viele arme Menschen leiden müssen, nur weil keine gute Fee ihre Landessprache beherrscht?“
    „Nun ja, wenn Sie es so ausdrücken möchten …“ Die Fee fühlte sich bei dieser Frage sichtlich unwohl. „Das Leben kann manchmal eine verdammt zynische Angelegenheit sein, wissen Sie?“
    „Aber warum erscheinen Sie ausgerechnet mir? Ich denke nicht, dass ich unter allen deutschsprachigen Mitbürgern zu den besonders Hilfebedürftigen zähle.“
    „Wie bitte? Es ist Sonntagnachmittag und Sie rennen allein durch den Wald und schwitzen wie ein Schwein in der Mikrowelle. Und Sie tragen ein türkisfarbenes Stirnband! Mit kleinen Häschen drauf!“ Diesmal vollbrachte sie das Verdrehen der großen Kulleraugen und das Zusammenziehen der goldenen Augenbrauen gleichzeitig. „Mal ehrlich, ich habe selten ein erbärmlicheres Häufchen Hilfebedürftigkeit gesehen.“
    Nun fühlte sich Paul ernsthaft angepöbelt. „Hören Sie, wenn Sie mich beleidigen wollen, bleibe ich hier stehen und wünsche mir nichts, bis Sie schwarz werden.“
    „Ich bitte Sie! Ich mache doch auch nur meinen Job und möchte irgendwann Feierabend haben. Es muss doch irgendeinen Luxus geben, den Sie sich gerne gönnen möchten.“
    „Na ja…“ Paul druckste ein wenig herum. „Ich spiele sehr gerne Klavier. Aber im Augenblick kann ich mir keines leisten.“
    „Herrgott, dann wünschen Sie sich doch jetzt ein Klavier!“
    „Also gut.“ Pauls Gestalt straffte sich. „Ich möchte ein Klavier und damit berühmt werden!“
    „Kein Problem.“ Die Fee befand sich bereits im steilen Abflug nach oben. „Wird augenblicklich erfüllt!“


    In der folgenden Montagsausgabe der Lokalzeitung lautete die Titelschlagzeile: „Mysteriöser Unfall! Spaziergänger von herabfallendem Klavier erschlagen.“
    Das Leben konnte manchmal wirklich eine verdammt zynische Angelegenheit sein.