Der Herrscher der Seelen
Autor: Róbert Hász
OT: A Künde
Übersetzerin aus dem Ungarischen: Andrea Ikker
Klett-Cotta, 2008
ISBN: 978-3608937688
Aufgrund seines schönen Covers fiel mir dieses Buch eher zufällig ins Auge, als ich auf der Klett-Cotta-Website stöberte. Schnell war es bestellt, jetzt endlich gelesen. Und ich werde mir sicherlich noch ander Bücher des 1964 als Angehöriger der ungarischen Minderheit in der Voivodina (eh. Jugoslawien) geborenen Róbert Hász zu Lesen suchen!
Ein interessantes Buch! Alberich, Mönch des Klosters St. Gallen soll anlässlich der Heiligsprechung des Stephanus Pannonius, der sich aufgemacht hatte, die Tyrcen (ein Volk, das im Gebiet des heutigen Ungarns lebte, leider habe ich im Internet nichts dazu gefunden) zu missionieren und dabei den Martyrertod starb. Es gibt nur ein klitzekleines Problem - Stephanus erfreut sich des Lebens in einer dem Kloster nahegelegenen Eremitenhütte im Wald ...
Aufgespalten in drei Erzählstränge, einmal die annales sanctgallenses, in denen Alberich die dem Abt gefällige, verklärte Geschichte des Märtyrers schreibt, zweitens Stephanus' Bericht über die wahren Ereignisse, und drittens Alberichs eigene Notizen zum aktuellen Geschehen während der Niederschrift. Neben der eigentliche Geschichte des Stephanus ist es somit auch interessant, die Diskrepanzen zu den Annalen zu entdecken.
Doch was ist die Wahrheit? Stephanus war beauftragt worden, dem tyrcischen Großfürsten, dem Gyula, eine Botschaft des Papstes zu überbringen, ein Angebot der Verbündung. Im Gebiet der Tyrcen wird er jedoch zum Spielball der untereinander nicht immer friedlichen Stämme. Ein Amulett, das ihm der Abt gegeben hat und seine wiederentdeckten Sprachkenntnisse des Ungarischen machen aus ihm gar den verloren geglaubten Sohn des von den Bayern ermordeten Großweisen, des Künde oder Herrscher der Seelen - eine Prüfung durch den Schamanen und Erinnerungsbruchstücke bestätigen dies sogar. Stephanus, überzeugter Christ, wird zu Csaba-Her, Verbindung zwischen Menschen und Altgott, er selbst ist sich nicht klar darüber, wer er ist. Doch die Ungarn haben noch viel mit ihm vor ...
In gängigen Mittelalterromanen findet man sich nur selten in Ungarn, somit kann man sich hier gemeinsam mit Stephanus auf die Entdeckung einer neuen Welt gefasst machen. Die vielen fremden Namen, Kriegszüge, Stämme etc. brachten mich zwar ein wenig ins Schleudern (zumal das Internet sich recht schweigsam gibt oder Diskrepanzen in den Schreibweisen das Suchen nicht eben erleichtern) und ich hätte bei meiner geographischen Unkenntnis gern eine Karte gehabt, aber auch so scheint man in eine fremde Welt einzutauchen. Erstaunlich zivilisiert, mit interessanten religiösen Vorstellungen, spannenden Ereignissen.
Nur manchmal eröffnen sich kleine Längen, wenn Geschichtliches in den Vordergrund tritt. Ansonsten kommt der Roman ohne Mittelalterklischees oder überbordende Schilderungen damaliger Gegebenheiten aus, ohne an Glaubwürdigkeit einzubüßen.
Es macht Freude, den nicht das Klischee des jungen Helden erfüllenden rüstig-ältlichen Mönch zu begleiten, seinen Zwiespalt zwischen westlicher und östlicher Kultur und die Suche nach seinen Wurzeln mitzuerleben. Vor allem, da das Ende mit einer mehr oder minder überraschenden Auflösung aufwartet.
Ein wenig kritisieren möchte ich die Übersetzung der Namen und das Fehlen eines Personenregisters und Glossars sowie einer Karte, denn leider findet man nur wenig weiterführende Informationen.
Fazit
Ansonsten kann ich diesen Mittelalterroman denjenigen empfehlen, die ungewöhnliche historische Romane abseits der ausgetretenen Pfade ("Die ...in", etc) suchen.
8/10 Punkten
bartimaeus
Edit: Inhaltlichen Fehler verbessert