Schreibmaschine reitend in den roten Sonnenuntergand, unzulänglich

  • Schreibmaschine reitend in den roten Sonnenuntergand, unzulänglich


    Die Fassade der Stadt hob sich von dem anthrazitgrauen Himmel ab und schien immer aufdringlicher zu werden, so, als wäre der Plattenbau in Wirklichkeit viel größer und bedrohlicher - wie ein in Stahlbeton gegossenes Ungeheuer längst vergangener Zeiten. Herr Tauber streunte durch diese Siedlung, an grauen, unförmigen Klötzen vorbei, die wie Atlas ihre Last auf ewig schulterten. Jahre zuvor hätte er selbst im Traume nicht daran geglaubt, jemals auch nur einen Fuß in eines dieser Monster zu setzen. Jetzt wohnte er dort hinten, in der Drosselgasse, zwischen Kasachen, Deutschrussen, Türken und Alten, in einem besonders häßlichen Block. Nichts war noch geblieben, von seiner Schrebergarten-Beschaulichkeit, die er sich vor einigen Jahren als freier Schriftsteller mühevoll aufgebaut hatte.
    War es die Spielsucht? Diese hochmütige Dekadenz?, sinnierte Tauber und spürte nicht, daß sich der erste Regentropfen dieses Tages auf seiner Hand eingefunden hatte. Er wusste keine Antwort. Sein Verleger hatte ihn endgültig fallen lassen, als die Boulevardpresse die Sache mit den fünfundzwanzigtausend Mark Spielschulden rausgekriegt hatte und seine Manuskripte sowieso nur noch karge Mitschnitte, stumme Zeugen seines Dahinsiechens waren. Einen anderen hatte er danach, trotz seines Erfolgs - oder gerade deswegen - nie gefunden.
    Um nicht gänzlich naß zu werden, beschloss Tauber, in den Döner zu gehen, und sich am Grill zu wärmen. Er ließ die Plattenbau-Siedlung hinter sich und grüßte seinen Nachbar Ahmed, der am Tresen seinen Tee trank.
    »Ah, da ist er ja, unser Goethe!«, prostete Hein ihm zu. Der bullige Maurer saß im letzten Winkel des geräumigen Ladens und sich die Wand wie ein Stein vor die Höhle. Täuber wusste vom Hörensagen, daß Hein vor Jahrzehnten sein Abi gemacht hatte und angeblich seinen Abschluß in der Kunstgeschichte geschafft hätte. Er saß da, massig, mit fleischigen, aufgedunsenen Wangen, einer feuerroten Nase, glänzenden Schweinsaugen und richtete sich mit dem Gesöff, daß er unentwegt runterkippte, selbst zugrunde. Soviel dazu, dachte Täuber und gesellte sich zu ihm. Aber verständlich.
    »Na, Schiller, wieder n’ paar Verse drauf?«, grunzte Hein.
    Täuber ignorierte den Kommentar zunächst und griff die Speißekarte, die er zwar in- und auswendig kannte, um diese unerträgliche Gefühl des Nichtstuns zu überbrücken. Dann kochte es hoch, unvermittelt. Frust.
    »Weißt du, Hein, mir geht diese ganze Schöngeisterei von den Verlegern und den heutigen Dichtern tierisch auf den Sack. Dieses ewige Blabla, diese rosafarbene Welt. Wenn ich diesen Scheißdreck lese, könnte ich kotzen.« Er legte eine Pause ein und wartete ab, aber Hein sagte nichts. »Diese ganzen Typen wissen doch nichts, du lebst vom Bau, ich bin Taxifahrer und diese ganzen Trottel heutzutage, die das Leben nicht gesehen und nicht geschmeckt haben, die den ganzen Tag in ihren Scheißbüros und ihren verdammten Lehrerzimmern sitzen, erdreisten sich, mir ihre beschissenen Ratschläge hinterher zu pusten und mir zu erzählen, wie verfickt schwer ihr Leben bisher war. Pah.«
    Hein nickte. »Das Sein bestimmt das Bewußtsein...«
    »Was? Was hast du gesagt?« Tauber schreckte aus seinen Gedanken hoch und starrte seinen Kumpel unverwandt an.
    »Na, Karl Marx, Junge. Kennst den nich’?«
    Tauber überlegte. Eine Gewißheit, etwas darüber zu wissen, echote hinter seiner Stirn. »1948, Manifest, Das Kapital, richtig.«
    »Siehste, bist’ so auf dem richtigen Weg. Hast’s endlich begriffen Das Sein bestimmt das Bewußtsein, denk immer dran.«
    Tauber machte ein fragendes Gesicht, er wurde aus den Worten Heins nicht ganz schlau.
    »Frag nicht, schreib das, was du kennst, was du fühlst und was du denkst, und vor allem über das, was du jetzt weißt. Dann verstehen dich die Leute...«, meinte Hein ernst, kramte umständlich einen Fünfer aus der roten Tasche, legte ihn auf den Tisch und verschwand ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Tauber sah im gedankenversunken nach, bis seine Gestalt vollends hinter dem Regenvorhang vergangen war. »Warum arbeitet Hein eigentlich nicht in einem Atelier oder einem Museum?«, fragte Tauber leise in den Raum. Ein schroffes, ungehaltenes Verständnis von dieser großen, einmaligen Sache glomm in seinen Augen auf. Wo hatte er noch gleich die Schreibmaschine verstaut?

    »Wer die Dummköpfe gegen sich hat, verdient Vertrauen.«
    Sartre

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  • Nix zu meckern, optimal geschrieben, gefällt mir wirklich gut.....


    /me schreibt ja auch immer über Sachen die sie kennt und erlebt hat....


    Allerdings mußte ich bei einer Formulierung ziemlich lachen:


    ...er ging in den Döner


    Sagt man das bei euch so? Ist ja witzig.



    LG


    BabyJane, die zwar vermutlich jünger ist, aber trotzdem einfach mal Du zum Grizzly sagt. :lache

  • Moinmoin Leute!


    Wilma : hab mich schon im anderen Thread bedankt, tue es gerne nochmal: Danke.


    @BabyJane: Ich älter? Bin doch auch ein junger Hüpfer: um genau zu sein, zwanzig Lenze trage ich auf meinem Bärenbuckel. Also müsste ich Dich, ich nehm's mir bei Dir einfach mal heraus, eigentlich um das 'Du' bitten, oder? Zum Döner: Jap, bei uns im nicht ganz so tiefen Süden sagt man, 'in den Döner' gehen, damit meint man selbstverständlich, daß man in den Laden geht, um sich einen Döner zu kaufen. Hat sich halt so durchgesetzt, ist das wirklich so komisch :lache? Jedenfalls ein herzliches Dankeschön für das Lob.


    baumbart : :knuddel1 Danke Baumbart


    und viele Grüße an alle!